Leitartikel: Christian Rainer

Christian Rainer Horch mal, wer da streikt!

Horch mal, wer da streikt!

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Nein, nicht noch einmal ein ganzer Text über Lehrer. Wir liefern in diesem Heft tonnenweise einschlägige Leserbriefe, einen weiteren Beitrag der Autorinnen der vorwöchigen Titelgeschichte und zwei Gastkommentare. Trotzdem einige Bemerkungen, die überdies zu einem anderen Thema führen:

Erstens. Wie kann eine Berufsgruppe – ich pauschaliere – derart dünnhäutig und so wenig selbstreflektierend sein? Fast alle Leserbriefe, die unsere „Abrechnung mit Lehrern und Gewerkschaften“ in der vergangenen Ausgabe kritisierten (zum Beispiel mit der Aufforderung eines Lehrers und ÖVP-Gemeinderates, man möge die profil-Redakteure „sterilisieren, anzünden und einäschern“) stammten vom Lehrpersonal und ihren Vertretern selbst.

Zweitens. Umgekehrt: Es gab allerdings Betroffene, die unseren Befund teilten und für die Differenzierung zwischen guten und schlechten Lehrern, zwischen engagierten und faulen, zwischen den Schultypen dankten.

Drittens und nochmals gedreht: Verteidigende Worte für die Lehrerschaft von außen erreichten uns so gut wie nicht.

Viertens. Lehrer und Bevölkerung leben also vielfach in getrennten Welten. Dass die volksnahe „Kronen Zeitung“ den entsprechenden profil-Cover prominent, zustimmend und großflächig zitierte, ist kein Zufall.

Fünftens. Wir sprechen somit von einer Berufsgruppe, die es verstanden hat, sich luftdicht abzugrenzen, und zwar auch abseits der Konfrontation um ihr neues Dienstrecht: Die PISA-Werte, die just vergangene Woche veröffentlicht wurden, riefen zwar Politiker und Wissenschafter auf den Plan. Jene, die das weiterhin erbärmliche Ergebnis zu verantworten haben, fühlten sich aber nicht betroffen. Die Lehrer schwiegen – nicht einmal verschämt.

Viele Lehrer leben also weiterhin in einer geschützten Werkstatt. Die Gewerkschaft sorgte dafür, dass mit der Abschaffung der Pragmatisierung keine große Unbill über ihre Mitglieder kam. Oft sind dieselben Personen für beides zuständig: Die Personalvertreter sind oft zugleich Volksvertreter. So ist das eben in der Demokratie.

Vielleicht ist das alles auch ein Fall von Geiselhaft. Aber wer hat da wen zur Geisel gemacht? Die Gewerkschaft die Lehrer? Die Gewerkschaft die Politik? Die Lehrer die Politik? Die Lehrer die Gewerkschaft?

Die Position mitten in der Gesellschaft und doch außerhalb teilt das Schulpersonal mit jener anderen Berufsgruppe, die vergangene Woche mit Streik drohte: mit den Finanzbeamten. Kaum ein Zufall, dass Fritz Neugebauer als oberster Beamtengewerkschafter auch diese vertritt.
Kurios ist jedenfalls, dass hier zwei Mal genau jene Arbeitnehmer mit Aufstand drohen, bei denen trotz aller gebührenden Ehrfurcht die Frage erlaubt sein muss, ob sie von den neuen Härten des Arbeitsmarktes irgendetwas zu spüren bekommen.

Sparen wir uns hier eine vertiefte Diskussion darüber, warum der öffentliche Dienst ungleich mehr verdient als Arbeiter und Angestellte in der Privatwirtschaft! (Nein, die Akademiker verzerren die Statistik nicht bis zur Unkenntlichkeit.) Sprechen wir nicht über die noch wesentlich unterschiedlicheren Pensionen! (Nein, über ein ganzes Leben gerechnet gleicht sich das nicht aus.) Betrachten wir bloß die sogenannten neuen Herausforderungen der Arbeitswelt! Die heißen einerseits häufiger Wechsel des Arbeitsplatzes, zum anderen wechselnde Berufe in einem Arbeitsleben, des Weiteren generell höhere Produktivität, zuletzt ständig drohende Arbeitslosigkeit (vor allem auch im Alter).

Und jetzt rufen wir uns mit angemessener Empathie die Kolonnen von Lehrern und Finanzbeamten ins Gedächtnis, die in den vergangenen Jahren von einer Schule zur anderen, von einem Finanzamt ins nächste abkommandiert wurden! Denken wir mit Mitgefühl an die zigtausend Steuerprüfer, die auf Fahrlehrer umlernen, die Turnprofessoren, die sich mit einem Mal als Balletttänzer verdingen mussten! Bedauern wir die Lehrer, die zur Produktivitätssteigerung nun doppelt so viele Schularbeiten korrigieren, und die Finanzer, die doppelt so viele Steuerausgleiche bearbeiten müssen! Und vergießen wir schließlich dicke Tränen für das traurige Heer von öffentlich Bediensteten, die durch Kündigungswellen Jahr für Jahr arbeitslos wurden!

Wer will da noch behaupten, dass in Österreich zwei Klassen von Arbeitnehmern leben? Man kann den Privilegierten ja wirklich nicht verdenken, dass sie für ihre Privilegien kämpfen.

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