Gegen Radikalisierung: In den Turnsaal statt an die Front

Jugendliche, die sich radikalisieren oder nach Syrien in den Krieg ziehen wollen, findet man oft in der Kampfsportszene. Der Wiener Verein "Not in God's Name" geht gegen diese Radikalisierung vor und holt die Jugendlichen direkt in der Szene ab. Kampfsportler dienen dabei als Idole.

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Einige der jungen Männer hatten bereits ein One-Way-Ticket nach Syrien, jetzt trainieren sie friedlich beim Zirkeltraining mit Kampfsportstars.

In den Krieg zu ziehen ist keine gute Idee. Das ist klar. Nur kommt diese Botschaft bei Jugendlichen, die möglicherweise gefährdet sind sich zu radikalisieren, eher an, wenn sie diese von ihrem Idol hören, anstatt von Politikern, Lehrern oder Eltern. Das ist der Grundgedanke der Wiener Initiative „Not in God’s Name“ (NIGN): Jugendliche mit Kampfsportstars zu erreichen.

Das Ziel der Initiative ist es, laut Gründer Alexander Karakas, Jugendliche, vor einer Radikalisierung und vor dem IS (dem sogenannter Islamischer Staat) zu schützen: "Die Zahl der 'Foreign Fighters' auf null zu reduzieren und Österreich vor dem Schaden zu bewahren, dass so etwas wie in Nizza oder Berlin hier passiert". Kurz gesagt: "den Jugendlichen Vorbilder zu geben, bevor es die Falschen tun, ihnen Werte zu vermitteln und Spielregeln mitzugeben, die ihnen im Leben helfen“, fügt Daniel Benyes, ebenso Gründer von NIGN im Gespräch mit Profil noch hinzu.

Prävention durch Sport und Wertevermittlung

Seit etwa einem Jahr betreibt der Verein Präventionsarbeit und hält gemeinsam mit Kampfsportstars Vorträge in Wiener Schulen. Das sind hauptsächlich Schulen, die einen hohen Anteil an Schülern mit Migrationshintergrund aufweisen. Dabei ist die Hauptmessage der Sportler an die Kids, dass man ein Ziel im Leben braucht. Ab März startet nun erstmals ein regelmäßiges Sporttraining für Jugendliche mit 20 Trainern im Wiener Bezirk Donaustadt. Auch Frauen trainieren die Jugendlichen.

Beim Training machen die Sportler Konditions- und Zirkeltraining und Crossfit mit den Jugendlichen – es wird nicht gekämpft, das ist den Gründern wichtig. Vor jedem sportlichen Training findet ein Gespräch bzw. ein Workshop statt. Dabei werden Themen wie Wertevermittlung und Gleichberechtigung von Frauen und Männern besprochen.

Die Trainings sollen in Zukunft zweimal im Monat stattfinden. Für die ersten Kurse gibt es bereits Anmeldungen. Unter den Trainern finden sich österreichische Kampfsportstars, wie zum Beispiel Foad Sadeghi, Weltmeister im Thaiboxen, Karim Mabrouk, österreichischer Staatsmeister im Thaiboxen oder Franz Haberl. Die meisten Trainer haben selbst einen Migrationshintergrund. Bereits weitere Bezirke wie Floridsdorf und die Leopoldstadt haben ihr Interesse für die Kurse angekündigt. An Erfahrung mangelt es den Trainern nicht, die Kurse wurden bereits im Kampfsportzentrum Tosan im Wiener Bezirk Leopoldstadt ausgetestet.

Zu einem Teil der Personen die in Österreich als gefährdet eingestuft sind, haben sie laut dem austro-türkischen Unternehmer Karakas einen direkten Bezug. Die Gründer gehen in einschlägige Lokale, um dort Jugendliche zu erreichen und ihnen von ihrem Projekt und den Sportkursen zu erzählen. Derzeit produzieren die Gründer Videos, um im Internet ein Zeichen gegen Radikalismus zu setzen.

Erstmals finanzielle Unterstützung

Alexander Karakas, Daniel Benyes und André Chehab gründeten die Initiative nach den Anschlägen auf die Redaktion der Satirezeitung „Charlie Hebdo“ im Jänner 2015. Ebenso mit dabei ist Karim Mabrouk. „Wir dachten uns, da müssen wir was machen, um die Jugendlichen zu erreichen und um präventiv zu arbeiten“, sagt Benyes. Viele von den radikalisierten Jugendlichen, auch von Attentätern, halten sich Benyes in Kampfsportzentren auf. „So sind wir auf den Kampfsport gekommen.“

Der Verein wird nun erstmals von öffentlicher Seite finanziell unterstützt: Dem Bezirk Donaustadt und den „Helfer Wiens“. Die Beteiligten arbeiteten bisher ehrenamtlich. Das Ressort von Außenminister Sebastian Kurz und der ASKÖ (Arbeitsgemeinschaft für Sport und Körperkultur in Österreich) unterstützten den Verein ebenso.

Auch mit Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil sei man im Gespräch um eine Förderung. Mit der Finanzierung möchte man die Testimonials weiter schulen. Ab März wollen sie ein- bis zweimal im Monat entweder Vorträge in Schulen oder Kurse machen. Ebenso die Islamische Glaubensgemeinschaft unterstützt die Initiative. Kooperieren werde man laut Benyes auch mit den Wiener Jugendzentren.

Jugendliche direkt in ihrer Szene abholen

Der Bezirksvorsteher Ernst Nevriry holte das Projekt als erster in seinen Bezirk. „Das ist ein Projekt, bei dem man die die Jugendlichen direkt von dort abholt, wo sie sind – nämlich in den Kampsportzentren“, sagt er im Gespräch mit Profil. „Es geht nicht nur darum etwas zu finanzieren, sondern, dass man meinungsbildend dabei vorgeht. Es geht darum, die Idee zu unterstützen.“

Der Bezirksvorsteher ist überrascht, welche Wirkung die Kampfsportler auf die Jugendlichen haben. Diese Vorbildwirkung kenne er normalerweise nur von Fußballern wie David Alaba. „Das funktioniert tatsächlich, das ist ein Projekt das man unterstützen sollte und das zusätzlich zu den Maßnahmen, die die Stadt Wien bereits macht, funktioniert. Das war der Beweggrund, warum ich mich dafür stark gemacht habe“, sagt Nevriry.

Auf mögliche Bedenken, dass gefährdete Jugendliche durch die Kurse noch kräftiger werden, entgegnet der Bezirksvorsteher: „Es ist ja so, dass sie in den Klubs bereits kämpfen. Dort werden sie abgeholt.“ Nevrivy glaubt, dass die Botschaften eher bei den Jugendlichen ankommen, wenn sie von Idolen übermittelt werden.

Weg von der Straße

Vor ein paar Wochen haben Benyes und Karakas ein weiteres Projekt ins Leben gerufen: „Street2future“. Dabei geht es weniger um Deradikalisierung, sondern Jugendlichen eine Freizeitbeschäftigung zu geben. Laut Benyes, der ebenso der Pressesprecher von Bezirksvorsteher Nevriry ist, gibt es im sozial schwierigen Bereich des Donauzentrums viele Jugendgruppen, die sich dort nach der Schule oder Ausbildung aufhalten. Sie hätten oft nicht die finanziellen Mittel, um anderen Dingen nachzugehen.

Das Konzept ist ähnlich wie bei NIGN, es gibt Workshops und Trainings. Diese finden seit kurzem im Donauzentrum statt. Dabei geht es um Rollenbilder, Geschlechterrollen, Demokratie und Meinungsfreiheit. Auch bei diesen Kursen gibt es laut den Verantwortlichen keine Boxkämpfe. Szenesportler wie Mairbek Taisumov, Arbi Argujev und Tamerlan Burujev sind bei diesem Projekt dabei.

Das Projekt wird vom Donauzentrum finanziert, wo auch die Kurse und Workshops stattfinden. Die Sportler seien täglich vor Ort und sprechen die Jugendlichen vor dem Donauzentrum direkt an und erzählen ihnen von den Kursen. Die Kurse sollen in Zukunft ein- bis zweimal in der Woche stattfinden.