ORF-Mitarbeiter beriet EADS: "Bitte nach Ausdruck löschen!“

Unveröffentlichte interne EADS-Dokumente zeigen, wie weit das Lobbying des Eurofighter-Herstellers reichte. Ab 2002 sollten Politiker, Beamte und vor allem der ORF gezielt auf Linie gebracht werden. Der Konzern ließ sich dabei auch von einem leitenden ORF-Mitarbeiter beraten.

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Der Auftraggeber wollte ganz offensichtlich nicht selbst in Erscheinung treten. Er ließ die elektronische Depesche über den Account eines Mitarbeiters versenden - und verzichtete auch darauf, diese mit eigenem Namen zu zeichnen. Ihm war wohl klar, dass die Angelegenheit irgendwann Fragen aufwerfen könnte. Am 9. März 2002, vier Monate, bevor die schwarz-blaue Bundesregierung um Kanzler Wolfgang Schüssel den Ankauf von 24 (später 18, noch später 15) Eurofighter-Jets beschloss, verließen zwei wortgleiche E-Mails das ORF-Zentrum am Wiener Küniglberg, die Ermittler Jahre später als "konspirativ“ klassifizieren sollten. Adressaten: zwei Deutsche, beide damals ranghohe Manager des EADS-Konzerns. Wichtigkeit: hoch; Vertraulichkeit: noch höher. Einer der Empfänger leitete die Nachricht zwei Tage später intern weiter - mit dem Vermerk: "Bitte nach Ausdruck löschen!“ Tatsächlich wurden beide E-Mails ausgedruckt und in einem Aktenordner bei EADS archiviert. Dort lagen sie annähernd elf Jahre unberührt, ehe deutsche Kriminalbeamte sie am 29. Jänner 2013 bei Hausdurchsuchungen nebst Tausenden anderen Dokumenten sicherstellten, auswerteten und später auch der Staatsanwaltschaft Wien übermittelten.

Die E-Mails (genauer sind es deren drei) liegen profil vor - zusammen mit anderen 2013 in Deutschland beschlagnahmten Dokumenten, die gemeinsam eine Geschichte erzählen. Ab 2002 setzte der EADS-Konzern in Österreich zeitgleich auf mehreren Ebenen an, um Politiker, Angehörige des Militärs, Beamte und Medien für das "Projekt Eurofighter“ zu vereinnahmen. Mittels Werbeeinschaltungen, Sponsorings, Show-Events, Informationsveranstaltungen und -reisen, Pressekonferenzen, Interviews, Konkurrenzbeobachtungen, "Kamingesprächen“ sowie einer Vielzahl persönlicher Kontakte sollte die öffentliche Meinung gezielt in Richtung Eurofighter beeinflusst werden. Dafür bot EADS eine Armada von Lobbyisten, PR-Beratern, Werbefachleuten und politischen Analysten auf. Viele dieser teils verdeckten, teils offenen Operationen wurden im Laufe der vergangenen Jahre publik (nicht zuletzt durch das Engagement des Grünen-Abgeordneten Peter Pilz und akribischen Recherchen mehrerer Medien, darunter auch profil): so etwa die Tätigkeit der Werbeagentur des früheren FPÖ-Bundesgeschäftsführers Gernot Rumpold, die vor und nach der Typenentscheidung intensive Aktivitäten entfaltete und dafür von EADS mit annähernd sieben Millionen Euro Honorar bedacht wurde.

Der ORF kann die Urheberschaft der nicht namentlich gezeichneten E-Mails nicht eruieren, ist aber an der Aufklärung des Sachverhalts höchst interessiert

Die profil nun vorliegenden EADS-internen Schriftstücke - sie sind allesamt Teil des österreichischen Ermittlungsaktes - waren bisher allerdings völlig unbekannt. Sie dokumentieren unter anderem bemerkenswerte Kontakte von EADS-Beratern zu Mitgliedern des Bundesrates; mehr noch zeigen sie, dass jedenfalls ein früherer leitender ORF-Angestellter dem EADS-Konzern bei der Durchsetzung seiner Interessen in Österreich zur Hand ging - als eine Art inoffizieller Berater. profil-Recherchen im ORF führten zu einem Namen, der vorerst allerdings nicht genannt wird, auch deshalb, weil der Betreffende bisher nicht für eine Stellungnahme zu erreichen war. Offiziell hält der ORF sich bedeckt. "Der ORF kann die Urheberschaft der nicht namentlich gezeichneten E-Mails nicht eruieren, ist aber an der Aufklärung des Sachverhalts höchst interessiert und wird im Rahmen seiner Möglichkeiten selbstverständlich dazu beitragen“, teilte Sprecher Martin Biedermann vergangene Woche auf Anfrage mit.

Am 9. März 2002 wurde über eine dem ORF-Chefsekretariat zuzurechnende E-Mail-Adresse eine Nachricht in zweifacher Ausfertigung an zwei deutsche EADS-Manager verschickt, die keinen Zweifel daran ließ, wohin die Reise ging. Allem Anschein nach war dies auch nicht der erste Kontakt:

"Erlauben Sie mir, mich für unser letztes Zusammentreffen bei Ihnen zu bedanken. Der Gedankenaustausch war äußerst nützlich und produktiv. Die fixierten Arbeiten im Medienbereich sind bereits angelaufen. Ich gehe davon aus, dass die Vereinbarungen so wie besprochen halten und realisiert werden.“ Welche "Arbeiten im Medienbereich“ konkret gemeint waren, lässt sich aus dem E-Mail nicht herauslesen - ebenso wenig die Art der genannten "Vereinbarungen“.

Darüber hinaus habe ich Ihnen zugesagt, weitere Gesprächspartner aus dem wichtigen Kreis der österreichischen Politik bzw. auch aus den von Ihnen bisher nicht kontaktierten Militärs zu nennen

"Mit gleicher Post habe ich an Herrn W. (Anm. damals Mitarbeiter der EADS-Kommunikationsabteilung) ein Schreiben gerichtet und ihn ersucht, die entsprechend notwendigen Maßnahmen (sprich Einladungen bzw. Kontakte) auszusprechen und herzustellen.“ Und weiter: "Darüber hinaus habe ich Ihnen zugesagt, weitere Gesprächspartner aus dem wichtigen Kreis der österreichischen Politik bzw. auch aus den von Ihnen bisher nicht kontaktierten Militärs zu nennen. Diese Personen sollten auf jeden Fall von Ihnen kontaktiert bzw. im konkreten Fall zur ILA (Anm. Internationale Luft- und Raumfahrtausstellung Berlin) eingeladen werden. Wobei ich mir erlaube, Ihnen Tipps zu geben, in welcher Form. Die Namensliste enthält Personen, ihre Bedeutung und die Anregung, sie im gegebenen Fall, voll einzuladen‘.“ Voll einzuladen? Es ist unklar, was damit intendiert war.

Eurofighter

In weiterer Folge führt der Urheber elf Personen an, die in jedem Fall zur damals bevorstehenden Luftfahrtausstellung nach Berlin (6. bis 12. Mai 2002) gebracht werden sollten: amtierende Politiker von ÖVP und FPÖ, ein Beamter des Verteidigungsministeriums sowie zwei ORF-Journalisten, jeweils mit kurzen Steckbriefen. Unter ihnen:

> der damalige stellvertretende ÖVP-Klubobmann und spätere Finanzminister Michael Spindelegger. In seinem Steckbrief heißt es etwa: "Ein hervorragender und einflussreicher sicherheitspolitischer Experte, lange Jahre im europäischen Parlament und meinungsbildend im Klub der ÖVP.“ Auf dem Ausdruck des Mails fügte jemand bei EADS später handschriftlich hinzu: "Chancen für nächsten Verteid-minister“.

> Harald Ofner, Rechtsanwalt und Justizminister a. D. (1983 bis 1987): "Urgestein der Freiheitlichen Partei … Ein einflussreicher Meinungsträger in der FPÖ und Sicherheitsfragen positiv aufgeschlossen. Wichtig ist seine deutschfreundliche Grundhaltung.“

> Vincenz Liechtenstein, einst ÖVP-Abgeordneter, er verstarb 2008: "Urenkel der letzten Kaiserin, ein starker Freund der Landesverteidigung … Er steht politisch am rechten Rand und ist ein besonderer Freund und Befürworter von Edmund Stoiber.“

> John Gudenus, einst FPÖ-Abgeordneter und Holocaust-Verharmloser, er verstarb 2016: "Engagierter Freund der Landesverteidigung … sicher für die Eurofighter-Lösung zu gewinnen. Politisch sehr deutschfreundlich, etwas, althergebracht‘, ich würde meinen, ein sogenannter Kavalier der alten Schule.“

> Walter Murauer, einst Wehrsprecher der ÖVP: "Versicherungskaufmann und oberösterreichischer Abgeordneter.“

> Detlev Neudeck, einst Bundesfinanzreferent der FPÖ: "Im Immobiliengeschäft tätig mit tiefem Einblick in die Finanzlagen der diversen freiheitlichen Organisationen.“

> Oberst F., damals im Kabinett von Verteidigungsminister Herbert Scheibner: "Schlüsselperson … alleiniger Referent für wirtschaftspolitische Fragen und insbesondere im Bereich der Gegengeschäfte von großer Bedeutung. F. ist ein keyopener in wichtigsten Bereichen … Die Einladung muss allerdings auf privater Basis ausgesprochen werden, da er dienstlich klarerweise zu diesem Zeitpunkt sich nicht offen deklarieren darf.“

Die Nachricht schließt mit der Anmerkung: "Ich empfehle dringend, die bisher nicht angesprochenen Personen in Ihre Betreuung zu übernehmen. Der Personenkreis könnte noch um einige wichtige Meinungsträger erweitert werden. Nachnennungen durch mich sind jederzeit möglich. Ich blicke mit großem Optimismus in die Zukunft und freue mich auf eine nächste Begegnung.“

Frau … ist unserem, Club‘ beigetreten und wird sich mit der Thematik fachkundig beschäftigen. Sie steht auch in einem besonderen Naheverhältnis zu Verteidigungsminister Herbert Scheibner

Zwei Wochen später ging von einem anderen Account des ORF-Chefsekretariats ein weiteres E-Mail Richtung EADS, mit dem Ersuchen, die Einladungsliste um eine ORF-Mitarbeiterin zu erweitern. "Frau … ist unserem, Club‘ beigetreten und wird sich mit der Thematik fachkundig beschäftigen. Sie steht auch in einem besonderen Naheverhältnis zu Verteidigungsminister Herbert Scheibner. Im Übrigen darf ich Ihnen sagen, dass die Arbeit hervorragend angelaufen ist und in allen Ebenen Ergebnisse bereits sichtbar sind.“

Einen von EADS organisierten Ausflug zur ILA 2002 gab es tatsächlich; in einem separaten Tross wurden Journalisten anderer österreichischer Medien (darunter profil) nach Berlin geflogen. Aus einer ebenfalls bei EADS sichergestellten Unterlage geht hervor, dass Gernot Rumpolds Agentur 100% Communications die Kosten eines eineinhalbtägigen Trips mit insgesamt zwei Dutzend Gästen auf rund 200.000 Euro schätzte.

Wer die Reise aufseiten der Politik tatsächlich antrat, war indes nicht zu klären. Michael Spindelegger zum Beispiel ließ auf Anfrage mitteilen, er könne sich "beim besten Willen nicht an eine Einladung erinnern“, besucht habe er die ILA 2002 jedenfalls "mit Sicherheit nicht“. Gleiches sagt auch Harald Ofner: Einladung vielleicht, Reise sicher nein. "Generell kann ich mich an keine Kontaktaufnahme durch Eurofighter erinnern.“ Auch Walter Murauer weiß heute nicht mehr, ob er eingeladen war: "Ich war jedenfalls nicht in Berlin. Wir sind einmal mit der Herkules ins Werk in Bayern geflogen. Zu Demonstrationsgründen haben uns damals Eurofighter begleitet und sind neben uns hergeflogen, und das war’s aber auch schon. Warum man sich für Eurofighter entschieden hat, das war mir durchaus plausibel.“ Als damaliger ÖVP-Wehrsprecher wundere er sich "nach wie vor, wer aller angeblich kassiert hat. Ich habe nicht einmal einen Kugelschreiber gekriegt“.

Die Mails wurden, wie bereits erwähnt, zusammen mit anderen Dokumenten 2013 bei EADS beschlagnahmt und anschließend vom Kriminalfachdezernat 7 der Münchner Polizei ausgewertet. In einem auch der Staatsanwaltschaft Wien vorliegenden Polizeibericht wurden diese unter dem Titel "Konspirativer Schriftverkehr der EADS Deutschland GmbH und Mitarbeitern des Österreichischen Rundfunks (ORF)“ katalogisiert.

Aus strafrechtlicher Sicht lassen sich daraus keinerlei Vorwürfe ableiten - politisch ist die Angelegenheit dennoch heikel. Dass ein leitender Mitarbeiter des öffentlich-rechtlichen Fernsehens den letztlich siegreichen Eurofighter-Lieferanten beriet, wirft die Frage auf, ob er seinen Job unbeeinflusst ausüben konnte. Soweit es den Rüstungskonzern betrifft, war das Interesse am ORF jedenfalls groß. In der 2013 bei EADS beschlagnahmten Dokumentation findet sich unter anderem auch ein mehrseitiges, streng vertrauliches Konzept zur gezielten Einflussnahme auf zumindest eine ORF-Produktion - etwa im Wege von "Produktionskostenzuschüssen“.

Ob und wie viel davon tatsächlich umgesetzt wurde, ist noch Gegenstand von Recherchen. profil wird darüber in seiner kommenden Ausgabe berichten.

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin