Peter Michael Lingens

Peter Michael Lingens: Grissverständnisse

Peter Michael Lingens: Grissverständnisse

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Irmgard Griss hat, wie ich das vermutet habe, eine Wahlempfehlung für die Stichwahl zum Bundespräsidenten verweigert.Sie hat das damit begründet, dass mündige Wähler keine Empfehlung brauchten. Das mag stimmen, aber sie brauchen sehr wohl Informationen und Hinweise, die ihnen bei ihrer Entscheidung helfen. Wenn Irmgard Griss die verweigert, muss man sich fragen: Wozu brauchen die Wähler Irmgard Griss?

Schließlich hat sie uns erklärt und begründet, warum sie mehr Ganztagsschulen oder Kinderkrippen will – weil sie die Berufstätigkeit der Frau erleichtern und damit zu ihrer Gleichstellung beitragen. Sie hat uns erklärt und begründet, warum weitere 90. 000 Asylansuchen zwar ein Problem aber keinen „Notstand“ darstellen oder warum eine Asyl -„Obergrenze“ EU-Recht und Völkerrecht widerspricht. Alle ihre Erklärungen und Begründungen haben mich dazu bewegt, sie zu wählen.

Sie muss die „mündigen Wähler“ ja nicht dazu vergattern, diesem oder jenem Kandidaten ihre Stimme zu geben– aber warum will sie ihnen nicht sagen, aus welchen Gründen sie sich für den einen oder den anderen entscheiden wird?

Nun aber geht es um eine weitere Frage, bei der viele Österreicher und voran Griss- Wähler auch gerne wüssten, wie Irmgard Griss sie beurteilt: Ob sie nämlich Alexander van der Bellen oder Norbert Hofer für den geeigneteren Bundespräsidenten hält. Das ist ja keine ganz unerhebliche Frage –schließlich hat Griss sich lang genug mit dem Amt des Bundespräsidenten auseinandergesetzt und als Höchstrichterin traut man ihr zu Recht ein besonders profundes Urteil zu.

Sie muss die „mündigen Wähler“ ja keineswegs dazu vergattern, diesem oder jenem Kandidaten ihre Stimme zu geben– aber warum will sie ihnen nicht sagen, aus welchen Gründen sie selbst sich für den einen oder den anderen entscheiden wird? Was hindert sie, diese Frage so offen zu beantworten, wie die Frage, ob sie den Ausbau der Ganztagsschule befürwortet?

Das Argument, dass sie nicht Polarisieren wolle, kann aus ihrem Mund nur einem Missverständnis entspringen: Sie ist ja nicht aufgefordert, den einen Kandidaten für einen Engel und den anderen für einen Teufel zu erklären, sondern seine jeweiligen Stärken und Schwächen an Hand seiner bisherigen Aussagen möglichst sachlich gegeneinander abzuwägen.

Bei mir zum Beispiel sieht diese Abwägung so aus:

O ich halte es für problematisch, dass Alexander Van der Bellen erklärt hat, er würde eine FPÖRegierung nicht angeloben. Aber er hat dafür immerhin ein starkes, für mich einsichtiges Argumente ins Treffen geführt: Dass es Österreich politisch und wirtschaftlich extrem schadete, von einer Partei geführt zu werden, die eigentlich den Austritt aus der EU anstrebt. Außerdem hat sich Van der Bellen einen Ausweg offengelassen: Dass ihn nämlich die FPÖ immer noch überzeugen könnte, dass sie diesen Schritt letztlich nicht ohne Einverständnis aller andren Parteien setzte. Nicht zuletzt halte ich Van der Bellen für anständig und verantwortungsvoll genug, notfalls als Bundespräsident zurückzutreten, wenn er sich außerstande sieht eine bestimmte Regierung anzugeloben. (In der Praxis glaube ich, das er Österreich zumindest besonders unfähige oder unerträgliche blaue Minister ersparen wird.)

O Bei Norbert Hofer hingegen fehlt mir jede vernünftige demokratische oder sachliche Begründung für seine Ansicht, dass es ihm zustehe, eine Regierung zu entlassen, obwohl sie das Vertrauen der Mehrheit der vom Volk gewählten Mandatare besitzt. Ein gewählte, amtierende Regierung zu entlassen ist ein tieferer Eingriff in die politische Willensbildung (die Rechte des Souveräns), als die Drohung, sich aus bestimmten Gründen ihrer Angelobung zu widersetzen.

Warum sträubt sich Frau Griss, die in diesem Wahlkampf und schon gar als Richterin so viele Urteile gefällt hat, zu sagen: Ich persönlich wähle den und den?

Und natürlich ist die Begründung der beiden Kandidaten für ihren jeweiligen Aktionismus nicht unerheblich: Hofer wollte die Regierung wegen einer Flüchtlingspolitik entlassen, die für Irmgard Griss keinen „Notstand“ begründet hat. Van der Bellen will sie nicht angeloben, wenn sie weiterhin für den Austritt aus der EU eintritt.

Warum hat sie ein Problem damit, auszusprechen, dass die von Hofer vorgebrachte Entlassungsdrohung ihn für das Amt des Bundespräsidenten disqualifiziert auch wenn Van der Bellens Drohung, eine FPÖ-Regierung nicht anzugeloben problematisch ist? Genau das, eine kluge, sachgerechte, unabhängige Abwägung des Für und Wider ist es, was ihre Wähler sich von Irmgard Griss erwarten. Und selbstverständlich hat es bei einer Wahl zwischen zwei Personen am Ende dieser Abwägung mit ein persönliches Urteil zu geben. Warum sträubt sich Frau Griss, die in diesem Wahlkampf und schon gar als Richterin so viele Urteile gefällt hat, zu sagen: Ich persönlich wähle den und den, weil ich ihn aus den und den Gründen für geeigneter halte?

Irmgard Griss, die ich gewählt habe, weil ich mir vom ihr präzise Aussagen erwartet habe, verstößt gegen die von ihr propagierte Offenheit, Sachlichkeit und Ehrlichkeit, wenn sie eine solche Aussage verweigert.

P.S.: So als hätte sie diesen Text gelesen, gab Irmgard Griss mittlerweile eine Reihe von Statements ab, die man nur als Wahlempfehlung für Alexander Van der Bellen verstehen konnte. So sagte sie etwa bei ihrem ersten TV-Auftritt seit der Wahl im Hangar 7: „Ich bin für ein weltoffenes Österreich, für konstruktive Mitarbeit in der EU, für eine tolerante und offene Gesellschaft, gegen Angstmacherei, gegen Abschottung. Dafür trete ich ein. Und dafür tritt auch Van der Bellen ein."

Weil einige Medien solche Äußerungen denn auch als Wahlempfehlung für Van der Bellen bezeichneten, fühlte sie sich allerdings sofort bemüßigt, das zurückzuweisen und zu erklären, sie habe keine Wahlempfehlung für Van der Bellen abgegeben - worauf die ZIB 2, ohne diese Vorgeschichte zu berichten, nur meldete: „Griss gibt keine Wahlempfehlung für Van der Bellen ab.“

Das wieder musste der uninformierte Zuseher (Zuhörer) natürlich dahin verstehen, dass sie sich von Van der Bellen distanziere. Das Gespür dafür, wie eine Meldung beschaffen sein muss, um nicht total missverstanden zu werden, fehlt Journalisten leider gelegentlich. Irmgard Griss macht es ihnen aber auch ziemlich schwer: Sie führt einen Eiertanz auf, statt in dieser Frage so präzise zu sein, wie sie es sonst ist.

Sie meint, das ihrem Markenzeichen der „Unabhängigkeit“ zu schulden. Das aber ist ein grober Irrtum. Warum sollte man sie nicht mehr für „unabhängig“ halten, wenn sie sagte: „Vor die Wahl zwischen Norbert Hofer und Alexander Van der Bellen gestellt, entscheide ich mich eher für Van der Bellen, weil er eine Reihe mir wichtiger Anliegen ehr entschieden vertritt: Auch er tritt für eine tolerante und offene Gesellschaft, gegen Angstmacherei, und gegen Abschottung ein.“

Ich sage Ähnliches, ohne von den Grünen, von Van der Bellen, oder von sonst wem abhängig zu sein. Auch die meisten von Griss Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen sagen Ähnliches und verwehrten sich zu Recht dagegen, deshalb für „abhängig“ gehalten zu werden.

Unabhängigkeit ist vielmehr unter anderem genau umgekehrt dadurch gekennzeichnet, dass man problemlos und klar sagen kann, wofür oder wogegen man ist. Liefe die Stichwahl zwischen Griss und Van der Bellen ab, so entschiede ich mich beispielsweise für Griss und gegen Van der Bellen und begründete das auch an dieser Stelle so klar wie möglich. Es ist – hier unterliegt Griss einem schweren Irrtum – in keiner Weise ein Beweis für „Unabhängigkeit“ sich unpräzise zu äußern.

Oder ist ein Richter, der ein präzises Urteil fällt, in ihren Augen kein „unabhängiger Richter“ mehr?