In grüne Landschaft harmonisch eingepasste Hausanlage
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Bauen mit sozialem Gewissen: Weltpreis für Wiener Architekturbüro

Sie leisten Pionierarbeit: Das kleine Wiener Architekturbüro gaupenraub +/- hat eine der international höchstdotierten Auszeichnungen für visionäres Bauen gewonnen – mit einem Projekt für die Ärmsten.

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von Sonja Pisarik

Erst 2024 wurde der Ammodo Award für sozial und ökologisch verantwortungsbewusste Architektur von der gleichnamigen niederländischen Stiftung ins Leben gerufen; bis heute ist er auch unter Fachleuten noch wenig bekannt. Bereits im zweiten Jahr seines Bestehens geht nun einer der beiden mit je 150.000 Euro dotierten Ammodo-Hauptpreise an das Wiener Architekturbüro gaupenraub +/-, das sich seit über 20 Jahren mit seinen Bauten für benachteiligte Menschen engagiert. Unter 168 Einreichungen aus 60 Ländern wurden insgesamt 26 Projekte prämiert – darunter lediglich vier aus Europa. Ulrike Schartner und Alexander Hagner konnten die Jury mit ihrem Projekt der VinziRast am Land überzeugen: „Ihre Architektur zeigt, wie Design komplexe ökologische und gesellschaftliche Herausforderungen leise, aber kraftvoll angehen kann.“

Hausanlage im Grünen, links Glas- und Gewächshäuser, rechts Wohnbereiche
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Gaupenraub +/- sucht seit Jahren innovative Lösungen für Obdachlosenunterkünfte – und schafft dabei so etwas wie die Quadratur des Kreises. Wichtig sei dabei, so das Duo, „den vorgefundenen Orten mit Respekt zu begegnen, sie von Ballast zu befreien und mit zukunftstauglichen Konzepten zu beleben. Architektur ist immer politisch.“ Nach der VinziRast mittendrin, einer auch international vielbeachteten Wohngemeinschaft von Obdachlosen und Studierenden, für die gaupenraub+/- 2013 ein sanierungsbedürftiges Biedermeierhaus in Wiener Toplage adaptierten, folgte das VinziDorf in Wien-Meidling. Es wurde zwischen 2016 und 2018 nach einem komplizierten Bewilligungsmarathon gemeinsam mit der HTL Mödling realisiert. 

Für die VinziRast am Land verwandelte sich der ehemalige Luxustempel des Hotelrestaurants Hanner im niederösterreichischen Mayerling zwischen 2020 und 2023 radikal in ein „Stück Boden unter den Füßen für Menschen, die wieder auf dem Weg in ein selbstbestimmtes Leben sind“, so Hagner. Die Schwierigkeit beim Umbau war weniger die heterogene Außenhülle mit 1930er-Jahre-Charme, Sixties-Zubau und auch schon nostalgischem Neunziger-Chic. Vor allem im Inneren des ehemaligen High-End-Gastronomiebetriebs musste gezaubert werden: Schartner und Hagner standen vor der paradoxen Situation, den Bestandsbau nicht veredeln zu müssen, sondern durch ein gestalterisches „Linksrum“ dem neuen Nutzen gerecht zu werden. Das Nobelhotelflair musste weg, schließlich ging es darum, ein Zuhause zu schaffen, in dem sich entwurzelte Menschen mit ganz unterschiedlichen Bedürfnissen wohlfühlen können. Obdachlosenbetreuung, Permakultur, Hofladen, Hotel- und Eventbetrieb, Catering, Forschungsstätte und vieles mehr wurden hier auf innovative Weise und unter Wiederverwendung diverser Bauteile zusammengeführt. „Anstatt das Gebäude als Objekt zu betrachten, wurde es als lebendes System konzipiert, das von seinen Nutzern ständig angepasst wird“, so die prominent besetzte Jury des Ammodo Awards. Weltweit gibt es wohl nichts Vergleichbares ­– hier wurde Pionierarbeit geleistet. Jurymitglied Andrés Jaque, spanischer Architekt und Rektor der Columbia Graduate School of Architecture, spricht von Architektur, die materielle Mobilisierung minimiere und ihre soziale Wirkung maximiere.

Holzhaus mit Leiter in waldiger Natur
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Der ehemalige Rückzugsort für Wohlhabende bietet mit 77 Betten eine Wohn- und Arbeitsgemeinschaft für Menschen am Rande der Gemeinschaft – eine Klientel, für die üblicherweise kein Architekturbüro anfängt zu planen. Gaupenraub+/- hingegen haben längst erkannt, dass Architektur auch und vor allem dann eine Rolle spielt, wenn keine kommerziellen Interessen bestehen. „Der Preis ermöglicht es uns, die Arbeit, der wir uns seit Jahren verschrieben haben, weiterzuführen: das Zusammenleben neu zu denken und die Marginalisierung in unserer Gesellschaft wirksamer anzugehen“, sagen Ulrike Schartner und Alexander Hagner.

Lange Jahre hatten die beiden das Gefühl, nach all den Projekten für die Vinzi-Gemeinschaft „als Obdachlosen-Architekten abgestempelt“ zu sein. Zudem waren die Projekte zwar ehrenhaft, brachten aber wenig Geld in die Kassen. Die Auszeichnung erscheint nun wie ein kraftvolles Zeichen, dass sich Durchhalten lohnt. Offenbar wird gute Architektur mit sozialem Mehrwert endlich als der eigentliche Luxus einer künftigen Baukultur gesehen.