Titelverdächtige Polizisten

Wie der Wiener Polizeikommandant Mahrer in acht Wochen zum Akademiker wurde

Exekutive. Wie der Wiener Landespolizeikommandant Karl Mahrer in acht Wochen zum Akademiker wurde

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Sechs Semester, 1600 Unterrichtseinheiten – der Weg zum neuen akademischen Grad „Bachelor“ kann durchaus steinig sein. Leichter geht’s, wenn man hochrangiger Polizeibeamter ist. Karl Mahrer etwa, Landespolizeikommandant von Wien, benötigte nur acht Wochen – manche Quellen sprechen sogar nur von acht Wochenendseminaren –, um den akademischen Grad zu erlangen, der eine höhere Einstufung im Schema des öffentlichen Diensts ermöglicht.

Und Mahrer ist nicht der Einzige.
Mindestens ein Dutzend hoher Polizisten hat den bequemen Abschneider auf dem Weg zu lichten akademischen Höhen genutzt. Möglich macht das die äußerst kulante ­Fachhochschule Wiener Neustadt. Sie bietet einen Studiengang zum Thema „Polizeiliche Führung“ an – geradezu auf den Leib geschrieben für Exekutivbeamte, die ihre Visitenkarte etwas behübschen wollen.

Karl Mahrer, „Bachelor of Arts“
, darf sich Wiens oberster Polizist nach dem Schnellsiederkurs in Wiener Neustadt nun nennen. Dabei dauert auch an der Fachhochschule in Wiener Neustadt das Bachelor-Studium – wie an den Universitäten – an sich sechs Semester.

Manche Polizisten kürzen den Bildungsweg jedoch ab und steigen einfach knapp vor Studienende ein, was an Fachhochschulen legal ist, da die FH-Leitung die Einstufung ihrer Studenten frei bestimmen kann. Dennoch kommt es praktisch nie vor, dass Studenten mehr als ein Jahr überspringen dürfen.

Bei den Polizisten wird das allerdings weit weniger streng gehandhabt. „Das ist ein berufliches Weiterbildungsseminar, aber doch nie ein Studium“, schnaubt Thomas Wallerberger, Vorsitzender der Österreichischen Hochschülerschaft und selbst FH-Student. „Das kommt von der österreichischen Titelgeilheit.“

Tatsächlich war es noch nie einfacher für Polizisten, akademische Würden zu erlangen. Bisher war die Polizistenkarriere meist ohne solche ausgekommen – stattdessen definierten sich die Polizisten über ihre Verwendungsgruppen: vom einfachen Exekutivbeamten bis zum Offizier. Akademische Titel hatten fast nur Polizeijuristen. Das änderte sich mit der Bologna-Umstellung: Das Bachelor-Studium löste den Ausbildungslehrgang für leitende Exekutivbeamte ab.

Die Polizisten schnurren vor Freude, können sie doch jetzt ohne großen Aufwand schmucke Akademikerposten erklimmen. Außerdem winkt mit dem Titel mehr Salär. Wie dick das Plus am Konto sein wird, verhandelt derzeit die Gewerkschaft Öffentlicher Dienst. Nicht ohne Reibereien in den eigenen Reihen: In den Augen der A1-Beamten sind die neuen Bachelors keine echten Akademiker. Und schon gar nicht FH-Expressstudenten wie Mahrer.

Häppchenweise. Ein Blick auf den Studienplan zeigt, wie locker die Polizeistudenten ihre Ausbildung angehen. Was andere Hochschüler sich nebenher aneignen müssen, bekommen die Beamten häppchenweise serviert: Im ersten Semester üben sie vorwiegend Lern- und Präsentationstechniken, versuchen sich in Selbstmanagement und Zeitplanung und testen ihre Führungsqualitäten: Managementgrund­lagen, Personalmanagement, Projektmanagement. Dazu gibt es eine kleine Einführung in die delikate Materie „Menschenrechte“.

Das Studium ist freilich nicht Vollzeit, sondern nur berufsbegleitend. „Das ist sehr anspruchsvoll“, beteuert Karlheinz Dudek, stellvertretender Leiter der Sicherheits­akademie.

Anspruchsvoll? Alle zwei Wochen finden Vorlesungen statt, dazwischen müssen die Polizei-Studiosi gar den Stoff lernen, Präsentationen vorbereiten oder Gruppenarbeiten erledigen. Ein fürwahr hartes Los. Die Bewerber waren anfangs denn auch „irritiert“, meint die Studierendensprecherin des ersten Jahrgangs: Das Studium hat den Ausbildungslehrgang für leitende Beamte abgelöst. Plötzlich wurde mehr Wert auf Englisch gelegt, etwas Wirtschaft in die Ausbildung aufgenommen und sogar wissenschaftliches Arbeiten verlangt. Wer freilich wie Mahrer erst im fünften Semester einsteigt, entgeht dem Großteil des Unterrichtsstoffs: Im sechsten Semester finden keine Lehrveranstaltungen mehr statt; die Studenten haben ein Halbjahr Zeit, um die zwei geforderten Abschlussarbeiten zu verfassen. Mahrers erstes Elaborat beschäftigt sich mit den Werten von Polizisten und wie sich diese auf ihr polizeiliches Handeln ­auswirken, im zweiten erörtert der General, wie Prävention das Sicherheitsgefühl der ­Menschen beeinflusst. Geforderter Umfang: je 40 Seiten. So viel also, wie jede einfache Seminararbeit an einer Universität umfassen muss.

Im Vorjahr beendeten 24 Polizisten nach sechs Semestern ihr Studium, sagt Studiengangsleiter Josef Gabriel. Der Stolz ist ihm anzuhören. Zudem hatten weitere 44 Polizisten wie Mahrer die Abkürzung ins vorletzte Semester genutzt; nur zwölf aber konnten vergangenes Jahr graduieren – mehr durften es wegen der vorgeschriebenen FH-Studienplatzlimitierung nicht sein. Sie besuchten acht Wochen lang Blockveranstaltungen und schrieben ihre schmächtigen Abschlussarbeiten. Manche ersparten sich sogar die, indem sie sich einen älteren Text anrechnen ließen. Ein Prüfungsgespräch später waren sie vollwertige Akademiker: Bachelors of Arts. Kunstvoller geht es wahrlich nicht.

Verhalten.
Der Abschluss ist zwar international anerkannt, der Beifall für die Absolventen bleibt außerhalb der Exekutive allerdings verhalten. Vor allem FH-Studenten stoßen sich an den akademischen Blitzkarrieren der Polizisten. „Das geht einfach an der Idee von Fachhochschulen vorbei“, moniert ÖH-Chef Wallerberger.

Seit vergangenem Jahr können die Bachelors auch ein Master-Studium in Wiener Neustadt anhängen, danach wäre sogar ein Doktoratsstudium an einer Universität ­möglich. Maximal 20 Hochschüler sind pro Jahrgang erlaubt, vier Semester dauert die wiederum berufsbegleitende Ausbildung zum „Master of Arts in Security Management“. Abkürzungen wie beim Bachelor-Programm sind jedoch nicht vorgesehen. Kein einziger Bachelor-Polizist hat sich bisher dafür angemeldet, weder für den Kurs, der bereits im Vorjahr startete, noch für kommenden Herbst, so Josef Gabriel von der FH Wiener Neustadt. Warum das so sei, wisse er auch nicht. Das Bachelor-Programm sei jedenfalls sehr gut angekommen.

Im Sicherheitsakademie-Magazin zeigte sich Mahrer vom Bachelor-Studium verständlicherweise angetan – es sei eine „Chance, mein Wissen auszubauen“, meinte der Landeskommandant kurz vor seiner Graduierung. Außerdem wollte er die Gelegenheit nicht verpassen, „mir nach 35 Dienstjahren neue Fragen zu stellen und auch gleich einen praktischen Nutzen daraus zu ziehen“. Das hat er eindeutig geschafft.