Leitartikel: Christian Rainer

Christian Rainer Für ein Berufsheer

Für ein Berufsheer

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Am kommenden Sonntag können die Österreicher über die zukünftige Verteidigungsstrategie des Landes abstimmen. Formal handelt es sich bloß um eine Volksbefragung. Weil die Regierung das Ergebnis als bindend bezeichnet, kommt die Entscheidung aber einer Volksabstimmung gleich. Tatsächlich ist es eine Jahrhundertentscheidung, daher und nicht in journalistischer Zuspitzung haben wir dieses Wort auf der Titelseite gewählt: Berufsheer oder Wehrpflicht, wir sprechen hier von einem Eckpunkt der Verfasstheit jedes Staates, und die Festlegung durch das Volk wird von dessen Vertretern wohl über Jahrzehnte nicht mehr angetastet werden.

profil hat sich in der Vergangenheit intensiv der anstehenden Frage gewidmet und ist dabei regelmäßig zur selben Antwort gekommen: Mein Kollege Herbert Lackner und ich argumentierten in Kommentaren mehrfach für ein Berufsheer. Ein profil-Cover unter dem Titel „Weg mit der Wehrpflicht!“ kam Anfang 2011 auf Basis dichter Faktenlage zum selben Befund. Befund und Meinung werden vom überwiegenden Teil der Redaktion mitgetragen und sind durchaus als Empfehlung zu verstehen.
Warum ist das so?

Erstens. Die Entscheidung ist keine parteipolitische, und sie darf es bei der Abstimmung für den Einzelnen auch nicht sein. Dafür ist sie viel zu wichtig. Ideologisch im Sinne der jeweiligen Parteihistorie laufen die Kampagnen ja präzise in die jeweils verkehrte Richtung: Im Laufe ihres Bestehens ist die SPÖ meist für ein Milizheer eingetreten, die Volkspartei hingegen hat regelmäßig Versuche in Richtung einer Berufsarmee unternommen. Was derzeit gespielt wird, ist also eine Schmierenkomödie, billigste Parteipolitik nicht nur auf dem Rücken einer für dumm verkauften Bevölkerung, sondern vor allem gewissenlos gegenüber der Sicherheit von Generationen.

Denn – zweitens – hängt das Überleben von acht Millionen Österreichern selbstverständlich auch von funktionierenden Verteidigungslinien ab und damit von einem mit sinnvoller Strategie und der richtigen Ausrüstung versehenen Bundesheer. 68 Jahre Frieden sind trügerisch und nichts als ein Glücksfall. Das zu übersehen ist grob fahrlässige Gemeingefährdung; kommt es zu einem Krieg, wird die Vorgangsweise der jetzt Regierenden also fahrlässige Tötung der dann zu beklagenden Opfer des Konflikts sein.

Das ist – drittens – nicht nur deshalb so, weil diese Befragung als Teil eines perfiden Spiels um Wählerstimmen geplant wurde. Darüber hinaus haben es beide Fraktionen verabsäumt, militärisch fundierte Pläne für den Einsatz einer Armee von Zwangsrekruten einerseits oder von Berufssoldaten andererseits im Kriegsfall vorzulegen. Was in den Kampagnen gezeigt wurde, sind Flickwerke unseriöser bis widersinniger Argumente, die keiner Überprüfung zugeführt geschweige denn von Militärexperten diskutiert werden können.

Viertens. Daher bleiben für eine Entscheidung über die beiden nicht weiter ausgeführten Modelle nur zwei Kriterien: einerseits eine Orientierung am Status quo, andererseits ein Vergleich mit internationalen Entwicklungen.

Fünftens. Der Status quo ist eine Sauerei. Wie ausgeführt, muss das österreichische Bundesheer primär der Verteidigung der Republik und seiner Menschen dienen. Katastropheneinsätze sind relativ dazu Nebensache und überdies ein Missbrauch militärischer Ordnung und Sonderrechte. Eine Sauerei ist die österreichische Landesverteidigung aus zwei Gründen: Es fehlt ihr einerseits jede Militärdoktrin, die einer potenziellen Bedrohungslage angemessen wäre. (Und, das sei nebenbei bemerkt, Sicherheit ist für Österreich wohl nur innerhalb der NATO zu finden, solange Europa für sich kein schlagkräftiges Bündnis gefunden hat.) Andererseits ist das Heer in seiner Substanz marod. Die Wehrpflichtigen sind nur im Kampf am Schreibtisch und mit Gulaschkanonen einsetzbar; die Bewaffnung ist durch Zufall sowie durch chaotisch verwaltete Partikularinteressen arrondiert worden.

Sechstens. Die in fünftens angeführten Defizite können dadurch als bewiesen gelten, dass die Volkspartei eine große Reform des derzeitigen Milizheeres in Aussicht stellt, freilich ohne irgendwelche Details oder Zeitpläne. Das Versprechen ist daher unglaubwürdig, zumal der ÖVP nach einer für sie erfolgreichen Abstimmung jeder Antrieb für eine Reform fehlen wird.

Somit bleibt – siebtens – alleine die Gewissheit, dass eine Umstellung auf ein Berufsheer zwingend massive Veränderungen bringen muss. Und es bleibt die Hoffnung, dass diese Veränderungen ein höheres Maß an militärischer Professionalität gegenüber dem unerträglichen Status quo bedeuten.

Achtens. In der Europäischen Union ­haben nur fünf Staaten nicht auf ein Berufsheer umgestellt. Noch 1990 galt fast überall die Wehrpflicht. Die Umstellung wurde mit militärischen und gesellschaftlichen Argumenten unterfüttert und hat überall funktioniert.

Zu befürchten ist – neuntens –, dass es Österreich am kommenden Sonntag wieder einmal besser als der Rest Europas gewusst haben wird.

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