Peter Michael Lingens

Peter Michael Lingens

Antisemitismus ist „in“

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Herausragendes Ergebnis der Vorarlberger Wahlen waren zweifellos die fast 38 Prozent, die die FPÖ in der Heimatgemeinde ihres Spitzenkandidaten Dieter Egger errungen hat – in jenem Hohenems, dessen „Jüdisches Museum“ nach seinen Worten von einem „Exiljuden aus Amerika“ geleitet und mit Steuergeld „hoch subventioniert“ wird.

Kaum ein Nachwahl-Kommentar verzichtet daher auf den Hinweis, dass 25 Prozent Vorarlberger FP-Wähler trotzdem keine Nazis sind. Das stimmt insofern, als sie Hitler noch nicht zurückwünschen, um für eine ordentliche Beschäftigungspolitik zu sorgen, und dass sie auch nichts gegen jene ermordeten Juden haben, auf die das Jüdische Museum hinweist. Nur die lebenden Juden sollten sich doch besser nicht bei uns, sondern woanders niederlassen. Nicht unbedingt in Madagaskar oder im Osten, sondern eher an der „Ostküste“, von wo aus sie sowieso die Finanzwelt beherrschen, sodass sie doch wirklich nicht auch noch Profit aus unseren Subventionen schlagen müssten. Statt uns ständig mit dem Holocaust zu kommen, sollten sie besser an ihre Kriegsverbrechen in Gaza denken.

Auch ohne Eggers Dementi ist mir klar, dass er nichts dergleichen gesagt hat – aber das Gros seiner Wähler hat ihn schon richtig verstanden. Antisemitismus bringt wieder Stimmen. Woraus nährt er sich 70 Jahre nach Auschwitz? Basis ist unverändert der gute alte, katholische Antisemitismus, den große Teile der Bevölkerung nach wie vor mit der Muttermilch aufnehmen – im besonders katholischen Vorarlberg in höherer Dosis.

E Das Wissen um den Holocaust vermag diesen Antisemitismus nicht zu ersticken, sondern hält ihn am Leben: Die ­Generation der Söhne und Enkel braucht irgendeine Erklärung dafür, dass die Generation ihrer Eltern und Großeltern das millionenfache Morden nicht verhindert und im schlimmsten Fall daran teilgenommen hat. „Ich bin wirklich kein Anti­semit“, hat mir einer dieser „Söhne“ seine Stimmungslage ­erklärt, „aber irgendwas müssen die Juden doch an sich ­haben, dass sie bis heute überall so unbeliebt sind.“ In dieser Form, als entschuldigende Erklärung, wird sich der Antisemitismus all der Österreicher, die „wirklich keine Antisemiten“ sind, noch Jahrhunderte halten. Zu diesen beiden heimischen Spielarten des Antisemitismus addiert sich der junge politische Antisemitismus, den moslemische Zuwanderer aus ihren Heimatländern mitbringen – besonders stark nach Vorarlberg mit seinem hohen Moslem-Anteil.

Bis vor etwa 40 Jahren haben gewisse äußere und innere Dämme diese kräftige antisemitische Strömung daran ­gehindert, sich öffentlich zu manifestieren: Die einzelnen ­Antisemiten hielten sich für eine, womöglich vom Strafrecht bedrohte, wissende Minderheit. Aber seit selbst der Jude Bruno Kreisky die Juden ein „mieses Volk“ genannt hat, wissen sie, dass Antisemitismus nicht nur salon-, sondern durchaus mehrheitsfähig ist. In der Waldheim-Affäre konnte die ÖVP die „gewissen Kreise von der Ostküste“ bereits ganz ähnlich ­nutzen wie zuvor Kreisky „den Herrn Wiesenthal, angeblich Ingenieur“ und jetzt Dieter Egger seinen „Exiljuden“. Vor allem die Österreicher, die „wirklich keine Antisemiten“ sind, verstanden jedes Mal richtig. In einem Bundesland mit einem einzigen Juden in einem Museum wollen sie die Nürnberger Gesetze aber vorerst trotzdem eher nur für die Moslems reaktivieren, denn die ­sitzen ja jetzt auf unseren Parkbänken, nehmen uns die Arbeit und die Mädchen weg und verstecken die ihren unter Kopftüchern.

Deshalb spielte die offene Moslemhatz für die Wahltriumphe der FPÖ eine scheinbar weit größere Rolle als Eggers verdeckte Judenhatz. Aber man sollte – über Landeshauptmann Herbert Sausgruber hinaus – begreifen, dass Antisemitismus die pototypische Urform der Fremdenfeindlichkeit darstellt: Die archaische Ablehnung all derer, die nicht vom gleichen Stamm sind und sich nicht vom völlig gleichen Gott herleiten. Wenn Dieter Egger „Schluss mit falscher Toleranz – keine Minarette“ fordert, spricht er dieselben Emotionen an, mit denen Vorarlbergs Synagogen zerstört und nicht mehr geöffnet wurden.

So wie es falsch ist anzunehmen, der Holocaust habe es ­unmöglich gemacht, heute noch Antisemit zu sein, ist es auch falsch anzunehmen, die Herkunft aus einem fremden Land mache es unmöglich, fremdenfeindlich zu sein. Das ­Gegenteil ist richtig: Endlich etablierte Zuwanderer können schon rational nichts für neue Zuwanderer übrig haben, die sie am Arbeitsmarkt konkurrenzieren. Indem sie in der zweiten Generation auch emotional „fremdenfeindlich“ sind, integrieren sie sich zunehmend in die ähnlich gesinnte österreichische Unterschicht.

E Die aus der Heimat mitgebrachte antisemitische Vorbildung erleichtert diese Integration weiter bis zur Assimilation: Als freiheitlicher Wähler ist der Nachkomme antisemitischer moslemischer Zuwanderer vom „echten Österreicher“, der „wirklich kein Antisemit“ ist, kaum mehr zu unterscheiden. So treten die Folgegenerationen zugewanderter Moslems gemeinsam mit den Folgegenerationen abgetretener Nazis erfolgreich für die Deportation aktueller moslemischer ­Zuwanderer ein. Und für die alten, germanischen Antisemiten, wie sie hierzulande nicht selten Parteifunktionäre sind, sind diese Deportationen zumindest eine Ersatzbefriedigung, solange es in Österreich fast keine Juden gibt.

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