Leitartikel: Christian Rainer

Christian Rainer: Shitstorm stinkt

Shitstorm stinkt

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Ein mit Zucker geizender Rindfleischkocher, der dialekt-averse Museumsdirektor, ein Waschmittel mit der nazi-punzierten Zahl 88 im Sonderangebot, Burger King nach Wallraff. Journalistische Geschichten mit dem Anspruch auf zeitlose Gültigkeit brauchen einen Anlassfall, so sie nicht selbst durch einen solchen entstanden sind. Auf der Suche nach einem Anlass, um eine Lehre aus dem Fall Elke Lichtenegger zu ziehen, der Ö3-Moderatorin, die wegen einer Nörgelei am heimischen Musikschaffen hingerichtet wurde, stellten wir in der jüngsten profil-Montagssitzung fest: Um über das Phänomen Shitstorm zu schreiben, erübrigt sich die Wartezeit auf eine gute Gelegenheit.

Wer „News“ zu „Shitstorm“ googelt, bekommt 10.900 Treffer, zu einem guten Teil individuelle Fälle aus der nahen Vergangenheit. Shitstorm bläst immer, stinkt überall. Siehe oben. (Die profil-Geschichte wird bald erscheinen.)

Ein idealer Aggregatzustand für Redefreiheit in demokratischen wie auch unter oppressiven Verhältnissen? Oder doch die digitale Version von feiger Vernaderung und brutaler Hexenjagd? Ich bin skeptisch. Die Meinungsäußerung im Netz, in sozialen Medien hat Maß und Ziel verloren, passiert außerhalb jeder Selbstregulierung und Kontrolle.

Eben diese Freiheit von Beschränkungen berge ja den Charme und die Effektivität des neuen Mediums, so die Apologeten. Hier seien die Inhalte keiner Zensur unterworfen, dort nämlich, wo ansonsten hierarchische Strukturen Öffentlichkeit verhindern würden. Meinungsmanipulation, wie sie auch in offenen Gesellschaften der Normalfall sei, wäre im Netz unmöglich. Und schließlich: Der Zugang zu dieser Öffentlichkeit stehe in sozialen Medien allen frei, nicht nur finanzstarken und systematisch vernetzten Eliten.

Ich halte dagegen. Ich bezweifle, dass wir hier überhaupt von „Meinungen“ in „Medien“ sprechen. Wer Postings, Nachrichten, Tweets im Auge eines Shitstorms (und oft auch im Normalbetrieb des digitalen Apparates) durchwühlt, sieht wenig, was einer sinnvollen Wortbedeutung von „Meinung“ gerecht würde. Vielmehr findet sich da mehrheitlich eine Agglomeration von anonymen Beschimpfungen und nicht überprüften wie auch unüberprüfbaren Anschuldigungen. „Sozial“ aufgesetzt ist das alles ohnehin nicht. Und ein „Medium“ liegt nur in jener neuen Bedeutung des Wortes vor: als Verbreitungskanal. Bei einem klassischen journalistischen Medium hätten die Autoren zumindest ein Minimum an Faktencheck und Einordnung vorgenommen. Sie hätten im Idealfall die Betroffenen zu Wort kommen lassen. Vor allem aber wären die Autoren mit ihrem Namen gegenüber der Öffentlichkeit und der Rechtsordnung geradegestanden (dazu weiter unten im Text).

Am Beispiel Elke Lichtenegger: Sie hat sich genau nichts zuschulden kommen lassen. Was ihr dann widerfuhr, entsprach durch jene Intensität, zu der nur das Netz fähig ist, einem körperlichen Missbrauch. (Die Haltung des ORF in dieser Angelegenheit war übrigens beschämend.) Oder der erwähnte Museumsdirektor: Klaus-Albrecht Schröder hatte in einer Talkshow differenziert über sein Kindheits-Dialekt-Trauma gesprochen. Vom digitalen Mob (und einem Print-Artikel) wurde der Albertina-Direktor daraufhin als Dialekthasser verleumdet. Zu Recht meint Schröder, die Angst vor dem Netz führe zur „Selbstzensur“, nehme „die Chance, denkend zu reden“. Und schließlich Mario Plachutta: ein Shitstorm samt Flashmob vor seiner Wiener Gaststätte, Neidgossip über seine Leidenschaft für teure Autos, Skurriles rund um seine Sammelwut für Habsburgisches. Warum der Plachutta-Mitarbeiter wirklich entlassen wurde, weiß ich aber bis heute nicht. (Die Story vom gestohlenen Zucker, mit dem der Name Plachutta dank Internet nun auf ewige Zeiten verbunden sein wird, glaube ich in dieser Form nicht.)

Was tun gegen jenes Chaos im rechtsfreien Raum, das sich Freiheit für alle nennt, in Wahrheit aber die Freiheit aller anderen bedroht? Zentrale Anforderung: Klarnamen für alle. Die Anonymität im Netz, die Möglichkeit, in sozialen Medien mit Scheinidentitäten zu leben, ist eine Anomalie in unserer Rechtsordnung. Mehr noch: Die Anonymität widerspricht unserer Rechtsordnung, auch unseren gesellschaftlichen Usancen.

Wer im realen Leben einen anderen beschimpft, wird dafür als Person verurteilt. Wer jemanden einer Straf- oder Untat zeiht, muss den Wahrheitsbeweis antreten. Wer einen Unfall im Straßenverkehr verursacht, wird bestraft. Wer einen Schaden verursacht, der zahlt. Im Netz ist Verfolgbarkeit mangels Ausforschbarkeit des Urhebers nicht erwünscht und nicht möglich. So viel zur Rechtsordnung. Und zu den Usancen – man verzeihe mir den drastischen Vergleich: Die anonyme und durchaus gewünschte anonyme Vernaderung im Dritten Reich ist noch in Erinnerung. Also weg mit der Anonymität, her mit überprüfbaren Identitäten im Netz!

Das hätte noch einen angenehmen Nebeneffekt: Wer seinen Namen bekannt gibt, treibt weniger Unsinn. Vielleicht ganz gut an jenem Tag, an dem sich die Anonymität ex post doch als eine nur scheinbare herausstellt.

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