Das gelobte Land des Sebastian K.

Welchen Staat hält Ex-Kanzler Kurz für nachahmenswert? Das erraten Sie nie.

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Der österreichischen Politik ist Sebastian Kurz aus Gründen, die noch gerichtlich geklärt werden, abhandengekommen. Doch das „political animal“ (Kurz über Kurz) verspricht in einem Interview mit der „Financial Times“, er werde „jemand bleiben, der eine politische Meinung hat“. Vorvergangene Woche etwa verfasste er für die in Abu Dhabi beheimatete Zeitung „The National“ einen äußerst aufschlussreichen Gastkommentar. Man darf sich bloß nicht vom drögen Titel „Es ist kein Zufall, dass die Vereinigten Arabischen Emirate globale Talente anziehen“ abschrecken lassen. In Wahrheit nämlich offenbart der Ex-Kanzler, dem Sehnsüchte nach einem politischen Comeback nachgesagt werden, in dem Text, wie er sich ein modernes Staatswesen vorstellt. Und das könnte für uns schließlich noch von Belang sein.

Der Schluss des Ex-Kanzlers: Da, wo die Reichen hingehen, muss das Leben am lebenswertesten sein.

Kurz geht empirisch an die Sache heran und zieht den „Private Wealth Migration Report“ des Londoner Beratungsunternehmens Henley & Partners zurate. Dieser Bericht erhebt jährlich, wie viele „High Net Worth Individuals“ (gemeint sind Reiche) ein- und auswandern. Der Schluss des Ex-Kanzlers: Da, wo die Reichen hingehen, muss das Leben am lebenswertesten sein, und weil die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) in diesem Jahr mit einer erwarteten Nettoeinwanderung von 10.000 Reichen ganz vorn liegen, hat Kurz keine Zweifel mehr: Die VAE haben „einen funktionierenden, agilen und ehrgeizigen Staat gebaut“.

Dass die aus aller Welt herbeieilenden Hochwert-Individuen davon angezogen werden, dass es in den VAE keine Einkommenssteuer gibt und die Unternehmenssteuer mit neun Prozent sogar unter den Golfstaaten die niedrigste ist, versucht Kurz kleinzureden. Er sieht andere Gründe, für die er die Regierung der VAE überschwänglich lobt: Sicherheit, Lebensqualität und Effizienz. Dies seien die Kriterien für den Erfolg im globalen Wettbewerb, und das hätten die VAE verstanden, meint Kurz. Der Ex-Bundeskanzler geht so weit, Europa die Vereinigten Arabischen Emirate als Vorbild zu präsentieren.

Na gut, sehen wir genauer hin.

Wie steht es um die Sicherheit und Lebensqualität in den von Kurz gelobten Emiraten? Die Antwort hängt unter anderem davon ab, ob man reiche Expats befragt, die ins Land gekommen sind, um Geld zu scheffeln, oder auch Menschen, denen Demokratie und Bürgerrechte ein Anliegen sind.

Die Fakten: In den VAE sind Parteien und Gewerkschaften verboten. Laut dem Länderreport des US-Außenministeriums aus 2024 gibt es Berichte über Personen, die in Behördengewahrsam verschwunden sind oder die ohne Anklage in Einzelhaft gehalten werden. Die freie Meinungsäußerung sei eingeschränkt, Kritik an den nationalen Herrschern ebenso wie Forderungen nach demokratischen Reformen verboten. Die Medienbehörde zensuriere, was die „soziale Stabilität“ gefährde, so das US-Außenministerium.

Kurz bejubelt, dass Abu Dhabi im weltweiten (nicht repräsentativen) „Kriminalitäts- und Sicherheits-Index“ des Online-Befragungsunternehmens Numbeo zum neunten Mal hintereinander auf Platz eins liegt. Nicht sicher vor Verhaftung zu sein, weil man Kritik an der Regierung geübt hat, fließt in diese Bewertung nicht ein.

Es wäre unfair, die Reformen zu ignorieren, die in den Vereinigten Arabischen Emiraten in jüngster Zeit durchgeführt wurden. Frauenrechte wurden gestärkt, Unverheiratete dürfen als Paar zusammenleben, Arbeitnehmerrechte wurden – wenn auch nicht für alle – gesetzlich verankert. Aber nach wie vor bewerten maßgebliche Organisationen wie Freedom House oder Economist Intelligence Unit die VAE als eindeutig „unfrei“ und „autoritär“.

Dass ein ehemaliger europäischer Spitzenpolitiker wie Kurz das mit demonstrativer Einäugigkeit unerwähnt lässt und bloß davon schwärmt, dass in den VAE „Visa-Beantragungen und Unternehmenseintragungen oft in weniger als 24 Stunden erledigt“ werden könnten, ist armselig.

Wobei Kurz zumindest einen guten Punkt hat: Die VAE hätten längst ein Ministerium für künstliche Intelligenz geschaffen, weshalb gebe es das in der EU nicht? Nun, die VAE etablierten das KI-Ministerium im Jahr 2020. Wer war damals in Österreich an der Regierung und verabsäumte, dasselbe zu tun? Kleiner Hinweis: Es war ein „political animal“.

Robert Treichler

Robert Treichler

Ressortleitung Ausland, stellvertretender Chefredakteur