Leitartikel: Christian Rainer

Christian Rainer Töten wir unsere Enkel?

Töten wir unsere Enkel?

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Klingt ein wenig überraschend, stimmt aber: Die Titelgeschichte dieser Woche ist die wichtigste in beinahe 40 Jahren profil. Der AKH-Skandal war spannender, Karl-Heinz Grassers permanenter Unterschleif unterhaltsamer, und die minutiöse Aufarbeitung des Nationalsozialismus bleibt für mehrere Generationen von Österreichern der ­entscheidende moralische Kontext. Aber wenn es um den physischen Fortbestand der gesamten Menschheit geht – und zwar über schlappe 100 oder 200 Jahre hinaus –, dann relativieren sich doch manche Fragestellungen.

Einspruch: Geht es wirklich um die Frage, ob der Mensch kurzfristig überleben wird? Oder ist eine derartige Schlagzeile Alarmismus eines Magazins, eine journalistische Zuspitzung, die allenfalls durch eine tatsächlich darstellbare ernste Lage gerechtfertigt wäre? Mitnichten. Das deutsche Wochenblatt „Die Zeit“ interviewte für seine aktuelle Ausgabe den neuen deutschen Umweltminister Norbert Röttgen. „Wir werden sonst nicht überleben“, das ist ein Röttgen-Zitat, von der „Zeit“ zum Titel erhoben. „Sonst“ ist in diesem Zusammenhang ein recht bedrohliches Wort. Denn der coole Deutsche verweist damit auf die Veränderungen, die stattfinden müssen, damit der Extremfall nicht eintritt, nämlich der Tod der Gattung Mensch innerhalb recht kurzer Zeit.

Es sind exakt jene Veränderungen, die profil zur Basis seiner keineswegs alarmistisch verankerten Geschichte gemacht hat. Der Gleichklang ist Programm. Bei dem Zukunftsszenario von Röttgen und profil handelt es sich nämlich um den Konsens der globalen wissenschaftlichen Community, ein Ausblick, der von kaum jemandem mehr angezweifelt wird.

Leider ist das Szenario, das uns vor dem Aussterben bewahren kann, nicht nur Konsens, sondern auch Utopie. Um den Menschen mit einiger Wahrscheinlichkeit zu retten, darf die durchschnittliche Temperatur auf der Erde um nicht mehr als zwei Grad Celsius ansteigen. Bei einer massiveren ­Erwärmung würde der „Großteil der Weltbevölkerung“ wegen Wassermangels und Dürre nicht überleben, konstatiert auch die prominente österreichische Klimaforscherin Helga Kromp-Kolb.

Zwei Grad also. Damit die Fieberkurve sich bei diesem Wert abflacht, muss die Staatengemeinschaft den Kohlendioxid-Ausstoß bis zur Mitte des Jahrhunderts um 80 Prozent reduzieren. Bis 2100 müssen die Emissionen beinahe auf null reduziert sein (Details in der Titelgeschichte).

Das heißt: Innerhalb von drei Generationen, ab heute gerechnet, darf es keine Verbrennungsmotoren mehr geben. Kein Auto, kein Lastwagen, kein Flugzeug darf mit Benzin, Diesel, Kerosin oder Gas angetrieben werden. Keiner dieser Brennstoffe darf zum Heizen oder zum Kühlen von Gebäuden oder in der industriellen Produktion verwendet werden. Bedauerlicherweise gilt das auch für alle Kraftwerke, die mit fossiler Energie Strom erzeugen. Elektromotoren, Elektroheizungen und Klimaanlagen können also nur so weit in Betrieb bleiben oder gar die Arbeit von Ottomotoren und Turbinenantrieben übernehmen, als dabei Elektrizität aus Sonnen- oder Windenergie, Kern- oder Wasserkraft eingesetzt wird. In den Worten des deutschen Umweltministers: „Wir müssen in Kürze fast vollständig auf die Verbrennung von Kohle, Öl und Gas verzichten.“

Sonnenvoltaik im trüben Salzkammergut also, Atomkraftwerke in jedem Hinterhof (solange der Brennstoff reicht), Fahrräder auf der Route 66. Und natürlich Elektroflugzeuge sowie ein generelles Rauchverbot. Das klingt satirisch, ist aber realistisch. Und völlig utopisch.

Was tun? Unter normalen Umständen würde niemand versuchen, dieses Problem zu lösen. Begründung: aussichtslos. Die Aufgabe erscheint allein aus technischen Gründen, also auf Basis der heutigen Wissenschaft, logisch nicht zugänglich. Wie etwa soll die Weltbevölkerung ernährt werden, wenn die industrielle Herstellung von Düngemitteln unterbunden wird? Andererseits ist auch die Dimension der notwendigen Veränderungen kaum darstellbar. So müsste unter anderem eine Reduktion aller globalen ­Mobilität, Industrie- und Agrar­produktion, Heizung und Kühlung durchgeführt werden – auf jenes Level, das mit ­einiger Wahrscheinlichkeit am Ende dieses Jahrhunderts über erneuerbare Energien erreicht werden kann. Das entspricht mit ebenso großer Wahrscheinlichkeit einer Minimierung auf einige wenige Basisfunktionen des menschlichen Daseins.

Darüber hinaus und zu allem Überdruss fehlt auch der politische und gesellschaftliche Wille, das Problem zu lösen oder auch nur in seiner ganzen Fatalität zu erkennen. Was derzeit an Maßnahmen zur Eindämmung des Klimawandels ernsthaft betrieben wird, grenzt in seiner Kläglichkeit vielmehr an Beihilfe zum Menschheitsmord.

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