Peter Michael Lingens

Peter Michael Lingens Das Problem heißt Dichand

Das Problem heißt Dichand

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Es gibt nur wenige Gelegenheiten, bei denen die Welt Österreich wahrnimmt: Als Bruno Kreisky Simon Wiesenthal beschimpfte, als Kurt Waldheim zur ­Affäre wurde, als Wolfgang Schüssel Jörg Haider an die Brust drückte, als Josef Fritzl seinen Kerker öffnen musste und als rechtsradikale Parteien die Volkspartei überflügelten, nahmen die internationalen Medien von Österreich Notiz. Jetzt werden sie bis Anfang Mai über das seltsame Land berichten, in dem eine Barbara Rosenkranz allen Ernstes für das höchste Amt des Staates kandidiert und dabei die fanatische Unterstützung der größten Zeitung des Landes erfährt.

Man wird genüsslich jede einzelne verbotene, braune Aktivität ausbreiten, in die ihr Ehemann an ihrer trauten Seite verwickelt war, und kein deutschsprachiges Medium wird darauf verzichten, die Namen ihrer Kinder als ihr genetisches Programm zu zitieren.

Folgendes Horrorszenario ist durchaus realistisch: Die vielen Wähler, die vom sicheren Sieg Heinz Fischers überzeugt sind, gehen, insbesondere wenn am 25. April die Sonne scheinen sollte, lieber spazieren als wählen, weil sie meinen, dass es auf ihre Stimme in keiner Weise ankommt. Im Gegensatz zu ihnen folgen die freiheitlichen Wähler der Vorsehung und der „Kronen Zeitung“ und geben ihre Stimme für Rosenkranz ab. Zu ihnen gesellen sich „christliche“ Wähler vom rechten Rand der ÖVP und all jene unpolitischen Schwachsinnigen aus der Leserschaft der „Krone“, die noch jeder Kampagne ­ihres Leibblattes gefolgt sind.

Dann muss Heinz Fischer um den Sieg zittern. Natürlich gibt es auch das gegenteilige Traumszenario: Die jungen Wähler der FPÖ können mit Rosenkranz so wenig anfangen wie die vielen zufälligen Protestwähler. Selbst dem rechten Rand der ÖVP ist Rosenkranz zu rechts. Und selbst die unpolitischen Ahnungslosen der „Krone“ folgen nicht jedem Wort, das ihr Herausgeber ins Blatt sabbert. Gleichzeitig gehen alle Leute, die Heinz Fischer schätzen, und auch alle, denen bei Rosenkranz übel wird, selbst bei strahlendem Wetter ins Wahllokal.

Dann erringt Heinz Fischer einen Erdrutschsieg, und ­Rosenkranz samt FPÖ erleidet eine Erdrutschniederlage. Ich hätte mir vorstellen können, dass die Spitzen der ÖVP und die Spitzen der Grünen ein solches Szenario angestrebt und eine energische Wahlempfehlung für Heinz ­Fischer verlautbart hätten. Es wäre das gleichzeitig ein so positiver Beitrag zur politischen Kultur des Landes gewesen: dass Politiker in der Lage sind, die gute Leistung Heinz ­Fischers als Bundespräsident anzuerkennen, obwohl er aus einer anderen Partei kommt, statt nur aufgrund der hohen Kosten und geringen Chancen auf einen eigenen Kandidaten zu verzichten. Aber so weit hat es nicht gereicht: Josef Pröll konnte nicht sagen, dass Heinz Fischer auch die Stimmen der schwarzen Wähler verdient, und Eva Glawischnig konnte es bestenfalls durchblicken lassen. Also hoffe ich am Wahltag auf Nieselregen, der jeglichen Sonntagsausflug verhindert, aber nicht so stark ist, dass er auch vom Gang ins Wahllokal abhält.

Am Zustand des Landes wird selbst ein Erdrutschsieg Heinz Fischers nur wenig ändern. Wäre Frau Rosenkranz eine fesche 30-Jährige, die mit dem jungen Gudenus verheiratet ist und ihre Kinder John und Kevin nennt, so erzielte sie mit Sicherheit ein Sensationsergebnis, auch wenn sich das Weltbild der Familie Gudenus nur marginal von dem der Familie Rosenkranz unterscheidet.

Ein beängstigend großer Teil der Österreicher hat für die ewiggestrigen braunen Flecken und die zukünftigen Risken dieses Weltbilds kein Sensorium. Das hat viele historische Gründe und eine gegenwärtige Ursache: die „Kronen Zeitung“. Seit Jahrzehnten prägt dieses Blatt das politische Bewusstsein der Mehrheit in eben diesem Sinne: gegen die Ausländerflut, gegen das vereinte Europa, gegen die Globalisierung und vor allem gegen die Zukunft. Das gelingt ihr so leicht, weil es dem Unterbewusstsein so vieler Österreicher entgegenkommt, aber sie erschafft dieses dumpfe Unterbewusstsein auch immer wieder neu. Österreich wird nicht nur durch den Herrn Karl symbolisiert, sondern mindestens so sehr durch seinen Onkel Hans.

Barbara Rosenkranz wäre das harmlose Restexemplar ­einer aussterbenden Art, wenn es Hans Dichand nicht gäbe.

Hans Dichand wäre nicht so mächtig, wenn es Österreichs Politikern nicht so völlig an Zivilcourage fehlte. Ich kenne nur zwei politische Spitzenfunktionäre, die ihm ernsthaft und ohne jede Rücksicht auf Verluste entgegen­getreten sind: Außenministerin Ursula Plassnik und – ausgerechnet – Wolfgang Schüssel, der dafür gleich zweimal Jörg Haider umarmt hat (wobei ich ihm nach wie vor mildernd zugutehalte, dass er ihn dabei fast erstickt hat, auch wenn der Erfolg nicht von Dauer war). Schüssel, was immer man ihm sonst vorwerfen mag, hatte das Format und die Stärke, diese Auseinandersetzung auch erfolgreich durch­zustehen. Gusenbauer und Faymann haben Dichand eine Unterwürfigkeitsadresse geschickt.

Wie lange es brauchen wird, bis sie begreifen, dass die „Kronen Zeitung“ all dem im Wege steht, was Sozialdemokratie an Humanität gewollt hat, weiß ich nicht. Genauso wenig, wie ich weiß, wann die „Bürgerlichen“ und „Christlichsozialen“ begreifen werden, dass Hans Dichand alles Mögliche, nur nicht bürgerlich, christlich oder sozial ist.

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