profil-Morgenpost

Das papierlte Hohe Haus

Geht es um Fakten zu Asyl und Migration hält der ÖVP-Innenminister Opposition und die Öffentlichkeit gerne am Schmäh. Gerhard Karner ist ein Meister in dieser Disziplin.

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Gibt es in dem Ministerium, das für die innere Sicherheit in diesem Land zuständig ist, eine geheime „Papierl“-Abteilung? Mit diesem – vom tschechischen poperati (bestreiten) abgeleiteten - Ausdruck, pflegt ein des Wienerischen Kundiger viele Schattierungen des unlauteren Kommunizierens zu belegen. Wer sich „ned bapialn“ lassen will, hat wenig Lust, getäuscht, angelogen, hinters Licht geführt oder „am Schmäh“ gehalten zu werden.

Eigentlich verbietet es sich in einer entwickelten Demokratie, dass ein Innenminister und ÖVP-Regierungsmitglied die Abgeordneten der Opposition im Hohen Haus „papierlt“. Die Realität sieht anders aus: Laut einer Analyse von über 11.000 Anfragen aus Parlament und Bundesrat, verweigert kein Ministerium so ungeniert Auskünfte wie das Innenressort. Besonders zugeknöpft ist das ÖVP-Ministerium, wenn es um Asyl und Migration geht. Vor zwei Monaten berichtete profil über diesen Übelstand.

Wolfgang Salm, ein IT-Experte, der sich in seiner Freizeit beim Verein "Fairness Asyl" engagiert, hatte die einschlägigen Nichtbeantwortungen unter die Lupe genommen und die Lieblingsphrasen der ÖVP-Innenminister herausgefiltert. Auf den ersten beiden Plätzen: „Dazu haben wir keine Statistik“. Und: „Meinungen und Einschätzungen unterliegen nicht dem Interpellationsrecht“. Immer wieder steht der eine Mandatar oder die eine Mandatarin gegen die Abschasselungen auf, „Kaaszettln“ würde der Wienerisch-Kundige der vordigitalen Ära sie nennen, also Dokumente, die kaum das Papier wert sind, auf dem sie gedruckt wurden.

Neos-Politikerin Krisper: "Das ist frech!"

Im Parlamentsklub der Neos sammelte man besonders dreiste Beispiele und fasste sie unter dem Titel „Einschränkungen des parlamentarischen Interpellationsrechts“ zu einer neuerlichen, parlamentarischen Anfrage zusammen. Zwei Monate hatte das Innenministerium Zeit, sich 31 offen gebliebenen Punkten aus früheren Anfragen noch einmal und mit etwas mehr Ernsthaftigkeit zu widmen. Diese Frist schöpfte man bis zum letzten Tag aus. Nun ist die Anfragebeantwortung da, und es scheint, als hätte die geheime „Papierl“-Abteilung wieder ganze Arbeit geleistet. Wenn Sie gerade Muße und Lust auf spröde Prosa haben, können Sie diesem Link folgen und auf der Homepage des Parlaments in den Antworten stöbern, die sich so gut wie nicht von den beanstandeten Antworten unterscheiden.

Die Neos-Abgeordnete Stephanie Krisper ist damit- wenig überraschend – nicht zufrieden: „Das Innenministerium verweigert weiterhin die Auskünfte, die uns zustehen. Oft wird auf vergangene Anfragen verwiesen, obwohl diese bereits unbeantwortet waren. Das ist frech und unterminiert Transparenz.“  Im Wienerischen böten sich für die bereits notorischen Nicht-Antworten aus dem Innenministerium die Bezeichnungen „Schmonzes“ (vom hebräischen shemuoth), leeres Gerede, oder auch „Schmafu“ (frz. je m´en fous) an. Dabei geizt der Innenminister keineswegs mit Daten und Fakten, wenn es darum geht, das eigene politische Handeln plausibel zu machen.

Mehr Grenzpatrouillen, mehr Asylanträge

Das österreichische Asylwesen sei „an der Grenze der Belastbarkeit“, ließ Karner kürzlich wissen. Zwischen Anfang Jänner und Ende Juli suchten fast 42.000 Menschen um Asyl an. Zum Vergleich: Im Vorjahr waren im gleichen Zeitraum bloß 14.000 Anträge angefallen. Sofort machte sich Alarmstimmung breit: Droht eine Masseneinwanderung, so wie 2015 und 2016? Es wäre redlich gewesen dazuzusagen, dass diese hohe Zahl auch die von ihm, Karner, selbst so vehement verteidigten scharfen Grenzkontrollen widerspiegelt. Denn je mehr Menschen bei der Einreise gefasst – und polizeilich angehalten – werden, desto mehr fühlen sich genötigt, hier um Schutz anzusuchen. Sobald sie sich wieder frei bewegen können, verschwindet ein erheblicher Teil innerhalb weniger Tage.

In Summe „entzogen“ sich in der ersten Jahreshälfte 2022 offiziell über 10.000 Personen dem Verfahren, wie es auf Amtsdeutsch so schön heißt. Die Dunkelziffer dürfte weitaus höher sein. Man könnte es auch so ausdrücken: Sie reisten dorthin weiter, wo sie schon längst wären, hätte die österreichische Polizei sie nicht aufgehalten. Ähnliches war 2015 und 2016 zu beobachten: Ungarn verzeichnete europaweit die höchste Zahl an Asylanträgen, konnte sich aber mitnichten damit brüsten, in der Flüchtlingsbewegung besonders hilfsbereit gewesen zu sein. Im Gegenteil. Die Zahl der Menschen, die in Ungarn eine Grundversorgung und ein Asylverfahren bekamen, belief sich auf einen eher lächerlichen Bruchteil.

Bitte nur Ukrainerinnen!

Karner hält es aus innenpolitischen Erwägungen für opportun, „Kante“ zu zeigen und die Patrouillen an den Grenzen verstärken. Rechtlich verpflichtet wäre er dazu nicht. Interessanter als Asylanträge zu zählen – und das oft mehrfach, denn dieselben Personen, die in Österreich verschwinden, tauchen in anderen Ländern oft als neue Antragssteller auf – wäre die Zahl der Asylwerber, die im Rahmen der staatlichen Grundversorgung untergebracht werden. Ukrainerinnen (derzeit sind rund 80.000 registriert, rund 57.000 davon in Grundversorgung) kann man mitzählen, wie es Innenminister Karner macht, wenn es darum geht, die drohende Überlastung auszurufen. Man muss man sie aber nicht mitzählen, denn 80 Prozent von ihnen leben in privaten Quartieren. Sie sind also eher nicht schuld daran, dass das heimische Asylwesen angeblich bald zusammenbricht. Der Grund könnte hausgemacht sein. Einige Bundesländer wollen nur Ukrainerinnen unterbringen, und weigern sich recht unverhohlen, Asylwerber aus anderen Ländern zu übernehmen. Vor allem deshalb platzen die Quartiere des Bundes derzeit aus allen Nähten. Und das, obwohl unter dem Strich nicht mehr Asylwerber in Grundversorgung sind, als vor zwei Jahren.

All das lässt sich mit Asylantragszahlenspielen gut verschleiern. Nicht ausgeschlossen, dass auch hier wieder die geheime „Papierl“-Abteilung ihre Finger im Spiel hat. Uns von profil macht das berufsbedingt – und auf Wienerisch gesagt - ganz „wurlat“. Wir halten mit Faktenchecks und hintergründigen Geschichten dagegen. Und wir hören nicht auf, das Innenministerium an seine Verpflichtungen aus dem parlamentarischen Interpellationsrecht zu erinnern. Dazu gehört, der Opposition Rede und Antwort zu stehen, selbst wenn einem die eine oder andere Anfrage politisch nicht in den Kram passt.

Lassen Sie sich nicht „bapialn“ und starten Sie gut in die neue Woche,

Edith Meinhart

Edith   Meinhart

Edith Meinhart

ist seit 1998 in der profil Innenpolitik. Schreibt über soziale Bewegungen, Migration, Bildung, Menschenrechte und sonst auch noch einiges