Land unter

Hypo und die Folgen: Wie pleite Kärnten wirklich ist

Hypo-Folgen. Wie pleite Kärnten wirklich ist

Drucken

Schriftgröße

„Valossn, valossn, valossn, bin i“, heißt es klagend in einem der tränennahen Kärntner Volkslieder, an denen das Land so unübertroffen reich ist. Selten hat der Refrain mehr gestimmt als derzeit. Denn jenseits der Karawanken hält sich das Mitleid mit den krisengeschüttelten Kärntnern in überaus engen Grenzen. Im Gegenteil: Die 500 Millionen Euro, die das Bundesland zur Abwicklung des Hypo-Desasters beisteuern soll, werden als viel zu geringer Ablass empfunden, wie in unzähligen gehässigen Postings auf Facebook und Twitter nachzulesen ist.

Feindbild Kärnten
„Wir sind das Griechenland Österreichs“, seufzte Wolfgang Knes, SPÖ-Nationalratsabgeordneter aus Wolfsberg, nachdem er sich am vergangenen Dienstag in der Parlamentssondersitzung stundenlang Kärnten-Bashing hatte anhören müssen.

„Das Feindbild Kärnten wird derzeit mit einer Vehemenz sondergleichen zelebriert, dabei sind wir doch jene, die das Land von der Haider-Partei befreit haben“, wundert sich Peter Kaiser, seit einem Jahr Landeshauptmann, über die Wutwelle, die im Internet und in Zeitungskommentaren über Kärnten hinwegbrandet. Kaiser: „Dieses indifferente Bashing verstört mich.“

Die Kärntner haben mit ihrem Selbstmitleid ausnahmsweise Recht: Das Bundesland schrammt in der Tat immer näher am Rand der Pleite, und der Weg aus der Krise ist härter als ohnehin erwartet.

„System Haider“
Eine strukturschwache Region war Österreichs Süden schon immer, traditionell arm an Industrie und dynamischen Städten. Unter dem „System Haider“ mutierte Kärnten zum Krisenland: Milliardensummen wurden für sinnlose Gigantomanieprojekte verprasst, von dem bis heute fast leeren Fußballstadion bis zur Pleite-Fluglinie Carinthian Spirit. Blau-oranger Dauerwahlkampf gebar Werbegeschenke wie Warnwesten und Babyschnuller. Valentinstagskonzerte sollten das Volk unterhalten. Der sogenannte „Teuerungsausgleich“ wurde 2012 fast 15.000 Mal ­ausbezahlt, und zwar gönnerhaft von Landeshauptmann Gerhard Dörfler in Gutsherrenmanier bar auf die Hand. In einem satten Siebtel der Fälle bekamen gar nicht die vermeintlich Bedürftigen das Geld, sondern Bekannte, Nachbarn, Politiker oder Verwandte. Nach welchen Kriterien die 2,9 Millionen Euro bezahlt wurden, ließ sich für die Prüfer „nicht nachvollziehen“ – auf Anträge oder anderen Formalkram hatte Dörfler verzichtet. Klar sind nur die horrenden Zusatzkosten: Allein die Sicherung des Bargeldtransportes in die Landesregierung kostete 252.000 Euro.

Die Bilanz dieser sündteuren Brot-und-Spiele-Politik: Kärntens Schuldenberg ist seit dem Jahr 2001 von 0,6 auf fast vier Milliarden Euro explodiert – bei einem jährlichen Budget von zwei Milliarden Euro. Vermögenswerte hat Kärnten so gut wie keine mehr: „Das Familiensilber ist weg“, seufzt Finanzlandesrätin Gaby Schaunig (SPÖ). Bis auf unverkaufbare Anteile an Landeswohngesellschaften verfügt das Land nur noch über Beteiligungen im Wert von 700 Millionen Euro am Landesenergieversorger Kelag, der seinerseits Anteile von zehn Prozent an der Verbund-Tochter Hydro-Power hält. Bleiben die paar Seegrundstücke am Wörther- und Ossiachersee, die Schaunig aber nicht veräußern will: „Ich kenne so viele Seen in Kärnten, zu denen die Öffentlichkeit keinen Zugang mehr hat, weil alles verkauft wurde.“

„Kärnten wird seinen Beitrag leisten müssen”
Und dann gibt es freilich noch den inzwischen berühmten Zukunftsfonds von 500 Millionen, der Rest des Ertrags des Hypo-Verkaufs. Ihn will Finanzminister Michael Spindelegger einkassieren – als Wiedergutmachung sozusagen. Damit beißt er in Kärnten bei allen Parteien auf Granit, auch bei seiner eigenen: „Kärnten wird seinen Beitrag leisten müssen, aber der Zukunftsfonds ist nicht zu knacken“, meint Agrar- und Kulturlandesrat Wolfgang Waldner (ÖVP). Die von Waldner angesprochene Rechtslage ist jedenfalls klar: Der Fonds kann nur hergegeben werden, wenn es in der Landesregierung Einstimmigkeit und im Landtag eine Zwei-Drittel-Mehrheit dafür gibt. Beides ist absolut unerreichbar.

Verbleibende Möglichkeit: Der Bund zwingt Kärnten mit einem Verfassungsgesetz zur Herausgabe des Zukunftsfonds. Dafür fänden ÖVP und SPÖ aber im Nationalrat mit Sicherheit nicht die nötige Zustimmung von zwei Dritteln der Abgeordneten.

Dabei wirft der äußerst konservativ veranlagte 500-Millionen-Fonds nicht sehr viel ab. Zwischen neun und zwölf Millionen wurden zuletzt jährlich daraus lukriert und die sind bis 2016 noch durch Beschlüsse der FPK-Regierung unter Gerhard Dörfler gebunden: Die größten Beträge gehen für den umstrittenen Kauf von Badeseen aus dem Portefeuille des klammen ÖGB drauf, kleinere Summen flossen bereits in die Renovierung der Burg Friesach, an Kärntner Fußballklubs, in die neue Aussichtswarte am Pyramidenkogel und in ein Feriendorf am Ossiachersee. Sehr nach Zukunft klingt das alles nicht.

Neue und sinnvollere Investitionen sind nur noch über den Kärntner Wirtschaftsfonds möglich, der allerdings nicht ausschüttet, sondern bloß im Namen der Landesregierung weitere Darlehen aufnimmt.

Anstelle des Zukunftsfonds bietet Kaiser der Bundesregierung ein Modell an:
200 Millionen Euro habe das Land bereits bei der Hypo-Notverstaatlichung geleistet.

• 75 Millionen Euro bekommt Kärnten noch bis 2017 an – reichlich absurden – Provisionen für die seinerzeit so großzügige Haftungsübernahme überwiesen. Die würde das Land ebenfalls an den Bund weitergeben.

• Überdies steht den Ländern rechtlich ein Anteil an der Bankenabgabe zu, im Fall Kärntens sind das zehn Millionen Euro jährlich. Auch auf die würde man verzichten.

• Schließlich stellt Kaiser auch in Rechnung, dass das Land noch bis 2017 mit 687 Millionen Euro für die Anadi Bank haftet, den an Inder verkauften Österreich-Teil der Hypo.

Kaisers ÖVP-Vis-à-vis in der Regierung, Wolfgang Waldner, sieht die Sache ähnlich wie der Landeshauptmann und schlägt vor, ein Treuhandkonto einzurichten, auf das die genannten Summen nach Einlangen fließen sollen.
Freilich: Die Tage des weltoffenen Waldner in der Landesregierung sind gezählt, seit er und Parteiobmann Obernosterer vor einigen Wochen parteiintern weggeputscht wurden. Beider designierter Nachfolger ist der Lavanttaler Forstwirt Christian Benger, der allerdings bis zur Stunde noch keinen Kontakt mit Landeshauptmann Kaiser aufgenommen hat – ein weiterer Unsicherheitsfaktor in ohnehin misslicher Lage.

Peter Kaisers Koalition, der neben seiner SPÖ die ÖVP und die Grünen angehören, versucht vorerst dort zu sparen, wo es möglich ist – und möglich ist nicht viel. Der Bar-aufs-Handerl-„Teuerungs­aus­gleich“ wurde ebenso wie das „Jugendstartgeld“ – ein Tausender für alle 18-Jährigen – ersatzlos gestrichen. Der Jugendtausender – Gesamtkosten: 1,4 Millionen – wurde aus dem Ertrag der Zukunftsfonds finanziert.

Auch in die eigene Tasche griff man. Die Parteienförderungen wurden gesenkt, die Büros der Regierungsmitglieder personell etwas verkleinert, Sachgeschenke und Pokale soll es nur noch in sehr geringem Ausmaß geben. Die Erhöhung der Politikerbezüge wird zum 14. Mal in Folge ausgesetzt. Und künftig soll nur jede dritte Stelle im Landesdienst nachbesetzt werden. Auch die Landestankstellen mit ihrem subventionierten Benzin sind geschlossen.

Viele dieser Maßnahmen kommen symbolisch zwar gut, sind aber nur der berühmte Tropfen auf den heißen Stein oder greifen erst in vielen Jahren.
Die Rahmenbedingungen einer derartigen Finanzmisere sind entsprechend: Kärnten hat die höchste Arbeitslosigkeit, die niedrigste Kaufkraft und das geringste Wirtschaftswachstum Österreichs (­siehe Grafiken) und rittert mit dem ­spekulationsgeplagten Salzburg um den Spitzenplatz bei der höchsten Pro-Kopf-Verschuldung.

Wie soll das Land aus der Malaise kommen?
Eine boomende Regionalwirtschaft würde helfen. Betonung auf „würde“ – denn von einem Boom ist Kärnten meilenweit entfernt.

Bei den Arbeitslosenzahlen hat das Bundesland bereits Wien überholt. Selbst der Tourismus, lange Zeit eine der wenigen tragfähigen Säulen der Kärntner Wirtschaft, schwächelt. Während Wien Jahr für Jahr neue Nächtigungsrekorde bejubelt, sank die Zahl der Übernachtungen in Kärnten seit Anfang der 1990er-Jahre auf 12,6 Millionen – ein Minus von satten 28 Prozent. Das wäre noch zu verkraften, mehr als ein Zehntel hat der Tourismus nie zur Wirtschaftsleistung beigesteuert.

Kärnten verliert Einwohner
Gravierender ist ein anderes Kärntner Spezifikum: Es ist das einzige Bundesland, das Einwohner verliert. Eine negative Geburtenrate hat auch das Burgenland, Kärnten hingegen leidet auch unter dem „brain drain“: Es verabschieden sich vor allem gut Ausgebildete. Die Konsequenzen sind in der Statistik abzulesen: Der sogenannte „Altenquotient“, also das Verhältnis zwischen Einwohnern im Erwerbsalter und Senioren, liegt in Kärnten bei 41,8. Zum Vergleich: Selbst das oft als Seniorenhochburg verschriene Wien kommt auf einen Wert von 35,3.

Negative Demografie
Diese negative Demografie hat direkte finanzielle Auswirkungen. Kärnten verfügt, wie jedes Bundesland, nur beschränkt über eigene Einnahmequellen – abgesehen von monetären Kleinigkeiten wie etwa Motorbootabgaben, die von der neuen Landesregierung auch schon deutlich erhöht wurden. Die wesentlichen Beträge auf der Haben-Seite kommen vom Bund, der jährlich Anteile aus dem Finanzausgleich überweist. 2013 waren das im Falle des Landes Kärntens 974 Millionen Euro, also etwa die Hälfte des Landesbudgets. Das Problem dabei: Diese sogenannten Ertragsanteile werden nach dem Bevölkerungsschlüssel verteilt. Kärnten mit seinem Einwohnerschwund bekommt also immer weniger. „Es werden in den kommenden Jahren einige Millionen verloren gehen“, analysiert Markus Gilbert Bliem, der Chef des Kärntner IHS. Und: „Der enorme Schuldenberg muss von einer schwindenden Zahl an Menschen bewältigt werden. Das macht es zu einer Herkulesaufgabe.“

Fast jedes andere Bundesland hat seine regionalen Wirtschaftslokomotiven, die Schwächen ausgleichen – die Steiermark etwa den dynamischen Zentralraum Graz mit seinen rund 500.000 Einwohnern. Die Region um Villach und Klagenfurt ist um 200.000 Einwohner kleiner und hat „wenig Zentrifugalwirkung“, wie Forscher Bliem meint. Immerhin: Im Vergleich zum benachbarten Salzburg ist Kärntens Industrie relativ exportstark und erreichte einen Handelsbilanzüberschuss. Das Problem ist nur: Er wird von wenigen Leitbetrieben getragen, etwa im Bereich der Mikroelektronik und der Solarenergie. In Sachen Sonne ist Kärnten sogar Österreichs Spitzenreiter, immerhin. Bliems Bilanz: „Es wird zehn bis 15 Jahre dauern, bis sich Kärnten wirtschaftlich erholt.“

Ob diese lange Durststrecke, in der es keine Zuckerln zu verteilen, sondern strenge Sparpakete gibt, politisch durchzuhalten ist? Getreu dem Lexikon der politischen Binsenweisheiten wird Budgetsanierung vom Wähler abgestraft. Kärnten ist auch dabei anders. Nach einem Jahr des harten Kürzungskurses feierte die SPÖ bei der Arbeiterkammerwahl vor einer Woche einen rauschenden Wahlsieg und legte um zehn Prozentpunkte auf 77 Prozent zu, während das BZÖ auf vier Prozent marginalisiert wurde.
Die Hochkonjunktur der Geldverschwender scheint endgültig vorbei.

Vergangenen Freitag wurde übrigens bekannt, dass die Hypo bis zur Gründung der geplanten Abbaugesellschaft im kommenden September weitere 1,4 Milliarden benötigt.

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin