Kultur im Ausnahmezustand

Hans Platzgumer über den Corona-Lockdown: Goldener Käfig

Kunstschaffende berichten von ihren Lockdown-Erfahrungen. Teil fünf: Hans Platzgumer, Autor und Musiker.

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Alle jammern, alle haben Grund dazu. Spätestens seit Lockdown III ist dieses Pandemie-Dasein eine zähe Mühsal. Wie anders war das noch im März vergangenen Jahres! Es überwältigte uns, es geschahen Dinge, die sich niemand vorzustellen gewagt hatte. Es bildeten sich Schrecken, und Träume erwuchsen. In der Aufregung und Agitation wurden alle möglichen und unmöglichen Fenster aufgerissen. Man meinte ihn sehen zu können, den Korridor zu einer endlich anders funktionierenden Welt! Die Läuterung der Menschheit schien greifbar, Demut, Besonnenheit, größere Gerechtigkeit. Es war Frühling, die Zeit des Erwachens-nicht wie jetzt, wo draußen nichts als ein grauer Kühlschrank ist und drinnen, innerhalb meiner vier Wände, ich mir monatelangen Winterschlaf verordnen will.

Als Autor und Musiker brachen 2020 die meisten meiner Einnahmequellen weg; lange Zeit war ich bereit, das hinzunehmen, denn es gab diese Vision einer Neugestaltung der Welt. Heute ist es anders. Die Bereitschaft des Hinnehmens ist geschwunden. Wer erwartet weiterhin langfristige positive Effekte? Die Non-Vision unseres Kanzlers, der von Anfang an nur so schnell wie möglich den Status quo, den Zustand der Selbstzerstörung, den die Menschheit seit Jahren kultiviert, wieder zurückerlangen wollte-diese Visionslosigkeit hat überhandgenommen. Seit Lockdown III ist unser Dasein ein Ausharren, ein zermürbendes Winterwarten geworden. Wir warten auf das Ende einer Zeit-und erwarten nicht mehr den Beginn einer neuen. Das Virus wütet weiterhin, als Inspirationsquelle aber taugt es nicht länger. Es hat uns ausgelaugt.

Ich sitze am Schreibtisch die Tage aus. Dabei entsteht viel Essayistisches, Journalistisches, Lyrisches. Alte Betätigungsfelder sind verschwunden, neue haben sich aufgetan. Theater-,Lese-und Konzertbühnen sind zugesperrt. Wie die meisten meiner Zunft bin ich zwangsbeurlaubt. Eher im goldenen Käfig als im Kerker protokolliere ich, was mir durch den Kopf geht. Das ist einem nach wie vor gestattet. Ein Freund erzählte mir, dass er aus schierer Langweile heraus ständig Sex mit seiner Partnerin hätte. Manche Musikerkollegen nutzen die Leerzeit zum Üben am Instrument, um sich "fit" zu halten. Vielleicht sollte ich wie Dr. B. verfahren und Schachpartien gegen mich selbst zu spielen beginnen? Nein, ich will keine Schachvergiftung erleiden.

Ich bleibe beim freien Denken. Doch auch das braucht auf Dauer ein Gegenüber. Selbst der eigenbrötlerischste, kauzigste Intellektuelle erstickt irgendwann an seinen Gedankenspulen, wenn er sie nicht mit anderen zu teilen vermag. Geschriebenes braucht Lesende, Schreibende brauchen Austausch, brauchen Publikum und echten Dialog, sonst verkümmern sie in ihren Kämmerchen. Eine virtuelle Lesung ist einfach nur anstrengend. Nichts kommt zurück. Ein Geisterspiel. Eine Lesung mit Publikum ist, zumindest oft genug, ein beidseitiges Fest, Geben und Nehmen, ein Zusammenspiel. Ähnliches gilt für alle Kunstbereiche. Sie trocknen aus, wenn sie nicht wahrgenommen werden. Und das ist es, was momentan geschieht.

 

Zur Person:


In seinem früheren Leben war Hans Platzgumer, 52, eine internationale Rockgröße (H.P. Zinker, Die Goldenen Zitronen) und ein gefragter Produzent (Tocotronic, André Heller).Inzwischen mischt der Tiroler mit Romanen("Bogners Abgang" erscheint kommenden März) und Essays("Willkommen in meiner Wirklichkeit!)munter die Literatur auf. Mit Beginn der Ausgangsbeschränkungen im März 2020 schrieb er an einem fortlaufenden Lockdown-Logbuch, das profil in Auszügen veröffentlichte. Die Beiträge sind auf profil.at abrufbar.