Leitartikel: Christian Rainer

Christian Rainer: Barack Putin

Barack Putin

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Die „Leseranalyse Entscheidungsträger“ erkundet regelmäßig das Leseverhalten der österreichischen Eliten; Medien, die dabei gut abschneiden, nutzen die Daten zur Vermarktung ihrer Anzeigen. Motto: Wer intelligent oder mächtig oder reich ist, wird für Werbekunden zur besseren Beute als ein von der Notstandshilfe lebender Arbeitsloser mit Pflichtschulabschluss. Vergangene Woche wurden neue Zahlen präsentiert: Bei Akademikern und FH-Absolventen ist profil das meistgelesene Medium – vor „Standard“ und „Presse“ –, ebenso bei den Führungskräften von Großbetrieben – sogar vor der auflagenstarken „Krone“ und dem „Kurier“.

Liebe Leserinnen, liebe Leser, Sie befinden sich hier nicht in der falschen Kolumne, nicht in der bei profil „Intern“ genannten Spalte mit Nachrichten aus den Eingeweiden von Redaktion und Verlag – die finden Sie einige Seiten weiter vorne. Ich versuche hier vielmehr den Brückenschlag zu einer Diskussion zwischen Redaktion und einigen Lesern. Unser Beitrag zu dieser „Diskussion“ war die Berichterstattung über die Krim-Krise, inklusive der Charakterisierung Wladimir Putins als „Gefährlichster Mann der Welt“, inklusive meines Leitartikel über Karl Schranz und Siegfried Wolf und deren Verteidigungssuada für Putin. Der Beitrag von Lesern waren E-Mails, die uns im besten Fall der Naivität zeihen, im schlechteren korruptiven Verhaltens, in jedem Fall aber Barack Obama und die europäischen Regierungschefs mit Putin auf eine Ebene stellen, sowohl bei deren Zielen wie auch bei den eingesetzten Mitteln. Mehr noch: Putin sei ein besserer Mensch und Staatsmann als die Genannten.

Wir fragen uns: Ist das tatsächlich die Meinung der – bei profil konzentrierter als sonst wo vertretenen – österreichischen Eliten? Und hat diese Meinung einen wahren Kern?

Wir wissen nicht, ob die Österreicher so denken oder gar deren intellektuelle und ökonomische Spitze. Vermutlich nicht, vermutlich ist es nur eine qualifizierte Minderheit, die sich da laut meldet. Doch das ist schlimm genug: Denn von einem wahren Kern kann keine Rede sein, eher von einer faulen Saat. Eine Gleichsetzung von Russland mit dem Westen ist Unsinn, aus dem Munde der Eliten Agitation wider westliche Werte.
Beispiele: Leser Dr. G., ein bekannter Manager, meint: „Gedankenexperiment: Nach und nach rücken die Grenzen des Warschauer Paktes an jene der USA. Mexiko, Kanada werden umworben, Mitglied zu werden. … Würde ein US-Präsident da wirklich zusehen?“ Antwort: Die genannten Länder wären wohl nicht freiwillig Mitglieder einer auf brutaler militärischer und politischer Unterdrückung basierenden Vertragsorganisation geworden (der Herr Putin als DDR-Geheimdienstler diente). Russland hätte Mexiko und Kanada auch kaum umworben, sondern sicher überfallen. Folgerichtig löste sich der Warschauer Pakt mit dem Ende der Sowjetunion auf.

Herr S. schreibt: „Bei einer Allianz, die nachweislich schon etliche Angriffskriege unter Vorspiegelung falscher Tatsachen durchgeführt hat, habe ich keine journalistischen Aufschreie durch Europa hallen gehört. … Ich sehe weitaus gefährlichere Männer als Putin.“ Widerspruch: Der Irak-Krieg wurde zwar unter Behauptung falscher Tatsachen geführt, allerdings nicht gegen eine – wie in Kiew – von der Bevölkerung mehrheitlich unterstützte Bewegung, sondern gegen Saddam
Hussein. Überdies war der Aufschrei so laut, dass er Herrn S. offensichtlich das Hörvermögen gekostet hat. Und die NATO-Einsätze im Kosovo-Krieg, in Afghanistan, in Libyen dienten nicht der Vergrößerung der eigenen Einflusssphäre, sie sollten Völkermord und internationalen Terrorismus unterbinden.

Herr K. (MSc) verteidigt Russland: „In fast allen Demokratien werden die Bürger genauso getäuscht und manipuliert.“ Das sehen die Damen von Pussy Riot sicher ähnlich.

Herr M.: „Nicht Putin ist schuld, sondern primär die EU und deren Politiker, welche unter dem direkten Einfluss der USA und deren Lobbyisten stehen … völliges Versagen der Medien.“ Herr M., wir werden die CIA-Agenten, die Freimaurer und die Ostküsten-Juden am Maidan beim nächsten Mal zählen.

Und auch Mag. S. hält die Krim-Krise für „amerikanische Innenpolitik“: Putin verweise „zurecht auf Irak, Afghanistan, Libyen. Wo war hier der Schrei nach Bestrafung? Die USA agieren nach Gutdünken und Europa zahlt die Zeche.“ Mit Verlaub: Die Rechnung für Irak, Afghanistan und Libyen zahlen zum Großteil die Amerikaner. Aber falls jemand eines Tages vom Ende dreier terroristischer Regime profitieren sollte, dann ist es die ganze Welt.

Schlussfolgerung: Viele Österreicher sind mit dem relativ einfachen Sachverhalt „Putin krallt sich die Krim“ überfordert. Soweit die USA für den Zerfall der Ukraine und die Besetzung der Krim verantwortlich gemacht werden, scheint ein diffuser Antiamerikanismus die Basis der wenig plausiblen Argumente zu sein. Soweit allerdings Wladimir Putin mit westlichen Politikern gleichgesetzt wird – oder mit einem Schuss Bewunderung gar darüber positioniert –, machen sich gewaltige Defizite im Demokratieverständnis bemerkbar. Oder eine Geringschätzung der Demokratie ganz allgemein.

Dass diese Haltung auch unter Österreichs Intelligenzija Platz greift, ist bedauerlich.

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