Christian Rainer: Macht mag Medien nicht

Die Demokratie stellt sich gegen den Journalismus. Das (und Donald Trump) muss uns noch selbstbewusster machen.

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Selbstreflexion ist Selbstzweck, und Medienbetrachtungen in Medien geraten gerne zu Blasentee. Aber wenn nicht nur die gewählten türkischen, russischen und phi­lippinischen Präsidenten und die gewählten ungarischen und polnischen Regierungschefs die Pressefreiheit mit Füßen treten, sondern auch der gewählte amerikanische Präsident, dann ist das Thema in der Mitte des Diskursspektrums angelangt. Es sind nicht mehr nur die Akklamationsdemokratien des Dritte-Welt-Zuschnitts, Putins republikanischer Zarismus und der ideologisch ungefestigte Kommunismusnachlass in Europa, die uns Journalisten die Existenzberechtigung entziehen wollen. Jetzt hat sich auch Donald Trump, der legitimierte Führer der westlichen Welt, den trüben Führerwelten angeschlossen.

Die Demokratie selbst stellt sich gegen den Journalismus. Das ist zwar ihr Recht, aber es ist nicht billig. Es kann die Demokratie sogar teuer kommen.

Wie kam das alles, woher die Bedrohung nun auch von höchster Stelle, ein US-Präsident, der CNN mit den Fäusten schlägt?

Zum einen – und das erscheint in diesem Zusammenhang ausnahmsweise tröstlich: Die Freiheit der Presse ist ein unablässiger Abwehrkampf. Es geht nicht um Terraingewinn. Wir müssen unsere Stellung halten, die Möglichkeit, unabhängig zu recherchieren und zu berichten, permanent verteidigen. Unsere Widersacher sind Politik, Verwaltung und Unternehmen; im Großteil der Welt sind es auch die Religionen. Die Macht hasst die Medien, wo sie nicht manipulierbar sind. Doch es sind auch die Menschen im Ganzen, die uns mit Achtung und Verachtung zugleich betrachten. Insofern erleben wir einen Normalfall.

Doch andererseits: Donald Trump verbreitet seinen Gestank nicht zufällig via Twitter. Nicht er baut eine Parallelwelt auf, die es ihm erlaubt, ohne Journalisten zu regieren. Diese Welt hatte sich längst aufgebaut, und er bedient sich ihrer. Soziale Netzwerke neutralisieren den Journalismus, weil auch sie zugleich Nachricht und Vertriebsweg sind. Twitter ist Trumps Parteizeitung, sein Flugblatt, seine Home­story und seine Breaking News, überall verfügbar, zu Grenzkosten null. Social Media fügen sich passgenau in die aggressive Misstrauenshaltung gegenüber Journalisten. Wer nicht an die hehren Motive und die verlässlichen Methoden von Qualitätsmedien glaubt, kann den Unterschied zwischen einer Nachricht auf Facebook und einer Meldung der „New York Times“ nicht erkennen. Jene wiederum, für die unabhängige Presse ein Störfaktor ist, werden den Unterschied kleinreden (dorthin gehört auch Heinz-Christian Strache). Hinzu kommt leider, dass Printmedien ausgerechnet jetzt unter existenziellen Druck gekommen sind: weil die Werbeeinnahmen schrumpfen und weil wir dummerweise irgendwann begonnen hatten, unsere Inhalte online zu verschenken.

Es ist für uns Journalisten wirklich hoch an der Zeit, die Selbstgeißelung zu beenden.

Was wäre, wenn es journalistische Medien nicht gäbe? Bis vor Kurzem hätte ich antworten müssen: Man weiß es nicht. Wir sollten uns nicht überschätzen, aber es gibt ein Restrisiko, dass die Demokratie und der gesellschaftliche Zusammenhalt ohne Qualitätsjournalismus zusammenbrechen würden. Das kann niemand wollen.

Mit Donald Trump ist es einfacher geworden. Ausgerechnet der selbst ernannte Feind der Medien spielt den Medien Wurf um Wurf in die Hände. Dass er Präsident wurde – mithilfe der sozialen und gegen die Warnung klassischer Medien –, gilt inzwischen nicht mehr unbedingt als Sternstunde der US-amerikanischen Geschichte. Mehr noch: Trumps Amtsführung ist ein Desaster – ohne journalistische Begleitung wäre sie ein unkontrolliertes Desaster.

Was tun? Selbstkritik ist eine journalistische Pflicht, die uns in richtiger Dosierung besser und weniger angreifbar macht. Die tägliche Fehlersuche kalibriert unsere Arbeit. Die Zurschaustellung eigener Fehler verhindert, dass andere uns als fehleranfällig und uneinsichtig an den Pranger stellen. Da wird schnell aus einer Fahrlässigkeit Absicht konstruiert, aus Irrtümern werden Lügen, false wird zu fake, Fake News.

Wir haben in den vergangenen Jahren jede Menge Selbstkritik geübt. Die US-Medien haben über ihre Naivität bezüglich irakischer Massenvernichtungswaffen und des daraus folgenden Krieges berichtet. Deutsche Zeitungen stellten bedauernd fest, dass zugespitzte Rechercheergebnisse zum Rücktritt eines Bundespräsidenten geführt hatten. Deutsche Journalisten zeichneten nach, dass sie nach der Kölner Silvesternacht einen Augenblick zu lange von Motiven geleitet waren. Und wir alle finden, dass unsere Neueinschätzung des Migrationsproblems eher zu spät als zu früh gekommen ist.

Aber: Wir sprechen von Einzelfällen, in 99 Prozent der Fälle liegen wir richtig. Wir haben die Fehler selbst aufgezeigt, niemand musste uns drängen. Fake News stammen nicht von uns, im Gegenteil: Wir beschreiben sie. Es ist für uns Journalisten wirklich hoch an der Zeit, die Selbstgeißelung zu beenden. Wir sind (fast immer) die Guten.

[email protected] Twitter: @chr_rai