Georg Hoffmann-Ostenhof: Wir Türkenfresser

Christian Kern schlägt populistische Töne gegenüber Ankara an – es ist sein erster großer Patzer.

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Fraglos stellt Christian Kern einen Lichtblick in der so düsteren Politlandschaft Österreichs dar. Und bedenkt man das Heer der Haxlsteller, das ausgerückt ist, um ihn gleich am Anfang seiner Kanzlerschaft zu Fall zu bringen, grenzt es geradezu an ein Wunder, dass er bisher noch nicht gestolpert ist. Bis vergangenen Donnerstag. Mit seinen jüngsten Äußerungen zur Türkei ist ihm nun der erste grobe Patzer passiert.

Kern fordert den Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei. Das hat vor ihm noch kein EU-Regierungschef getan. Dementsprechend scharf waren die Reaktionen. Aus Ankara sowieso. Aber auch in Brüssel und den anderen europäischen Hauptstädten, allen voran Berlin, zeigte man sich höchst verärgert über den österreichischen Vorstoß.

Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker kontert Kern: Den Türken jetzt die Türe zuzuschlagen wäre „ein schwerer außenpolitischer Fehler“. Und quasi als Sprecher der deutschen Kanzlerin Angela Merkel stellte der CDU-Europapolitiker Elmar Brok klar, dass er den Wiener Vorschlag für eine unnötige und gleichzeitig gefährliche Provokation gegenüber den Türken halte.

Ein Plädoyer für einen Abbruch macht keinen Sinn, es befriedigt bloß jene nationale Öffentlichkeit, die seit eh und je die Türken nicht mag.

Unnötiger kann Kerns Demarche tatsächlich nicht sein. Niemand in der EU glaubt, dass der Türkei-Beitritt in absehbarer Zeit erfolgen kann. Die Verhandlungen um eine Mitgliedschaft sind sowieso auf das Minimum zurückgefahren. Ein Plädoyer für einen Abbruch macht keinen Sinn, es befriedigt bloß jene nationale Öffentlichkeit, die seit eh und je die Türken nicht mag.

Es muss Kern jedenfalls zu denken geben, dass just Außenminister Sebastian Kurz, der Kopf jener Hardliner-Fraktion in der ÖVP, die alles dazu tut, um ihn zu demontieren, ihn nun mit Gusto gegen Angriffe des Auslands verteidigt. Es ist die gleiche Fraktion, die es – gemeinsam mit der burgenländischen SPÖ, vertreten durch Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil – eher mit Viktor Orban als mit Angela Merkel hält und dem EU-türkischen Flüchtlingspakt schon immer den Garaus machen wollte. Und Heinz-Christian Strache freut sich, dass „Kern mich zu kopieren beginnt“. Gratulation.

Gewiss: Die gewaltigen Massenverhaftungen und -säuberungen, die Präsident Erdogan in Anschluss an den Putschversuch inszeniert, erschrecken ungemein. Dass er sich auf dem Weg in die Autokratie befindet, ist unbestritten. Ob er diesen aber bis zum Ende geht, ist keineswegs klar. Und bei aller Abscheu vor der vom Sultan losgetretenen Repressionswelle wird oft vergessen, dass es sich am 15. und 16. Juli keineswegs um einen Operetten-Staatsstreich gehandelt hat. Da wurde direkt in Menschenmengen geschossen, Flugzeuge bombardierten das Parlament in Ankara und Erdogan selbst ist nur knapp dem Tod entgangen.

Ein Abbruch der Beitrittsverhandlungen – und seien diese momentan auch eher virtuell – würde nur die autoritären Tendenzen am Bosporus drastisch verstärken.

Die Türken, die in dieser Nacht en masse auf die Straße gingen, haben tatsächlich die Demokratie gegen das Militär verteidigt. Und wenn sie jetzt mit Erdogan-Bildern (in türkischen, aber auch EU-Städten) demonstrieren, jubeln sie nicht nur einem – im Übrigen demokratisch gewählten – autoritären Politiker zu, sondern feiern auch den eigenen Sieg über die Putschgeneräle. So widersprüchlich ist die Wirklichkeit.

Ein Abbruch der Beitrittsverhandlungen – und seien diese momentan auch eher virtuell – würde nur die autoritären Tendenzen am Bosporus drastisch verstärken. Niemandem wäre geholfen. Jedenfalls hieße das ein Aus für das EU-türkische Flüchtlingsabkommen. Und das wäre fatal. Denn es wirkt. Zwar tragen auch die geschlossenen Grenzen auf dem Balkan zur Reduktion der Flüchtlingszahlen in Europa bei, aber ohne den Deal mit Ankara hätten wir ähnlich katastrophale Verhältnisse wie im vergangenen Jahr. Dass es ihn gibt, verschafft der EU die Zeit, das Chaos in der eigenen Asylpolitik zu ordnen.

Es zeichnet sich im Moment keine gangbare Alternative ab. Gerald Knaus vom Thinktank ESI, jener Mann, der das Abkommen mitkonzipiert hat, malt ein Horrorszenario: Ohne den Deal und mit geschlossenen Grenzen „würde Griechenland zu einer Art der EU vorgelagerten Insel werden, so wie Nauru, wo Australien seit Jahren ankommende Flüchtlinge einsperrt.“ Genau dieses „Australische Modell“ hat Kurz bekanntlich schon propagiert.

Die EU wäre also gut beraten, auch da weiter auf Verhandlungen zu setzen und Flexibilität zu zeigen.

Noch eins: An der Visa-Frage sollte das Flüchtlingsabkommen nicht scheitern. Dass die Visapflicht für die Türkei nicht schon längst abgeschafft ist, so wie für Mazedonien, Montenegro und Serbien – auch nicht gerade Westminster-Demokratien –, wird in Ankara seit Langem als feindseliger Akt der EU gesehen. Zu recht. Zudem würde eine von der EU geforderte Änderung der Definition von Terrorismus im türkischen Antiterrorgesetz – angesichts des ausgerufenen Ausnahmezustands – nichts an der Situation der verfolgten Journalisten oder Oppositionellen ändern. Und es geht nur

Die EU wäre also gut beraten, auch da weiter auf Verhandlungen zu setzen und Flexibilität zu zeigen. Es steht viel auf dem Spiel. Schließlich kann man nur hoffen, dass Christian Kerns Türkei-Sager der sommerlicher Ausrutscher eines außenpolitisch noch nicht sattelfesten Politikers bleibt und der österreichische Kanzler spätestens im Herbst gelernt haben wird, populistischen Versuchungen zu widerstehen. So turbulente Zeiten verlangen staatsmännisches Handeln.

Georg Hoffmann-Ostenhof