Christian Rainer: Kern, Kurz … und Trump

Man wähle Personen und nicht Programme!

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Christian Kern und dann Sebastian Kurz. Vor zwei Wochen bat profil den Kanzler zu einer Veranstaltung vor Publikum und am vergangenen Mittwoch seinen Herausforderer. Eva Linsinger hat die Diskussionen gemeinsam mit mir moderiert. Sie sind auf profil.at abrufbar. Ich bleibe auch nach diesen Begegnungen bei der Einschätzung, die wir Ende April so auf der Titelseite formuliert hatten: Die Spitzenkandidaten der Regierungsparteien sind „unter Europas Besten“. Aus Gesprächen und aus Publikumsfragen haben wir den Eindruck gewonnen, dass die Anwesenden diese Meinung teilten, unabhängig davon, ob sie als Fans oder als Kritiker gekommen waren. Dafür braucht man auch nicht den Vergleich mit Werner Faymann und Reinhold Mitterlehner oder Michael Spindelegger zu bemühen.

Aus diesem Anlass wollen wir noch einmal die Ähnlichkeiten und die Unterschiede zwischen den beiden Herren herausarbeiten. Warum? Weil uns in diesen Monaten mit Donald Trump einerseits und Emmanuel Macron andererseits, mit Viktor Orbán oder mit Angela Merkel vorgeführt wird, wie sehr unser Schicksal an Personen hängt und wie wenig an Programmen.

Kern und Kurz sind einander nicht nur im Äußeren sehr ähnlich, ähnlicher, als die beiden das wohl selbst wahrhaben wollen. Die spürbare, in der Öffentlichkeit krampfhaft unterdrückte wechselseitige Antipathie mag mit dieser Spiegelung zu tun haben (aber das ist Küchenpsychologie). Viel mehr Unterschied ist da vordergründig jedenfalls nicht, als dass der eine gerne den zitatenstarken Intellektuellen gibt, während der andere mit den geborgten Weisheiten sparsamer umgeht. Manifest erscheinen hingegen zwei tiefer sitzende Unterschiede: der eine ideologisch, der andere altersbedingt.

Die Zugehörigkeit zu unterschiedlichen Generationen ebenso wie die unterschiedliche ideologische Sozialisierung sagen mehr über sie und ihre Pläne aus als eine Tonne von Papieren.

Christian Kern vermittelt in seinen politischen Äußerungen den Eindruck, dass er nicht an die Gestaltungskraft des Einzelnen glaubt, dass daher der Staat eingreifen und lenken soll. Wenn Kern schildert, wie ihn das Bild der Massen am 1. Mai berührt hat, das er von der Bühne des Wiener Rathauses vor sich sah, dann spricht er zwar mit Hochachtung von den Menschen, die aufmarschiert waren, aber beeindruckt hat ihn die Summe der Individuen, die sich für eine gemeinsame Idee und Geschichte zusammenfinden. Diese Eingenommenheit vom Kollektiv entspricht der politischen Sozialisierung des Kanzlers in der SPÖ, aber auch später im gemeinwirtschaftlich verfassten Verbund und in den ÖBB, die mehr Teil der Republik sind als ein Unternehmen.

Sebastian Kurz ist ein ebenso authentisches Abbild seiner Herkunft: der auf individuelle Leistung fokussierten Volkspartei; auch seiner bürgerlich-christlichen Prägung, wonach Familie und Kirche das Kollektiv bilden und das soziale und finanzielle Netz im Krisenfall. Anders als der detailgenaue Kanzler betont der ÖVP-Chef folgerichtig auch lieber die Verantwortung des Einzelnen. Die Aufgabe des Staates sei es, dem Einzelnen sein Tun zu ermöglichen, ihm aber auch mit Sanktionen zu begegnen, wenn er sich auf Kosten des Kollektivs einen Lenz machen will.

Nur wer wie Kern den Kalten Krieg hautnah erlebt hat, das kommunistische Osteuropa, die Sowjetunion, wird die Nachfolgestaaten anders behandeln als die Demokratien Westeuropas.

Der andere Unterschied der beiden liegt im Geburtsjahr. Hier vom Alter zu sprechen, wäre missverständlich, denn es würde auf einen Vergleich von Berufserfahrung oder des diffusen Begriffs Reife hinauslaufen. Darum geht es aber nicht. Vielmehr stehen hier zwei Generationen gegeneinander mit wenig überlappenden Erlebniswelten und – vor allem – mit zwei Geschichtsperspektiven: Was für Kern Teil des eigenen Zeithorizonts ist, ist für Kurz Vergangenheit. Als der Eiserne Vorhang fiel, stand der Kanzler am Ende seines Studiums, der Außenminister hingegen betrat erstmals den Kindergarten. Als Jörg Haider die FPÖ übernahm, hatte der eine schon maturiert, der andere war gerade zwei Wochen alt.

Das muss Auswirkungen auf die politische Orientierung haben. Nur wer wie Kern den Kalten Krieg hautnah erlebt hat, das kommunistische Osteuropa, die Sowjetunion, wird die Nachfolgestaaten anders behandeln als die Demokratien Westeuropas. Wer sich – umgekehrt – wie Kurz nicht an Haiders Nazi-Aussprüchen abarbeiten musste, kann unbeschwerter sein im Umgang mit den Freiheitlichen (und er wird nicht verstehen, warum es Vorbehalte gegen seinen Quereinsteiger Josef Moser gibt). Verschiedenen Generationen anzugehören, kann also ein Mehr oder ein Weniger an Erfahrung bedeuten, aber auch ein Mehr oder Weniger an historischem Ballast.

Was immer Kern und Kurz noch an Programmen vorlegen werden: Diese Zugehörigkeit zu unterschiedlichen Generationen ebenso wie die unterschiedliche ideologische Sozialisierung sagen mehr über sie und ihre Pläne aus als eine Tonne von Papieren.