Christian Rainer: Sie haben recht, Herr Wolf ...

Die Innenministerin und der designierte Verteidigungsminister in der „ZIB 2“ am vergangenen Mittwoch – ein entscheidender Moment in der Flüchtlingsdebatte und ein miserabler Auftritt: ausweichend, ahnungslos, eingeschüchtert, unglaubwürdig. Ein Vorschlag, wie Johanna Mikl-Leitner und Hans Peter Doskozil gegen Armin Wolf hätten bestehen können.

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„Sie haben recht, Herr Wolf. Wir verwenden zwei unterschiedliche Begriffe. Wir bezeichnen die Zahl der Flüchtlinge, die Österreich pro Jahr maximal aufnehmen kann, als Obergrenze und als Richtgröße. Dieser scheinbare Widerspruch erklärt sich natürlich daraus, dass unsere Parteien auch unterschiedliche Zugänge zum Flüchtlingsproblem haben. Wäre es nicht so, hätten wir also bei einem so wichtigen und so komplexen Thema dieselben ideologischen und praktischen Zugänge, dann wären wir ja eine Einheitspartei. Wir hätten dieselben gesellschaftspolitischen und wirtschaftlichen Meinungen. Aber wir sind eben Volkspartei und SPÖ. Und gerade weil wir Kompromisse suchen müssen, wird aus den verschiedenen Haltungen oft etwas Besseres. Die Ecken und Kanten werden abgeschliffen. Die Extrempositionen werden eingefangen. Das Ergebnis passt meist gut. Es erhält das Gleichgewicht in der Bevölkerung. Alle Bürgerinnen und Bürger sind repräsentiert. Das unterscheidet diese Koalition und diese Parteien von den Freiheitlichen: Wir wägen ab. Wir diskutieren, manchmal streiten wir auch öffentlich. Jeder kann unsere Standpunkte sehen. Aber dann einigen wir uns – weil wir die Gedanken des jeweils anderen mitgedacht und einbezogen haben.

Bei der Flüchtlingsfrage war es so: Die ÖVP hatte eine härtere Linie bezogen. Außenminister Kurz war ja der Erste, der die Suggestivfrage stellte, ob Österreich wirklich 100.000 Flüchtlinge pro Jahr verträgt, der also nach der Festlegung einer Obergrenze verlangte. Die SPÖ hingegen – allen voran Bürgermeister Häupl – hat stets den Wunsch in den Vordergrund gestellt, jedem müsse geholfen werden, der in Lebensgefahr aus seiner Heimat flieht. Wenn Sie so wollen, Herr Wolf, zeigt also die Sozialdemokratie hier durchaus christlich-soziale Werte, während die Christlichsozialen früh einen profanen Blickwinkel gewählt haben. In der Folge nennen die einen das nun Obergrenze, die anderen sagen Richtgröße dazu. Ja – geschenkt! –, wir halten das auch auseinander, um unser Gesicht zu wahren.

Ein Widerspruch, Herr Wolf, ist es aber noch lange nicht, wenn wir verschiedene Bezeichnungen wählen. Fast alle von uns denken, dass diese 37.500 anerkannten Asylwerber pro Jahr jene Zahl ist, die Österreich verkraften kann. Werden es mehr, dann bekommen wir kurzfristig keine Quartiere, ohne die Bevölkerung mit all den Migranten und ihren Eigenheiten zu überfordern. Spätestens im zweiten, dritten, vierten, fünften Jahr – also am Schluss mit 500.000 Flüchtlingen – würde das Land ins Chaos gestürzt: erstens ökonomisch, weil die Beherbergung teuer ist und die Arbeitslosenzahlen explodieren würden; zweitens gesellschaftlich, weil sehr viele Muslime ins Land kämen und sehr viele Kinder ohne Sprachkenntnisse in die Schulen; und drittens politisch, weil in der Folge rechtsextreme Gruppierungen die Macht ergreifen würden.

Herr Wolf, Sie haben nicht recht, wenn Sie glauben, dass dieser Richtwert nicht exekutierbar ist.

Und ja, Herr Wolf, natürlich sind 37.500 nur eine Schätzung, eine Vermutung. Die Zahl ist aber vor allem ein Kompromiss – ein Kompromiss zwischen unserem Mitgefühl für alle Notleidenden auf der Welt und unserer Verantwortung für dieses Land.

Aber, Herr Wolf, Sie haben nicht recht, wenn Sie glauben, dass dieser Richtwert nicht exekutierbar ist. Da brauchen Sie jetzt gar nicht das Wort ‚Schießbefehl‘ auf den Lippen tragen. Diese Obergrenze ist mit gerade noch humanen Mitteln und mit rechtlich einwandfreien Maßnahmen durchsetzbar. Wir müssen die Bedingungen für Flüchtlinge so lange verschlechtern – Gott und Karl Marx mögen uns die Ausdrucksweise verzeihen! –, bis wirklich nur mehr die ganz Desperaten von zu Hause flüchten und aus den Lagern aufbrechen, bis sich darüber hinaus durchspricht, dass in Österreich keine besseren Bedingungen herrschen, keine besseren Zukunftschancen gegeben sind als in allen anderen EU-Staaten. Das funktioniert mit einer Minimierung der Betreuung, mit extrem genauer Kontrolle an der Grenze, allenfalls auch mit der Nichtbearbeitung von Anträgen. Alleine mit der Abweisung und Abschiebung aller Menschen, die aus sicheren Drittländern kommen, lässt sich die Zahl theoretisch fast gegen null reduzieren – klar innerhalb von Flüchtlingskonvention und Dublin-Vereinbarung.

Herr Wolf, Sie haben zwar recht mit der Anmerkung, dass dies nicht zwingend zu einer Gesamtlösung führt. Das Problem wird vielleicht nur verschoben. Aber für Österreich ist die Begrenzung ohne Alternative, weil fast alle anderen EU-Mitglieder schon länger ähnlich egoistisch handeln. Wir können nicht weiter zuwarten. Vielleicht aber kommt Europa ja auch mit unserer Entscheidung zu einer gemeinsamen Vernunft.

Und nein, Herr Wolf, halten Sie uns nicht Zitate vor, wonach wir vor einigen Monaten anderes gesagt haben! Wir konnten nicht mit derart vielen Flüchtlingen rechnen. Wir konnten auf eine europäische Lösung hoffen. Wir haben uns immer im Rahmen des Möglichen zugleich menschlich und realitätsnah verhalten.

Und bevor Sie uns das vorwerfen: Wir sind nicht eines Besseren belehrt worden, wir haben vielmehr in der jeweiligen Situation das jeweils Beste getan.“