Das Geheimnis ihres Misserfolgs

Die Grünen - Das Geheimnis ihres Misserfolgs

Die Grünen konnten ordentlich nerven. Doch sie nutzten das Parlament 31 Jahre lang als große Bühne, um das Land zu durchlüften. Was ist schiefgegangen?

Drucken

Schriftgröße

Als die Partei sie rief, buchte Ulrike Lunacek nur einen Hinflug. Sie packte ihre Koffer, verließ Brüssel und Straßburg, gab ihren Sitz im Europaparlament und das Amt der Vizepräsidentin auf. Es galt eine wichtige Wahl zu schlagen, danach sollte sie den Klub übernehmen. Der Plan enthielt ein paar Unwägbarkeiten; dass die Grünen aus dem Parlament fliegen, kam darin nicht vor. Nun werden in den Büros in der Wiener Löwelstraße Schachteln gepackt und in den Aufzug geschoben. In drei Wochen müssen die Grünen draußen sein. Die glücklose Spitzenkandidatin Lunacek hat inzwischen ihren Rücktritt von allen Ämtern erkärt. Den Grünen sei es gelungen, „ein politisches Projekt von historischer Dimension, das […] für Umwelt, die Freiheitsrechte jedes Menschen, Demokratie, Friede und soziale Gerechtigkeit stand, einfach abzufackeln – genau in dem Augenblick, für den es geschaffen wurde, als Alternative zu den einstürzenden, morsch und zerrüttet gewordenen politischen Altbauten der Nachkriegsgeschichte“, wütete der Ex-Grüne Johannes Voggenhuber auf Facebook.

Im Dezember 1986 war eine zusammengewürfelte Truppe – darunter die Liste Freda Meissner-Blau – ins Hohe Haus eingezogen. Sie hatte die Hürde mit 4,8 Prozent nicht gerade mühelos geschafft. Vier Jahre später wiederholte sich die Zitterpartie. 1994 erblühten die Grünen kurzzeitig auf 7,3 Prozent, um im Jahr darauf erneut auf 4,8 Prozent zurückzufallen.

Grüne werden im Parlament fehlen

Lunacek gehörte zu jenen, die 1995 ohne Mandat ausgingen. Das war ein Schlag, an den sie sich bei ihrem Abschied zurückerinnerte, verglichen mit der aktuellen Krise aber natürlich ein Klacks. „Jetzt ist erst einmal so richtig Krise“, formulierte es Werner Kogler vergangene Woche. Der 55-jährige Steirer war der ebenfalls zurückgetretenen Parteichefin Ingrid Felipe nachgefolgt: „Da muss man sich hinausmanövrieren.“ Er hätte auch sagen können: „Da muss man erst einmal draufkommen, wie man sich hineinmanövriert hat.“ Während die Grünen nun damit beschäftigt sind, Wut und Trauer zu bekämpfen, Trümmer einzusammeln, Selbstkritik zu üben, Parteifinanzen zu ordnen, Personal- und Stilfragen zu erörtern, Vorsätze zu fassen und sich auf die Landtagswahlen in Niederösterreich, Salzburg, Kärnten und Tirol einzuschwören, sickert allmählich, wie sehr sie im Parlament künftig fehlen werden.

11.285 Tage währte ihre parlamentarische Ära, die mit dem Kampf gegen die Atomkraft und 1984 mit der Besetzung der Stopfenreuther Au bei Hainburg zunächst außerhalb begann. Viele, die sich damals den Baggern, Gewerkschaftern und der E-Wirtschaft entgegenstellten, wurden später zu Abgeordneten und tragenden Säulen der Partei. Ausgerechnet die Grünen, die sich anfangs überhaupt nicht als parlamentarische Kraft verstanden, wurden im Laufe der Jahrzehnte zur Parlamentspartei schlechthin. Wie ungebetene Gäste empfing man sie 1986 im Hohen Haus. „Es gab nicht einmal Räume für uns“, erzählt Gründungsmitglied Andreas Wabl: „Die SPÖ stellte uns freundlicherweise ihr Raucherkammerl zur Verfügung, wir hatten ein paar Tische und Telefone, das war’s.“ Die Parteivorsitzende Freda Meissner-Blau durfte das Vorzimmer des damaligen Außenministers Alois Mock (ÖVP) beziehen.

Wenn Johannes Voggenhuber und Andreas Wabl von damals erzählen, liegt Wehmut in ihren Stimmen. „Wir sind mit großer Leidenschaft aufgebrochen, haben Inhalte vertreten, von denen wir wussten, dass sie zu Unrecht vernachlässigt wurden“, sagt Voggenhuber. „Und was ist davon geblieben?“ Das ist eine Frage der Sichtweise: Einst stand die Öko-Truppe alleine auf weiter Flur gegen Fabriken und Großbauern; heute ziehen sich die Bekenntnisse zu ressourcenschonenden Technologien, nachhaltiger Landwirtschaft oder dem Schutz natürlicher Lebensräume von links bis rechts durch das politische Spektrum. Viele Umwelt-, Energie- und Tierschutzgesetze gehen auf Initiativen aus ihren Reihen zurück. Mit Untersuchungsausschüssen zum Milchskandal und zum Fall Lucona zwischen 1989 und 1990 profilierten sich Grüne bereits früh als Aufdecker und Korruptionsbekämpfer.

Vor allem aber verwandelten sie das Plenum, in dem das Gros der Gesetzesvorhaben bis dato durchgewunken worden war, in einen Ort der großen Debatten. Grüne Abgeordnete brachten Gesetzesanträge ein und nützten die liberale Geschäftsordnung, die keine Redezeitbegrenzungen vorsah, für stundenlange Brandreden. Im Jahr 1993 filibusterte Madeleine Petrovic zehn Stunden und 35 Minuten lang gegen eine Tropenholzgesetz-Novelle. Sie verhinderte damit zwar nicht, dass diese in Kraft trat, stellte aber einen Rederekord auf, den erst ihr Parteikollege Werner Kogler 17 Jahre später brach. Der für seine scharfe Zunge berüchtigte Grüne redete im Dezember 2010 – ebenfalls vergeblich – gegen die Sparpläne der rot-schwarzen Regierung an und schloss nach fast 13 Stunden mit den Worten: „Das ist eigentlich auch schon alles, was ich sagen wollte.“

Grüne waren für mehr Transparenz bei Abgeordnetengehälter

Die Grünen ritten darauf herum, dass es im Land mehr Transparenz brauche, die Einkünfte von Abgeordneten offengelegt und ihre Pensionen abgeschafft werden müssen. Vieles, was im Internet heute frei zugänglich ist, war damals streng geheim. Bis in die 2000er-Jahre lag beim Portier ein Büchlein mit ein paar Eckdaten zu den Einkommensverhältnissen der Abgeordneten auf; die Länder schalteten bei dem Thema auf stur. „Jenseitige Geschichten“ fallen Karl Öllinger dazu ein: „In Wien gab es zwar eine Liste mit den Nebentätigkeiten der Abgeordneten, aber die hat Landtagspräsident Johann Hatzl mit nach Hause genommen.“

Zwangen zum Blick auf die NS-Vergangenheit

Und die Grünen zwangen zum Blick auf die NS-Vergangenheit. Es war wiederum Wabl, der 1987 aus Protest gegen den damaligen Bundespräsidenten Kurt Waldheim eine Hakenkreuzfahne aus seiner Tasche zog und das Plenum vor Empörung erstarren ließ. Fünf Jahre später stellte Voggenhuber die bis dahin umfangreichste parlamentarische Anfrage an die Bundesregierung und leitete diese mit den Worten ein: „Zu der Mitverantwortung Österreichs an den Verbrechen des Nationalsozialismus, der Wahrnehmung dieser Verantwortung durch die II. Republik, der Anerkennung und Entschädigung der Opfer.“ Es folgten 405 Fragen, die einen massiven Aufarbeitungsprozess in Gang setzten. „Bald darauf haben die EU-Verhandlungen begonnen, und selbstverständlich stand die Mitverantwortungserklärung Österreichs und die Entschädigung der Opfer damit in einem engen Konnex“, sagt Voggenhuber. „Die Gespräche führten 1995 schließlich zu einem Entschädigungsfonds für die Opfer des Nationalsozialismus.“

Auch dass den Opfern der NS-Militärjustiz späte Gerechtigkeit widerfuhr, ist vor allem ein Verdienst der Grünen. Die ehemaligen Abgeordneten Wabl und Terezija Stoisits nahmen sich Ende der 1990er-Jahre der Rehabilitierung der Wehrmachtsdeserteure an. „Das war ein richtiger Kampf, weil viele innerhalb der ÖVP und FPÖ nach wie vor der Meinung waren, dass das Kameradenschweine sind“, erinnert sich Wabl. Zehn Jahre sollte es dauern, bis mit Unterstützung weiterer Grüner das Aufhebungs- und Rehabilitationgesetz 2009 gemeinsam mit SPÖ und ÖVP beschlossen werden konnte. Es hob die Urteile gegen Deserteure und Homosexuelle auf sowie sämtliche Schuldsprüche der NS-Gerichte, die etwa Zwangssterilisationen und Schwangerschaftsabbrüche erzwungen hatten.

Die Aufarbeitung dieser finsteren Kapitel stieß naturgemäß auf heftigen Widerstand: Karl Öllinger mühte sich jahrelang ab, um den NS-Arzt Heinrich Gross vor Gericht zu bringen. Er hatte in der „Euthanasie“-Klinik Am Spiegelgrund behinderte Kinder missbraucht und bei deren Ermordung mitgeholfen und war in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg zu einem der meistbestellten Gerichtspychiater des Landes aufgestiegen. Erst 1997 erhob die Staatsanwaltschaft Anklage wegen Mordes. Ein Gutachter attestierte Gross jedoch, nicht vernehmungsfähig zu sein. Er starb 2005, ohne zur Verantwortung gezogen worden zu sein.

Die Diskurse wurden offener, liberaler: In Sachen Transparenz, Menschenrechte, Feminismus oder Entwicklungspolitik kam von den Großparteien ja kaum etwas.

Die Grünen konnten hochnäsig moralisieren und ordentlich nerven, aber für die Durchlüftung des Landes waren sie unverzichtbar. Was die Europäische Union von außen beförderte, bewirkten sie im Inneren, konstatiert Politikwissenschafter Bernhard Perchinig: „Die Diskurse wurden offener, liberaler: In Sachen Transparenz, Menschenrechte, Feminismus oder Entwicklungspolitik kam von den Großparteien ja kaum etwas.“ Bis in die 1980er-Jahre trat Österreich die Rechte der Volksgruppen mit Füßen. Terezija Stoisits wuchs im kroatisch-burgenländischen Stinjaki/Stinatz mit dem Aufstiegsversprechen der SPÖ auf, dass man es nur durch völlige Anpassung zu etwas bringe. „Ich bin das Kind einer Assimilantenfamilie“, sagte Stoisits in einem profil-Interview 1990. Da war sie gerade ins Hohe Haus gekommen. Sie blieb 17 Jahre lang, leitete ihre Reden mit „Dobro dan, postovane dame i gospodo!“ (Guten Tag, sehr geehrte Damen und Herren!) ein, kämpfte für zweisprachige Ortstafeln und stellte eine Fülle von Anfragen zu Menschenrechtsangelegenheiten.

Nebenbei und eher unfreiwillig löste sie eine Sexismusdebatte aus. Der ÖVP-Abgeordnete Paul Burgstaller grölte 1995 mitten in einer aufgeheizten, fremdenrechtlichen Debatte in Richtung Stoisits, die eben das Mikrophon an sich nahm: „In den Mund nehmen und fest daran lutschen.“ Skandalös war nicht nur die Entgleisung, sondern dass Stoisits niemand zuhilfe kam. Bruhaha-Machismo und peinliche Herrenwitze waren damals weithin Usus. Erst als sich die Grüne der profil-Redakteurin Christa Zöchling anvertraute, ging eine Welle der Empörung quer durch die Parteien. Die damalige stellvertretende ÖVP-Parteivorsitzende Helga Rabl-Stadler erklärte in einem Radio-Interview, sie dulde diesen Umgangston in ihrer Partei nicht. Burgstaller musste zurücktreten.

Die Anstöße für gesellschaftliche Änderungen wurden seltener und schwächer, je mehr Macht die Grünen anhäuften. 1997 kam Alexander Van der Bellen an die Spitze und hielt sich dort elf Jahre lang. Eine Erfolgsserie brach an. 1999 fuhren die Grünen 7,4 Prozent ein, 2002 waren es 9,5 Prozent. Fast hätten sie es damals in die Bundesregierung geschafft; die schwarz-grünen Verhandlungen platzten im letzten Moment. 2006: 11,1 Prozent; 2008: 10,4 Prozent. 2013 feierten sie mit der Spitzenkandidatin Eva Glawischnig einen neuen Rekord (12,4 Prozent), und immer noch ging es bergauf: 14,5 Prozent schafften die österreichischen Grünen bei der EU-Wahl 2014. Bald galten sie in Europa als Hüter eines Geheimnisses. Dabei lag in ihrem Erfolg schon der Keim des Misserfolgs. Die Grünen regieren in fünf Ländern mit und scheitern hier an ihren Ansprüchen: Forderungen, die sie in Opposition erhoben, setzten sie auf Landesebene nicht um, und sie trugen Kürzungen bei der Mindestsicherung mit, die sie im Bund geißeln. Widersprüche wurden weggelächelt oder mit „Wordings“ aus der PR-Abteilung professionell abgehakt. „Wir wurden dafür auch kritisiert, aber wir haben Warnschilder weggeräumt oder sind einfach drübergefahren“, sagt eine Bundesländer-Grüne: „Die Leute haben uns nicht mehr geglaubt und vergönnen es uns, dass wir eine auf den Deckel kriegen.“

Wir werden einen langen Atem brauchen, um das durchzustehen. Aber es geht weiter.

Der Künstler und Filmemacher Edgar Honetschläger fror sich in Hainburg „den Arsch ab“, war bei der Gründungssitzung der Vereinten Grünen in Linz dabei und fragt sich heute, warum die Grünen es nicht schaffen, ihre Kernthemen so aufzubereiten, dass sie die Menschen berühren: „Das machen ja sogar die Zeugen Jehovas besser.“ Er hätte gerne mit führenden Proponenten darüber geredet, was Grün – unabhängig der klassischen politischen Rechts-links-Koordinaten – ausmacht. Das Interesse war enden wollend. Die Grünen haben es verlernt, ernsthaft zu reden, heißt es in den eigenen Reihen. Das zeigte sich besonders dramatisch auf angestammtem Terrain. „Keine zweite Partei setzt sich auch nur annähernd so ernsthaft für Migrantenrechte und Integration ein“, sagt Politikwissenschafter Perchinig. Doch in dem von Zuwanderung und Asyl beherrschten Wahlkampf der Populisten versagte ihre Gegenstimme völlig. Hängen blieb, was andere behaupten, so Wabl: „Die Grünen wollen, dass alle Flüchtlinge kommen und auf das Sozialsystem zugreifen können.“

Nur ein Teil der Wahrheit, dass Peter Pilz die Partei zerstörte

Es ist nur ein Teil der Wahrheit, dass der Ex-Grüne Peter Pilz seine Ex-Partei zerstörte. Er sorgte aber jedenfalls dafür, dass ihre Schwächen greller zutage tragen als je zuvor. Am Ende bleiben ihnen Pyrrhussiege wie beim Rennen um die Hofburg. Nicht die einst staatstragenden Parteien SPÖ und ÖVP stellten einen europaweit angesehenen Kandidaten auf und verhinderten damit den Rechten Norbert Hofer im höchsten Amt der Republik – es waren die Grünen. Doch die Kampagne für Van der Bellen zehrte sie finanziell und personell aus. Und es waren auch die Grünen, die nach dem Modernisierungsprojekt der Kreisky-Ära das Land weiter öffneten und liberalisierten. Von ihrem Kampf für bessere Luft, Gerechtigkeit zwischen Männern und Frauen, Sichtbarkeit von Minderheiten, gesunde Ernährung, artgerechte Tierhaltung, erneuerbare Energien oder radfahrerfreundliche Städte profitierten alle, während sie den Punch verloren und wegen inhaltlicher Beliebigkeit aus dem Parlament flogen. Für Öllinger entwickelten sie sich zu einer „politischen Sekte“, die ihre Jungen wegbeißt und bei umstrittenen Projekten wie dem Hochhaus am Wiener Heumarkt über Kritiker drüberfährt.

Nun müssen sie sich – ohne Strukturen im Bund, ohne Geld in der Kassa und unter viel Häme – am eigenen Schopf aus dem Schlamassel ziehen. „Wir werden einen langen Atem brauchen, um das durchzustehen“, meint die Ex-Abgeordnete Gabriele Moser, die in Oberösterreich seit den Anfängen der Grünen dabei war: „Aber es geht weiter.“ Auch für Stoisits ist das letzte Kapitel nicht geschrieben: „Wer glaubt, mit uns braucht man nicht mehr zu rechnen, täuscht sich gewaltig. We will be back!“

Edith   Meinhart

Edith Meinhart

ist seit 1998 in der profil Innenpolitik. Schreibt über soziale Bewegungen, Migration, Bildung, Menschenrechte und sonst auch noch einiges