Mahrer, Wöginger – zum Teufel mit der ÖVP?

Es gibt ausreichend gute Gründe, die ÖVP zum Teufel zu jagen. Und dennoch: Die Republik braucht die ÖVP und die SPÖ. Paradoxerweise ist deren Rolle als staatstragende Parteien gewachsen, seit sie kleiner geworden sind.

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Es gibt ausreichend gute Gründe, die ÖVP zum Teufel zu jagen. Müßig, sie hier alle aufzuzählen, die Cover-Story dieser Ausgabe erläutert, was Mahrer, Wöginger und Co. getrieben, verkorkst und hinterlassen haben. Sie haben Gier, Selbstherrlichkeit und Realitätsverlust bewiesen, gepaart mit dem arroganten Glauben, halbherzige Entschuldigungen würden den aufgewühlten Pöbel wieder ruhigstellen. Dreister noch, dieselben Leute pflanzen sich bei nächster Gelegenheit wieder vor der Bevölkerung auf, um ihr gönnerhaft zu erklären, wie Wirtschaft funktioniert – weil sie das nun mal am besten wüssten.

Nein, die ÖVP sollte den Begriff „Wirtschaft“ besser nur noch als Synonym für „Wirtshaus“ verwenden, in allen anderen Zusammenhängen kommt uns das Kichern.

Also los, jagen wir die ÖVP zum Teufel? profil-Leitartikel sind dafür die historisch am besten geeignete Textsorte. „Für diese ÖVP gilt daher bis auf Weiteres nur noch ein Diktum: Als Bürgerlicher muss man sich für sie genieren“, beendete etwa Hubertus Czernin, legendärer Herausgeber dieses Magazins, vor drei Jahrzehnten seinen Kommentar zum Zustand der Volkspartei.

Listige Hintertürchen für einen gefallenen Klubobmann sind ebenso untragbar wie präpotente Selbstbereicherung im geschützten Kammerwesen. 

Ich fürchte allerdings, so einfach geht das nicht mehr. Die ÖVP führt eine Regierung an, die nicht zufällig zum ersten Mal aus drei Parteien besteht. Sie selbst ist als relativ größte der drei Schrumpfpartner unverzichtbar. Wenn die Koalitionäre einen scheuen Blick über die Schulter werfen, erkennen sie hinter sich die drohende Kraft, die das System zerstören will.

Die Regierung hat in Wahrheit einen einzigen Auftrag: die Sanierung des Staatshaushalts. Dass Finanzminister Markus Marterbauer in dieser Woche plötzlich feststellen musste, dass seine Budgetzahlen nur noch als Konfetti taugen, wurde als weniger skandalös empfunden als der Mahrer-Fail. Tatsächlich wird uns das immer tiefere Loch in der Kassa der Republik noch beschäftigen, wenn der Name Mahrer nur noch Kammer-Historikern etwas sagt. Im November draufzukommen, dass die Budgetzahlen des laufenden Jahres erheblich danebenliegen, ist ein kapitales Versagen im Zusammenspiel von Ländern und Bund.

Von dieser Regierung werden keine großen Würfe erwartet, sondern Verlässlichkeit, Verantwortungsbewusstsein und sachliche Kompetenz. Diese Hoffnung wurde jetzt gleich mehrfach enttäuscht. Es spielt übrigens für uns Staatsbürgerinnen und Staatsbürger keine Rolle, wer bei den Budgetzahlen wen falsch informiert hat. Wenn mehrere Installateure in meiner Wohnung einen Rohrbruch beheben, ist es mir auch egal, welcher von ihnen dem anderen zu sagen vergessen hat, aus welchem Loch noch Wasser plätschert.

Und dennoch: Die Republik braucht die ÖVP und die SPÖ. Paradoxerweise ist deren Rolle als staatstragende Parteien gewachsen, seit sie kleiner geworden sind. Was mit einem Land passiert, in dem die Mitte-Parteien verschwinden, erlebt derzeit Frankreich. Dort ist die einst bedeutende konservative Partei ebenso implodiert wie die vormals stolze sozialistische Partei. Resultat sind ein Parlament und aufeinanderfolgende liberale Minderheitsregierungen, die seit Jahren daran scheitern, das Pensionsantrittsalter von 62 auf 64 hinaufzusetzen. Populisten von rechts und links haben die Republik in die Zange genommen und das Land quasi unregierbar gemacht. Frankreichs Budgetdefizit nähert sich der Sechs-Prozent-Marke.

Wollen wir so was?

ÖVP, SPÖ und Neos haben bisher beachtlichen Pragmatismus bewiesen und auf ideologische Gefechte verzichtet. Die ÖVP muss sich ihrer Verantwortung als Regierungspartei der letzten Chance klar sein. Hinter ihr liegt die blaue Sollbruchstelle. Listige Hintertürchen für einen gefallenen Klubobmann sind ebenso untragbar wie präpotente Selbstbereicherung im geschützten Kammerwesen. Polithygienische Prinzipien durchzusetzen, ist der Job von Parteiobmann Christian Stocker. Er hat Kickl die Meinung gegeigt, er muss das auch bei den Mahrers und Wögingers tun.

Das ist keine Liebeserklärung an die ÖVP. Aber die Republik braucht sie noch.

Robert Treichler

Robert Treichler

Ressortleitung Ausland, stellvertretender Chefredakteur