Georg Hoffmann-Ostenhof

Georg Hoffmann-Ostenhof Im Schatten des Chlorhuhns

Im Schatten des Chlorhuhns

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profil hat in der Ausgabe der vergangenen Woche unter dem launigen Titel: „Ein Pakt mit dem Chlorhühnchen“ einen Artikel über das Transatlantische Handels- und Investitionsabkommen TTIP veröffentlicht. Die Autoren Anna Giulia Fink und Robert Treichler, die sich mit den Kritikern der US-europäischen Verhandlungen Punkt für Punkt auseinandersetzen, kommen darin zu folgendem Schluss: Die Befürchtungen der Gegner, dass solch ein Freihandelsabkommen einem Angriff auf Gesundheit, Umwelt und Demokratie gleichkomme, sind weitgehend unbegründet, Panik nicht angebracht.

Kaum war das geschrieben, weht bereits ein kleiner Shitstorm – oder besser: ein Shitlüftchen – durch den heimischen Cyberspace. Grundtenor: Die profil-Autoren seien von unlauteren Motiven geleitet. Um nur die Intelligentesten zu nennen, die solche Vermutungen anstellen: Der künftige grüne EU-Abgeordnete Michel Reimon wies die Twitter- und Facebook-Gemeinde darauf hin, dass profil über die Verlagsgruppe News zu Gruner+Jahr gehört – und damit zu einem Unternehmen, das wiederum Teil des Medienmultis Bertelsmann ist. Dieser habe ein „vested interest“ an grenzenlosen Geschäften und agitiere deshalb für TTIP. Auch wenn er es nicht direkt sagte: Letztlich stellt Reimon damit in den Raum, die profil-Autoren seien Büttel von Bertelsmann.

In der Version unseres alten Freundes und Medien-Intellektuellen Robert Misik geht es profil bloß um Originalitätshascherei – unter dem Motto: „Gegen den linken Mainstream anschreiben“, das verschafft Aufmerksamkeit.

Auf die konkrete Argumentation im profil gehen die beiden jedoch kaum ein. Man gewinnt den Eindruck, dass sie vor allem danach trachten, gleich zu Anfang der TTIP-Debatte die Deutungshoheit zu gewinnen.
Ein Déjà-vu: In den späten 1980er- und frühen 1990er-Jahren wollten Linke, Gewerkschafter und Grüne (und auch Rechtspopulisten) auf Teufel komm raus den Beitritt zur EU verhindern. War für sie die EU damals bloß ein Projekt des Großkapitals zur Unterwerfung Österreichs, so werden heute von der gleichen Koalition die euro-amerikanischen Verhandlungen als Komplott der großen Konzerne und ihrer mächtigen Lobbyisten dargestellt. Erschien den EU-Beitrittsgegnern damals Brüssel als – jeglicher demokratischer Kontrolle entzogenes – Bürokratie-Monster, so stilisieren sie heute das vernünftigerweise geplante, von Washington und Brüssel paritätisch beschickte Schiedsgericht, das bei Konflikten zwischen Investoren und Staaten schlichten soll,zu einem „Schattengericht“ hoch – ein Gremium von Dunkelmännern, das die Demokratie auszuhebeln droht.
Man kann sicherlich auf mehr Transparenz der US-europäischen TTIP-Verhandlungen drängen. Und natürlich muss die Öffentlichkeit achtgeben, dass bei der Harmonisierung und bei gegenseitigen Anerkennungen von ökonomischen Standards ökologische, soziale und demokratische Errungenschaften nicht unterlaufen werden: Das ist ja aber auch Gegenstand der sicher hart geführten Verhandlungen.
Was ist – wie behauptet – so besonders undemokratisch am TTIP? Sowohl das Europäische Parlament als auch der Rat müssen dem Freihandelspakt zustimmen, bevor er in Kraft treten kann.

So. Jetzt möchte auch ich Vermutungen über Motive anstellen. Nein, nicht über unlautere, sondern über ideologische: Hinter der so vehementen Ablehnung von TTIP steckt eine grundsätzliche und viszerale Gegnerschaft gegenüber freien Märkten und freiem Handel. Und ein tief sitzender Verdacht, dass prinzipiell und automatisch die Interessen von (besonders amerikanischen) Großkonzernen jenen der Menschen diametral entgegengesetzt sein müssen.

Dem kann freilich die Empirie entgegengehalten werden: 2014 jährt sich zum 20. Mal die Gründung der Welthandelsorganisation WTO. 1994 wurden konkrete Schritte zur Liberalisierung des globalen Handels mit Gütern und Dienstleistungen beschlossen. Natürlich brachte das auch den Multis Profite. Aber seit damals hat sich der Welthandel im Volumen vervierfacht. Eine Phase fantastischen ökonomischen Wachstums eines Teils der damaligen „Dritten Welt“ begann, ein beeindruckender Aufholprozess der sogenannten „emerging states“ setzte ein. Und bei aller berechtigten Kritik an den neoliberalen Verwerfungen: In diesen 20 Jahren wurden mehr Menschen aus der Armut herausgeholt als in der ganzen Weltgeschichte davor.

Ebenfalls vor fast 20 Jahren wurde Österreich EU-Mitglied. Und da mag man nun auf die Krise der Union hinweisen, aber die Teilhabe am Binnenmarkt kann doch gerade für unser Land nur als Erfolgsgeschichte gesehen werden. Wir haben einen erfreulichen Modernisierungsschub erlebt.
Die Schaffung eines gemeinsamen – weitgehend barriere- und zollfreien – Marktes von USA und EU, den zwei größten Volkswirtschaften der Welt, ist ein gewaltiges Zukunftsprojekt. Dieses verspricht nicht nur mehr Wachstum und Arbeitsplätze, was für das stagnierende Europa von größter Wichtigkeit ist. TTIP hat auch elementare politische Bedeutung: Gerade in einer Zeit, in der allerorten wieder nach Abschottung gerufen wird, Renationalisierung en vogue ist und die Versuchung des Protektionismus wächst, wäre der erfolgreiche Abschluss der TTIP-Verhandlungen ein segensreicher Kontrapunkt – ein Weg ins Offene.

All das sollten die kleinmütigen und ängstlichen Freihandelsgegner bedenken.

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