Leitartikel: Christian Rainer

Christian Rainer Schulzuweisung

Schulzuweisung

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Wer an dieser Stelle über Lehrer schreibt, sollte gleich mal eine Seite zusätzlich für Leserbriefe im darauf folgenden Heft einplanen. Böse Menschen meinen, die Flut an Zuschriften stehe in direkter Relation zur frei verfügbaren Zeit der Betroffenen. Ich will ein Guter sein und nenne daher lieber die ausgeprägte Fähigkeit von Lehrern, sich mündlich und schriftlich zu artikulieren. Bei der Lehrergewerkschaft sind diese Fertigkeiten besonders ausgeprägt, aber dazu später.

Eine Art Antwort auf den vorliegenden Leitartikel erreichte mich gar schon am vergangenen Freitag. Leser C. S., „Pensionär nach nahezu 35 Jahren Schulzeit“ (ich vermute als Lehrer), begründete da per Mail sein „Nimmerwiedersehen mit österreichischen Medien und Journalisten“ im Allgemeinen und die Kündigung seines profil-Abonnements im Besonderen.

Er habe die „völlig unqualifizierte Berichterstattung auch sogenannter Qualitätsblätter zum Thema Schule und Bildung“ satt, finde „die Darstellung, dass man Wissen cool und mitreißend erklären kann“, absurd, vermute bei profil-Redakteur A., dass „er lieber das Telefonbuch von Bukarest auswendig lernt, wahrscheinlich wegen der vielen Huren, als Publius Ovidius Naso zu lesen“, halte den Gedanken für „absurd, eine Volksschullehrerin für ein Mathematikversagen verantwortlich zu machen“, vermute, „der deutsche Journalismus würde sich niemals auf das indiskutable, billige österreichische Niveau herablassen“. Es werde ihm „speiübel, und ich will lieber Rikscha-Driver in Indien und Angehöriger der Kaste der Unberührbaren sein als Lehrer in Österreich“. Herr S. ist möglicherweise ein wenig frustriert.

Die Lehrer wollen in dieser Woche streiken, und angesichts der Tatsache, dass unter Lehrern hier die Lehrergewerkschaft zu verstehen ist, muss die Frustration von Lehrer S. verwundern. Seine Standesvertretung ist die mächtigste Gewerkschaft Österreichs. Und dennoch wäre Herr S. lieber indischer Rikscha-Fahrer, bloß um sich nicht öffentlich mit jenem Beruf identifizieren zu müssen, den er über Jahrzehnte ausgeübt hat. Wenn wir das Restrisiko ausschließen, die gesamte veröffentlichte Meinung liege bei der Beschreibung des Lehrerstandes weit abseits der öffentlichen Meinung, dann dürfen wir feststellen: Zwischen dem Selbstbild der Lehrer und dem Bild, das sie in der Bevölkerung hinterlassen, klafft ein breiter Spalt. Zwischen dem, was die Schulgewerkschafter über Jahrzehnte erreicht haben, und dem, was die Österreicher sich von einer Schule erwarten, besteht also ein gewaltiger Unterschied.

Der Politik ist es offensichtlich nicht gelungen, die Wünsche der Wähler gegenüber der Gewerkschaft durchzusetzen. Das Primat eines Standes über demokratische Prinzipien – so etwas nennt man Systemversagen.

Was sind denn die Wünsche der Bevölkerung, die solcherart auf der Strecke bleiben? Zum einen herrscht wohl die Meinung vor, dass Lehrer zu wenig arbeiten. Objektivierbar ist dieser Vorwurf nicht. Aber 20 Wochenstunden in Kombination mit 13 Wochen Ferien und einem Schüppel freier Tage lassen sich offensichtlich nicht mit einem lakonischen Hinweis auf die psychische Belastung und einem zynischen auf Fortbildung während der Sommermonate wegargumentieren.

Der Regierungsentwurf zum neuen Lehrerdienstrecht, gegen den nun gestreikt werden soll, ist da bei Gott nicht revolutionär: Plus zwei Stunden Unterricht pro Woche und weitere zwei Stunden irgendwo abhängen, das greift doch recht kurz. Mein Kollege Herbert Lackner meint – und dem schließe ich mich an –, die richtige Regelung wäre eine Anwesenheitspflicht über 38 Stunden wie in jedem anderen Job, mit einer ordentlichen Büroinfrastruktur für jeden Lehrer. Darf ich hinzufügen (ohne eine Aberkennung meiner Matura nach 33 Jahren zu riskieren): Auch die Argumente gegen ein 45-Wochen-Jahr der Lehrer sind ausständig (zumal die Gewerkschaft erklärt, die Lehrer arbeiteten ohnehin während der Ferien).

Zum anderen herrscht Unzufriedenheit mit dem Unterricht selbst. Diese Unzufriedenheit ist diffus, da komplexer als das Thema Arbeitszeit. Es geht um die Form der Vermittlung, die noch immer zu Frontalunterricht und Training des Kurzzeitgedächtnisses qua Auswendiglernen tendiert. Vor allem aber geht es um Inhalte. Meine persönliche Meinung: Das Herunterspulen von Hauptstädten und Jahreszahlen ist Zeitverschwendung; richtig wären Volkswirtschaft und Verfassungsrecht ab der Volksschule. Oberstufenmathematik ist reine Themenverfehlung; besser wäre die Vermittlung eines philosophischen Verständnisses von Zahlen. Und Latein als eine Art moralischer Verpflichtung für den Bildungsbürger ist ein kleines Verbrechen; der nachgerade absurde Zeitaufwand sollte direkt in Fremdsprachen gesteckt werden.

Und was passiert jetzt? Man kann nur hoffen, dass die Lehrer ihr neues Dienstrecht zu Fall bringen, sonst wird dieses Zeugnis politischer Impotenz auf alle Zeit einbetoniert. Die Politik streitet derweil ohnehin über Wichtigeres: über Kompetenzfragen, über die Frage, ob die Landeshauptleute die Ohnmacht gegenüber der Gewerkschaft für sich allein beanspruchen dürfen.

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