Peter Michael Lingens: Schicksalswahl für die SPÖ

Peter Michael Lingens: Schicksalswahl für die SPÖ

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Auch wenn Peter Filzmaier daran zweifelte, dass Werner Faymann im „Sommergespräch“ Wähler gewinnen konnte – mich hat er dafür gewonnen, seiner SPÖ in Wien wieder meine Stimme zu geben, obwohl ich bis dahin andere Parteien favorisiert hatte. Denn in allen für mich relevanten Fragen hat er dezidiert und glaubwürdig einen in meinen Augen sowohl anständigen wie sachlich richtigen Standpunkt eingenommen:

▶ Er hat keinen Zweifel daran gelassen, dass er die Flüchtlinge aus Syrien in Österreich willkommen heißt. ▶ Er glaubt zu Recht, dass Europa seine wirtschaftlichen Probleme nicht durch Sparen, sondern nur durch „Investitionen“ überwinden muss. ▶ Er will mit der FPÖ Heinz-Christian Straches nichts zu tun haben.

In der Flüchtlingsfrage unterscheidet sich die SPÖ nicht von allen anderen im Parlament vertretenen Parteien mit Ausnahme der FPÖ (die zwar ebenfalls Lippenbekenntnisse zum Asylrecht abgibt, aber gleichzeitig einen eisernen Vorhang nach dem Muster Ungarns fordert). Ich könnte also, wenn es um Flüchtlinge alleine ginge, genauso gut oder noch besser die Grünen, die NEOS oder die ÖVP wählen. (Wobei mir die Haltung der beiden letzteren zur „Ausländer“-Frage etwas realistischer als die sehr sympathische Haltung der Grünen erscheint.)

Aber NEOS wie ÖVP sind für mich wegen ihrer makroökonomischen Ansichten unwählbar: Hans Jörg Schelling ist ein Jünger Wolfgang Schäubles und meint, dass er Österreich durch möglichst rasches Abtragen seiner Staatsschulden im Wege staatlichen Sparens etwas Gutes tut; im Verein mit einer möglichst geringen steuerlichen Entlastung der Konsumenten durch die Steuerreform hat er Österreich damit das niedrigste Wachstum der EU beschert.

Leider sind die NEOS im gleichen Irrtum befangen: Auch sie meinen, dass der Staat seine Ausgaben bis auf eine Staatsquote von 40 Prozent zurückschrauben soll. Das stand zwar von Beginn an in ihrem Programm, aber ich hoffte, dass sie dank der Intelligenz ihrer Funktionäre in der Lage sein würden, diese Forderung den aktuellen Bedingungen anzupassen: In einer Nachfragekrise darf der Staat auch gemäß den Erkenntnissen liberaler Ökonomen nicht sparen – unabhängig davon, ob das in einer anderen wirtschaftlichen Situation vielleicht sinnvoll ist. Wobei ich, um Missverständnisse zu vermeiden, wieder einmal auf den Unterschied zwischen Sparsamkeit des Staates und Einsparungen durch den Staat hinweisen möchte: Sparsam muss er immer agieren – aber seine Gesamtausgaben darf er in Krisenzeiten nicht verringern.

Wie ich sehen das (vor allem dank Werner Kogler) die Grünen. Ich habe daher lange geschwankt, ob ich in Wien nicht ihnen meine Stimme geben sollte. Dass ich mich im letzten Moment doch für die SPÖ entschieden habe, liegt daran, dass eine dramatische rote Niederlage in Wien die Sozialdemokratie womöglich so sehr beschädigte, dass sie bundesweit einen Schwenk hin zur FPÖ begänne. Das aber kollidierte mit meiner Forderung nach einem möglichst großen Abstand zur FPÖ. Den größten Abstand zur FPÖ haben zwar zweifellos die Grünen und die NEOS. Aber sie werden beide nach wie vor hinter der SPÖ zurückbleiben, und mir geht es darum, den Widerstand der roten Parteiführung gegen die FPÖ zu erhalten. Das kann nur gelingen, wenn die SPÖ in Wien keine Erdrutschniederlage erleidet.

Die aber zeichnet sich bekanntlich ab: Obwohl die Wiener „Zivilgesellschaft“ sich in der Flüchtlingsfrage einmal mehr durch Hilfsbereitschaft auszeichnet, fürchte ich, dass im Gemeindebau eine andere Stimmung herrscht: Unter Arbeitern und Modernisierungsverlierern wird der Flüchtlingsstrom zweifellos die Angst verstärken, dass die Flüchtlinge Wohnraum verknappen und Löhne drücken. (Insofern ist die Frage der künftigen Wirtschaftsentwicklung aufs Engste mit der Flüchtlingsfrage verknüpft.) Damit wird sich der Trend zur FPÖ unter den einstigen roten Kernwählern eher noch verstärken, auch wenn freiheitliche Wirtschaftspolitik – siehe Kärnten – wirtschaftliches Versagen garantiert.

Dafür, dass auch Kernwähler der ÖVP zur FPÖ abwandern, sorgt die von der Volkspartei abgehalfterte Ursula Stenzel, die sich als Bezirksvorsteherin nicht zuletzt durch den Widerstand gegen Prostitution in der City profilierte: Indem sie auf der Liste der FPÖ kandidiert und diese regierungsfähig nennt, ist ihr zumindest der Einzug in den Gemeinderat sicher, und wahrscheinlich wird sie sogar etliche bis dahin Unentschlossene mit ins blaue Lager ziehen.

Es geht in Wien diesmal also wirklich ums Überleben einer Sozialdemokratie, die diese Bezeichnung verdient.

PS: Ich halte es für ein Problem, dass Peter Filzmaier als Einziger „Gespräche“ des öffentlichen Rundfunks „analysiert“. Er tut das zwar brillant, und ich bin auch von seiner subjektiven Unparteilichkeit überzeugt – aber Objektivität ist so nicht herstellbar. Eine Annäherung daran wäre allenfalls gegeben, wenn Filzmaier sein Urteil wenigstens mit zwei weiteren Personen diskutieren müsste, die ihm zustimmen oder widersprechen.