Schrägstriche sind schön, außer sie dienen dem Gendern

Elfriede Hammerl: Böses G-Wort

Böses G-Wort

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Ein schlichtes Binnen-I und so viel Wut. Ein paar hundert sprachsensible Zeitgenossen (Zeitgenossinnen sind auch darunter, aber sie sind zufrieden, wenn sie sich mitgemeint fühlen dürfen) können es nicht länger ertragen. Das Binnen-I, der Schrägstrich, die Klammer, das hochgestellte a – alles pfui und wider die „sprachliche Normalität“, schreiben sie in einem offenen Brief an die Bildungsministerin und den Wissenschaftsminister, mit der Forderung, dergleichen abzuschaffen.

Weil, erstens: ist alles hässlich. (Gut, lasst uns schiache Buchstaben, Interpunktionszeichen, Rechtschreibregeln eliminieren. Wem missfällt das Semikolon? Wer ist fürs Hinauswerfen des Schrägstrichs überhaupt? Ach, Schrägstrich nur verboten, wenn er dem Sichtbarmachen beider Geschlechter dient? Sonst schön? Interessant.)

Weil, zweitens: macht Texte unlesbar. (Auch Kollegin Rosemarie Schwaiger stimmte diesem Argument im vorwöchigen profil heftig zu.) Na geh. Ich verwende das Binnen-I in dieser Kolumne seit vielen Jahren, und der Vorwurf der Unlesbarkeit ist mir noch nie gemacht worden, nicht einmal von fanatischen Emanzenfressern. Gendern heißt nämlich nicht, Binnen-I, Schrägstrich und Ähnliches wie wild aneinander zu reihen, sondern beide Geschlechter in Texten ausreichend vorkommen zu lassen, mal beides ausgeschrieben, mal abwechselnd, mal durch die Verwendung neutraler Ausdrücke, mal eben durch optische Symbole.

Im Übrigen ging es nie darum, der Poesie oder der Belletristik das Gendern anzuschaffen. Verlangt wird, dass Gesetzestexte, amtliche Broschüren, Verordnungen, wissenschaftliche Arbeiten in einer Sprache abgefasst sind, die auf Männer wie auf Frauen Bezug nimmt. Von Broschüren abgesehen (die mit den oben beschriebenen Methoden problemlos verständlich formuliert werden können) sind derartige Texte oft sperrig, teils wegen der erforderlichen Präzisierungen, teils möglicherweise aus mangelndem Formulierungsgeschick der VerfasserInnen. Sie würden sich jedoch auch ungegendert nicht lesen wie ein Unterhaltungsroman. Das wurde bisher anstandslos akzeptiert. Jetzt plötzlich soll das AGBG daherkommen, als wär’s von Rosamunde Pilcher.

Weil, drittens: erschwert Kindern und Menschen, die Deutsch als Fremdsprache erwerben, das Erlernen bzw. ­Schreiben der Sprache. Im Ernst? Deutsch ganz einfach, aber nur ohne Binnen-I?

Und weil, viertens: der Artikel „die“ eh häufiger in Texten vorkommt als „der“. Sagt die Sprachfrequenzforschung, behaupten die Briefschreiber. Ah so. Wenn der Lehrer auf die Bank geht, ist die Lehrerin in diesem Satz genügend ­berücksichtigt – oder?

Fassen wir zusammen: Großbuchstaben, Schrägstriche oder Klammern sind okay, außer sie dienen dem Gendern.Sperrige Texte sind okay, außer sie sind gegendert, dann sind sie nur deswegen sperrig. Und alle Schwierigkeiten der deutschen Sprache – inklusive der Groß- und Kleinschreibung, deren Sinnhaftigkeit sich auch nach der Rechtschreibreform der Logik entzieht – sind vernachlässigbar, weil Deutschlernende wenn, dann übers Binnen-I stolpern.

Was zeigt uns das? Alles paletti, heile Welt quasi, solange das Gendern nicht zuschlägt, der Gender-Wahn, hinter dem kämpferische Sprachfeministinnen (Wortwahl der Briefverfasser) stehen, hinter denen die Feministinnen stehen. Oder der Feminismus. Der Feminismus ist das Übel, schuld an allem, was uns gegen den Strich geht.

Das Absurde an der vehementen Debatte ist, ­dass die Feministinnen als verantwortlich für die Missstände gesehen werden, die sie in Wahrheit bekämpfen bzw. überhaupt erst zur Sprache gebracht haben, von der Einkommensschere bis zur Dreifachbelastung. Kollegin Schwaiger führt zum Beispiel die niedrigeren Pensionen von Frauen auf ihr von Johanna Dohnal (Achtung, Feminismusikone!) durchgesetztes niedrigeres Pensionsalter zurück. Jedoch differiert das tatsächliche Antrittsalter – anders als das gesetzliche – nur um etwa anderthalb Jahre, denn auch Männer arbeiten durchschnittlich nicht bis 65. Ob diese anderthalb Jahre den eklatanten Einkommensunterschied rechtfertigen, ist zu bezweifeln.

Man/frau muss das Binnen-I nicht lieben. Aber warum dieser verzweifelte öffentliche Aufschrei, diese Weltuntergangsbeschwörung? Was treibt die Damen und Herren an, die gegen das Gendern auftreten, als wäre es die Pest?

Während die männlichen Unterzeichner den Eindruck erwecken, als hätten sie einfach endgültig genug davon, Frauen an die Futterkrippen zu lassen, dominiert bei den Frauen, die sich positiv zum offenen Brief äußern, der Frust über alles, was viele Frauenleben nach wie vor extra mühsam macht. Wobei sie allerdings Ursache und Wirkung vertauschen und so tun, als hätten dumme Feministinnen die falschen Schwerpunkte gesetzt. Auch der Vorwurf des Zwangs zur Karriere taucht wieder auf – als wären Frauen erwerbstätig, um ihre natürliche Bestimmung zur reichen Erbin zu verleugnen.

Na dann. Schafft das Binnen-I ab, Schwestern (falls diese nostalgische Anrede erlaubt ist), und wartet, was dadurch besser wird. Ihr werdet lange warten.

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