Wien: Die rot-grüne Koalition endet im Streit

Die rot-grüne Regierung in Wien nähert sich ihrem Ablaufdatum. Geht es nach der SPÖ, werden die letzten Monate nicht allzu harmonisch verlaufen. Der Streit um eine Reform des Wahlrechts war erst der Anfang.

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Die Inszenierung war penibel geplant worden – und wirkte dennoch reichlich seltsam: Am Freitag Mittag der Vorwoche saßen der Wiener SPÖ-Landesparteisekretär Georg Niedermühlbichler und der Grünen-Klubchef David Ellensohn gemeinsam vor etwa 20 Journalisten und schwärmten über die tolle Zusammenarbeit im Rathaus. „Ich werde mit David weiterhin gerne auf ein Bier gehen“, erklärte Niedermühlbichler. „Wenn es nach uns Grünen geht, wird Rot-Grün nach der Wahl fortgesetzt“, sagte Ellensohn. Nur in einem einzigen Punkt habe man leider keinen Kompromiss erzielen können – in aller Freundschaft, versteht sich. Bei der Reform des Wiener Wahlrechts „sind wir uns einig, dass wir uns nicht einigen“, betonten beide. Deshalb werden die Grünen ihren Reformvorschlag bei der nächsten Landtagssitzung Ende März einbringen und, falls FPÖ und ÖVP zustimmen, gemeinsam mit der Opposition beschließen.

Der Plan ist auf den ersten Blick genial. Die Grünen hatten sich (ebenso wie ÖVP und FPÖ) schon vor der letzten Landtagswahl mittels Notariatsakt verpflichtet, das mehrheitsfördernde, ungerechte Wiener Wahlrecht zu ändern. Es hätte zwar schneller gehen sollen, aber immerhin können sie ihr Wort jetzt doch noch halten. Und die SPÖ hat immer noch die Möglichkeit, die Umsetzung eines ihr unangenehmen Beschlusses im Ausschuss so lange zu verzögern, dass wenigstens der nächste Urnengang noch zu den alten, für sie besseren Bedingungen abläuft. Jeder kriegt, was er wollte. Wer hätte das für möglich gehalten? Vielleicht sollten Ellensohn und Niedermühlbichler demnächst nach Israel reisen, um ihre Methode der Streitschlichtung im Nahostkonflikt zu erproben.

Ultimatum für Häupls Wurschtigkeit

Ein Schönheitsfehler ist allerdings, dass SPÖ und Grüne vor nunmehr fast viereinhalb Jahren angetreten waren, um eine Koalition völlig neuen Stils zu bilden. Mit Hakenschlägen wie dem jüngsten sieht Rot-Grün nun genauso alt aus wie die Große Koalition im Bund. Auch die Rathaus-Atmosphäre der vergangenen Wochen erinnerte stark an die schlechteren Phasen von Rot-Schwarz. Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou hatte Bürgermeister Michael Häupl vor ein paar Tagen ein Ultimatum zukommen lassen. Sie erwarte umgehend eine Zustimmung der SPÖ in der Causa Wahlrecht. Sonst, so Vassilakou, werde es „weitreichende Konsequenzen“ geben. Michael Häupl ließ sinngemäß ausrichten, dass ihm kaum etwas noch mehr wurscht sein könnte. Er sei „not amused“ über das Verhalten des Regierungspartners, erklärte der Bürgermeister, wohl bewusst im Stil der britischen Queen. Die „Kronen Zeitung“, eines von Häupls Hofblättern, durfte dann als Erste über das Scheitern der Verhandlungen berichten – und den Grünen die Schuld geben.

Das Gezänk um die Wahlarithmetik war zumindest aufseiten der SPÖ auch ein Schaukampf. Zweifellos ist das Thema wichtig. Aber die Bürger interessiert es nur am Rande und die Zukunft der Wiener Politik wird davon auch nicht abhängen. Der SPÖ ist im Moment aber sehr daran gelegen, so viel Abstand wie möglich zwischen sich und den Grünen zu schaffen. Spätestens im Oktober wird gewählt, und in Umfragen liegt die SPÖ konstant deutlich unter 40 Prozent. Das ist weit entfernt von der absoluten Mehrheit, der die Wiener Roten so intensiv nachtrauern. An den schlechten Werten sind nach Meinung der Genossen nicht zuletzt die Grünen schuld.

Bürgermeister Michael Häupl und Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou

Die Regierung hat in etwas mehr als vier Jahren Dienstzeit einiges weitergebracht. Vom Start der Seestadt Aspern (inklusive Verlängerung der U-Bahnlinie 2 über verschiedenste Integrationsmaßnahmen bis zur Aufwertung des Kontrollamts zu einer Art Stadt-Rechnungshof ist die Bilanz gar nicht schlecht. Doch in Erinnerung bleiben wird in erster Linie ein Projekt, das die Grünen angezettelt haben und das die politische Diskussion in der Bundeshauptstadt über Monate praktisch monopolisierte: die Verkehrsberuhigung der Mariahilfer Straße. Österreichs längste Einkaufsstraße ist nun großteils eine Fußgänger- und Begegnungszone. Die letzte Etappe der Umbauarbeiten startet demnächst und wird vor der Wahl fertig. Auch die Kritiker von einst müssen zugeben, dass die „Mahü“ optisch stark gewonnen hat. Aber war das Aufmotzen einer Shoppingmeile den ganzen Ärger wirklich wert?

Kein Mitleid mit Autofahrern

Vizebürgemeisterin Maria Vassilakou nutzte ihr Amt, um sich zur Schutzmantelmadonna von Radfahrern, Fußgängern und Öffi-Benützern zu stilisieren. Jeder zusätzliche Radler wurde gefeiert (obwohl sich die Zahlen mitunter als falsch herausstellten), es gibt nun eigene Beauftragte für die Anliegen von Fußgängern und Radfahrern, und auf Betreiben der Grünen kostet die Jahreskarte für den öffentlichen Verkehr seit drei Jahren nur noch 365 Euro – was die Zahl der Fahrgäste stark erhöhte. 950 Millionen Öffi-Fahrten gab es im Vorjahr, so viele wie noch nie.

Mit den Autofahrern hat die grüne Verkehrsstadträtin dagegen kein Mitleid. Wie weit die Verachtung geht, demonstrierte Vassilakou jüngst mit dem Vorschlag, die Kosten für Garagenplätze doch bitte schön direkt den Wohnungsmieten zuzuschlagen. Damit würde der Anreiz wegfallen, die Karre auf der Straße stehen zu lassen.

Für ökologisch besorgte Gutverdiener in den Innenstadtbezirken, also die grünen Kernschichten, war das ein überzeugendes Programm. Das zeigt sich auch in den Umfragen, die den Grünen derzeit ein behagliches Plus gegenüber ihrem letzten Wahlergebnis ausweisen. Jene Bürger, die keine City-Bike- oder U-Bahn-Station vor der Haustür und neben dem Klimawandel noch ein paar akutere Probleme haben, waren weniger begeistert. Von ihm werde man sicher kein lautes Hurra zu Rot-Grün hören, meint etwa Harald Troch, SPÖ-Nationalratsabgeordneter und Bezirkschef von Simmering. „Es ist ja grundsätzlich richtig, den öffentlichen Verkehr zu stärken. Aber in Simmering haben wir viele Menschen, die ihr Auto einfach brauchen.“ Man dürfe bei Verkehrspolitik nicht immer nur an den 6. und 7. Bezirk denken, empfiehlt Troch. Wie einige andere SPÖ-Granden der sogenannten „Südosttangente“ (gemeint sind die an Österreichs meistbefahrener Straße gelegenen Arbeiterbezirke) findet er, dass Rot-Grün der SPÖ nicht sonderlich gut getan habe.

Von Verkehrsfragen einmal abgesehen, änderte die Regierungsbeteiligung der Grünen überraschend wenig an der Politik in Wien. Wer geglaubt hatte, dass ein paar semidemokratische Gepflogenheiten im Rathaus mit der neuen Partnerschaft vorbei sein müssten, wurde enttäuscht. Die Stadt pulvert etwa nach wie vor unanständig hohe Summen in das Marketing – also letztlich auch in PR für die SPÖ. Pro Jahr fließen rund zehn Millionen Euro in Zeitungsinserate, und zwar vor allem in die Boulevardblätter „Heute“, „Österreich“ und „Kronen Zeitung“. Das PR-Budget für 2015 ist um 60 Prozent höher als im Vorjahr; begründet wird das unter anderem mit dem Song Contest. Dazu kommen über 50 Millionen Euro pro Jahr für den Presse- und Informationsdienst der Stadt (PID) und ein mehrjähriger, über 130 Millionen schwerer Vertrag mit dem SPÖ-nahen Bohmann-Verlag. Die Grünen haben all das laut kritisiert, als sie noch in der Opposition saßen. Seit sie in der Regierung sind, wird nicht mehr gemurrt. „Das Werbevolumen ist natürlich zu hoch und unterliegt außerdem keinen Qualitätskriterien“, sagt der Grünen-Klubchef im Rathaus, David Ellensohn. Man habe trotzdem zugestimmt, weil die SPÖ im Gegenzug grüne Projekte unterstützte. „Uns sind die höhere Mindestsicherung für Kinder und das verbilligte Jahresticket wichtig und der SPÖ eben die Inserate.“

Wir sind gekommen, um zu bleiben

Finanzstadträtin Renate Brauner konnte jüngst ohne grünen Widerspruch behaupten, dass der stark gestiegene Frankenkurs überhaupt keine Auswirkungen auf den (insgesamt enorm gestiegenen) Schuldenstand der Stadt habe, weil die Frankenkredite ohnehin „rolliert“ würden. Ellensohn fühlt sich dafür nicht zuständig: „Diese Spekulation war ja schon im Gange, als wir in die Regierung kamen. Seit wir dabei sind, wurden keine neuen Frankenkredite mehr aufgenommen.“ Als Beweis für die im Rathaus herrschende Sauberkeit dient ihm der Umstand, dass die Opposition in der gesamten Legislaturperiode keinen einzigen Untersuchungsausschuss beschloss.

Die Grünen tun sich mit dem aktuellen Streit ziemlich schwer. Ihnen gefällt es in der Regierung – und einen anderen möglichen Partner als die SPÖ werden sie in Wien wohl niemals haben. Es empfiehlt sich also nicht, jetzt theatralisch Türen zuzuknallen, durch die man in ein paar Monaten gerne wieder gehen möchte. „Wir sind gekommen, um zu bleiben“, sagt David Ellensohn. Gemessen an den Unkenrufen zu Beginn habe die Partei großartig gearbeitet. „Damals hieß es: ‚Na, das schauen wir uns an, ob die Grünen das können‘“, erinnert er sich. „Und wir haben es sehr gut hingekriegt.“ Immerhin 95 Prozent des Regierungsübereinkommens seien bereits erledigt. „Da wären andere froh, wenn sie auch nur in die Nähe dieses Werts kämen.“ Die SPÖ dagegen wird sich im Wahlkampf auf gar nichts festlegen – außer vielleicht darauf, dass eine absolute Mehrheit „das Beste für Wien wäre“, wie Klubobmann Rudi Schicker meint. Sollte es damit nichts werden, könne man zwischen den Grünen und der ÖVP wählen. Auch die NEOS wären eventuell eine Option. Michael Häupl hat die seiner Meinung nach neoliberale Partei als Koalitionspartner zwar schon einmal ausgeschlossen. Aber ganz so endgültig war das offenbar nicht gemeint: „Es hängt davon ab, wie sich die NEOS positionieren. Wenn sie einen vernünftigen Weg einschlagen, sehen wir weiter“, sagt Schicker.

Teamwork als Zumutung

Politische Koalitionen werden – sowohl von den Beteiligten als auch von Beobachtern – gerne mit Beziehungs- und Ehemetaphern beschrieben. Auch bei Rot-Grün in Wien war viel von Vernunftehe, Liebesheirat und der Dauer des Honeymoons die Rede. Vergessen wurde dabei, dass die SPÖ Wien eigentlich ein überzeugter Single ist, der das Leben in einem gemeinsamen Haushalt selbst unter günstigsten Voraussetzungen nur zähneknirschend erträgt. Bis auf zwei Legislaturperioden regierten die Roten seit 1945 stets allein. So etwas prägt. Die Genossen halten es nach wie vor für eine Zumutung, wenn sie Teamwork simulieren sollen. Eine Zeit lang hatte sich die SPÖ sogar bemüht, den neuen Spielregeln gerecht zu werden. Die Grünen durften, natürlich nur in den ihnen zugewiesenen Reservaten, kreativ Politik machen. Doch jetzt ist offenbar Schluss mit der Kuschelei. Auf die Journalistenfrage, wann genau denn nun die nächste Gemeinderatswahl stattfinden solle, erklärte Häupl Anfang vergangener Woche: „Ich weiß den Termin, aber ich sag ihn noch nicht.“ Von profil mit derselben Frage konfrontiert, kicherte Klubchef Schicker vergnügt: „Ich weiß nicht, ob ich es wissen darf.“

Der Termin für die Ausübung eines demokratischen Grundrechts gilt bei den Wiener Roten offenbar als geheimes Herrschaftswissen. Und die Gemeindewahlordnung unterstützt das auch noch: Laut Paragraf 3 ist der Bürgermeister verpflichtet, den Wahltag durch Verlautbarung im Amtsblatt kundzutun – und darf ihn sich bei der Gelegenheit auch gleich aussuchen. Ob es nicht trotzdem nett wäre, wenigstens den Koalitionspartner in die Überlegungen einzubinden? Michael Häupl: „Es gibt so etwas wie Inszenierung in der Politik, und ich schließe mich gelegentlich von diesem Unsinn nicht aus.“

Wahrscheinlich wird die Wiener Gemeinderatswahl am 14. Juni stattfinden, also vier Monate vor dem Ablauf der Legislaturperiode. Die SPÖ könnte dann vom positiven Nachhall der Landtagswahlen im Burgenland profitieren, die am 31. Mai stattfinden und für die Sozialdemokraten wahrscheinlich gut ausgehen. Außerdem ist Wien Mitte Mai Austragungsort des Song Contests. Eine halbwegs gelungene Organisation vorausgesetzt, könnte das für gute Stimmung sorgen. SPÖ-Landesgeschäftsführer Georg Niedermühlbichler wollte am Freitag ebenfalls kein Licht in die Angelegenheit bringen. Immerhin sorgte er für ein paar Lacher, als er feststellte, dass „auch ein Wahltermin im Juni keine Vorverlegung darstellen würde“. Wegen der paar Monate, also wirklich. David Ellensohn saß daneben und lachte nicht. Manchmal muss man sich einfach beherrschen.

Infobox

Wahlzahllotterie Die Crux mit der 1.

Die Aktion vom 4. Mai 2010 hat Maria Vassilakou in den vergangenen Jahren vermutlich oft verflucht. Damals verpflichtete sie sich in einem Notariatsakt, ebenso wie die Parteichefs von ÖVP und FPÖ, im Falle einer Regierungsbeteiligung eine Reform des Wiener Wahlrechts auf den Weg zu bringen.

Als die Grünen dann tatsächlich in der Regierung saßen, wurde dieser Notariatsakt zum Mühlstein, denn die SPÖ zeigte von Anfang an wenig Lust, am Status quo etwas zu ändern. Warum auch? Immerhin profitiert sie von den geltenden Bestimmungen am meis-ten. Kern des Problems ist die sogenannte Wahlzahl. Sie legt fest, wie viele Stimmen ein Grundmandat kostet. In Wien wird die Wahlzahl wie folgt ermittelt: Anzahl der gültigen Stimmen, dividiert durch die Zahl der zu vergebenden Grundmandate plus 1. Dieses „plus 1“ wollen alle Parteien außer der SPÖ abschaffen – und zwar am liebsten komplett. Im Sinne einer freundschaftlichen Lösung hatten sich die Grünen zuletzt auf 0,6 herunterhandeln lassen. Doch das war der SPÖ zu wenig. Das letzte Angebot lag dem Vernehmen nach bei 0,75 – womit wiederum die Grünen nicht leben konnten.

Die kleine Addition macht Grundmandate sozusagen billiger. In den großen SPÖ-Hochburgen wie Favoriten oder Simmering gibt es viele Grundmandate zu holen. Beides führte in der Vergangenheit mehrfach dazu, dass die SPÖ die absolute Mehrheit an Mandaten errang, obwohl sie weniger als 50 Prozent der Stimmen bekommen hatte.

Rosemarie Schwaiger