Toter Pelikan

Die Proteste gegen die Windkraft nehmen zu

Energiepolitk. Die Proteste gegen die Windkraft nehmen zu

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Niemand würde behaupten, Niederösterreichs Landeshauptmann sei ein besonders schreckhafter Politiker. Wenn Erwin Pröll in einer wichtigen Angelegenheit also einmal plötzlich die Notbremse zieht, dann hat sich offenbar einiges zusammengebraut.

Vor genau einem Jahr, am 25. Mai 2013, ließ Pröll überfallsartig alle Neuwidmungen für den Bau von Windkraftanlagen in seinem Bundesland stoppen. Die Dinge waren einigermaßen aus dem Ruder gelaufen. Einerseits hatte „die Profitgier mancher Unternehmen“ (NÖ-Umweltlandesrat Stefan Pernkopf) dazu geführt, dass mit einigen zehntausend Euro „überredete“ Bürgermeister auf jeden verfügbaren Hügel ein Windrad stellen wollten. Andererseits hatten sich zwei Tage vor Prölls Widmungsstopp mehrere hundert Demonstranten aus dem Wald- und Weinviertel unter seinen Fenstern im Hof des niederösterreichischen Landhauses versammelt und ein schärferes Vorgehen „gegen die Goldgräberstimmung der Windkraftlobby und Bürgermeister“ eingefordert, wie es auf einem der Transparente hieß.
Fast ein Jahr lang brüteten Pernkopfs Experten über der Landkarte Niederösterreichs und legten Zonen fest, wo künftig noch Windparks errichtet werden können: Auf genau 1,5 Prozent der Landesfläche dürfen bis 2030 zusätzlich zu den 470 bereits stehenden und den 250 zum Zeitpunkt von Prölls Widmungsstopp bereits abgesegneten Rädern noch weitere 200 errichtet werden – dann ist Schluss. Die Zahl der bewilligten Flächen wurde im Endpapier gegenüber einer Monate zuvor bekannt gewordenen Fassung noch einmal deutlich reduziert.

Streit und Dilemma
Den Plan ließ sich Niederösterreichs Landesregierung schlau vom „Umweltdachverband“ absegnen, der überparteilichen Plattform von 39 Umweltorganisationen. Dessen Präsident, der prominente Hainburg-Veteran Gerhard Heilingbrunner, steht nicht in Verdacht, ein willfähriger Söldner der Energie-Lobby zu sein. Der Streit um die Windkraft stürzt aber auch ihn in ein Dilemma. Hatten die Hainburg-Besetzer nicht sanfte erneuerbare Energie eingefordert? Stimmt schon, sagt Heilingbrunner, Windkraft sei positiv, aber nur, wenn man sich an genaue Regeln halte und die Bevölkerung damit einverstanden ist.

Genau zehn Jahre nach der Verhinderung des Wasserkraftwerks bei Hainburg wurde 1994 in Österreich das erste Windrad aufgestellt, stolz bestaunt von der Bevölkerung. Inzwischen stehen fast 900 solcher Anlagen in der Landschaft, 90 Prozent davon im niederösterreichischen Weinviertel und am Nordzipfel des Burgenlands. Die Begeisterung hat sich inzwischen etwas gelegt.

Im nordöstlichen Teil des Weinviertels gibt es praktisch keinen Punkt mehr, von dem aus nicht irgendwo Windräder auszunehmen sind. Das kann man durchaus faszinierend, ja sogar ästhetisch finden. Eine nachhaltige Veränderung einer uralten Kulturlandschaft ist es jedenfalls.
Dieser flache Landstrich an Österreichs Ostgrenze ist für das Abmelken von Windenergie freilich geeignet wie kein anderer. Hier weht es immer – egal ob das Wetter aus dem Westen oder aus dem Osten kommt. Das weite Land ist dünn besiedelt, das Einhalten der Distanz-Vorschriften – mindestens 1200 Meter vom nächsten Wohnhaus und 750 Meter vom nächsten landwirtschaftlichen Betrieb – ist kein Problem. Und vor allem: Die Dörfer sind arm, die Öffnung der Ostgrenzen hat ihnen nicht den erhofften Boom gebracht. Die Wirtshäuser haben schon seit Langem geschlossen, zum Einkaufen fährt man in die Bezirksstadt Mistelbach. Natürlich schlugen die Bürgermeister der klammen Gemeinden ein, als ihnen windige Windkraftbetreiber nach Recherchen des Umweltdachverbands in Extremfällen bis zu 80.000 Euro pro Windrad und Jahr versprachen. Geld, das nicht zuletzt aus dem Ökostrom-Fördertopf kam.

In manchen Gemeinden führte das zu argen Zerwürfnissen. In Groß-Siegharts im Waldviertel etwa demonstrierten im Vorjahr hunderte Bürger gegen die Absicht des Gemeinderats einen Vertrag mit einem Windkraftbetrieb zu unterschreiben. In 25 niederösterreichischen Gemeinden wurden bisher Volksbefragungen zur Aufstellung von Windrädern durchgeführt, in acht Fällen – also rund einem Drittel – entschieden die Bürger gegen die Windmühlen, zuletzt Anfang April in den Gemeinden Himberg und Münchendorf südlich von Wien.

In manchen Ortschaften, wie etwa in Pyhra, im Bezirk Sankt-Pölten-Umgebung will der Bürgermeister erst gar nicht das Volk befragen, sondern sich nur auf einen Beschluss im Gemeinderat stützen. Die Gemeinde ist auch im neuen niederösterreichischen Windkraft-Atlas enthalten, obwohl sie nicht im windigen Flachland, sondern bereits im hügeligen Voralpengebiet liegt. Die Front der Windrad-Gegner wird in Pyhra vom Wiener Steuerberater Christian Prodinger angeführt. Prodinger hat rund ein Viertel der 3376 Wahlberechtigten dazu gebracht, gegen die sechs Windräder mit je 200 Metern Höhe zu unterschreiben, die auf einem Grundstück von Alexander Auersperg geplant waren. Auersperg selbst lebt in einem Schloss am Attersee. Windkraft sei an sich ja nicht schlecht, sagt Steuerberater Prodinger, „aber in manchen Gegenden zerstört sie einfach das Landschaftsbild“.

Schützenhilfe von der Wiener Ärztekammer
Schärfere Windkraftgegner fahren da mit ganz anderen Argumenten auf. Im Internet kursierte etwa monatelang ein angeblich von einem Windrad in zwei Teile gehackter Pelikan. Das Tier sei aus einem Zoo bei Aachen entflogen und habe in einer Windfarm sein grausames Ende gefunden, berichtete „Bild“. Auch Schwärme von Zugvögel gerieten immer wieder in die Räder, wird von den Windkraftgegnern argumentiert – ein Umstand, der in den neuen, für Niederösterreich geltenden Regeln inzwischen berücksichtigt wurde: In den Zugbahnen von Vögeln dürfen künftig keine Räder mehr aufgestellt werden.

Ein wahres Schreckensvideo wurde in den USA ins Netz gestellt: Dort wurden Windräder so nah an eine Siedlung gerückt, dass alle zwei Sekunden der Schatten eines Flügels durch die Fenster fällt – eine nervtötende Beeinträchtigung, die allerdings wegen der vorgeschriebenen Mindestdistanz hierzulande nicht möglich ist.

Unerwartete Schützenhilfe bekamen die Windkraftgegner vergangene Woche von der Wiener Ärztekammer. In einer Aussendung forderten die Mediziner genaue Untersuchungen über die Auswirkungen der von Windrädern verursachten „niederfrequenten Schallentwicklung und des Infraschalls“. Über von Menschenohren nicht wahrnehmbare Schallwellen niedriger Frequenz hatten Anrainer immer wieder geklagt. Die Betreiber der Räder halten dem entgegen, es gebe bereits zahlreiche Studien, die die Harmlosigkeit dieser Schallwellen unter der 16- Hertz-Grenze bewiesen.
Die Windkraftbetreiber haben eine starke Lobby-Organisation: Die IG-Windkraft vertritt die Interessen der an Bau und Aufstellung der Anlagen beteiligten Unternehmen hochaktiv mit Studien und Info-Material und verweist – wie anno Hainburg die Donaukraftwerks AG – auf die zahlreichen Arbeitsplätze, die durch die Windkraft geschaffen wurden: Immerhin 4500 Beschäftigte sind direkt oder indirekt am Geschäft mit dem Wind beteiligt. Fast 1700 Megawatt pro Stunde produzieren die in Österreich installierten Räder im Vollbetrieb – ein großes Donaukraftwerk schafft etwa 300 Megawatt, das aber ständig, und nicht nur wenn der Wind weht. Oder anders gerechnet: Die österreichischen Windräder erzeugen im Jahr etwa 3,3 Gigawatt Strom, alle Donaukraftwerke zusammen rund 13 Gigawatt.
Der Wind produziert derzeit 5,8 Prozent des in Österreich verbrauchten Stroms. Das Burgenland, wo auf je 10.000 Einwohner zwölf Windräder entfallen (in Niederösterreich sind es drei), ist jedenfalls seit vergangenem Jahr autark, was elektrische Energie betrifft.

Dennoch wird Österreich in punkto Windkraft immer nur ein Kleinerzeuger bleiben: Die großen Anlagen stehen in Küstenstaaten wie Deutschland, Großbritannien und Spanien, wo die im Meer aufgestellten Windparks keine Anrainer stören.

Dass nicht jeder in der Windkraft eine geeignete Zukunftsvision sieht, bewies vergangene Woche Raiffeisen mit der Ankündigung, sich aus dem Wind-Business zurückziehen zu wollen, obwohl die zum Konzern zählende Renergie GmbH erst im vergangenen Dezember eine große Anlage mit 20 Türmen im nördlichen Weinviertel eröffnet hat. Begründet wurde der Rückzug mit den hohen Investitionskosten, die für eine sinnvolle strategische Positionierung nötig gewesen wären und die in Zeiten verschärfter Eigenkapitalbestimmungen im Bankenbereich nicht aufzubringen sind.

Stefan Moidl, Geschäftsführer der IG Windkraft, hält es für denkbar, dass künftig die Proteste zunehmen, weil das Bremsmanöver des Landes Niederösterreich Wasser auf die Mühlen der Windkraft-Gegner sei.
Aber irgendwas wird immer gehen. Ein Schweizer Unternehmen hat vergangene Woche das Modell eines Klein-Windkraftwerks für Hausdächer vorgestellt. Eine architektonische Augenweide ist der im Prospekt abgebildete Blechkobel allerdings nicht.

Foto: Monika Saulich für profil