Der Shisha-Verband bei einer Krisenpfeife.

Rauchverbot: 500 Shisha-Bars stehen vor dem Aus

In Hunderten Shisha-Bars rückte das multikulturelle Österreich eng zusammen. Das Rauchverbot nimmt ihnen die Existenzgrundlage. Ein Nachruf.

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"Fast alle gehen Shisha“, sagt Fatih. Von 20 Freunden ziehe nur einer nie an der Wasserpfeife. Acht Wiener im Alter zwischen 19 bis 23 Jahren entspannen nach der Kletterhalle in der „Selcuklu“-Shisha-Bar im 15. Wiener Gemeindebezirk. Der Schlauch macht die Runde, jeder hat sein eigenes Mundstück. „Ich bin der Einzige mit Migrationshintergrund“, kokettiert Fatih mit seiner Herkunft. Doch es könnte genauso gut umgekehrt sein und ein David mit fünf Fatihs, Ayshes und Mohammeds den Tabak Marke „Traubeminze“ oder „Doppelapfel“ paffen. Niemanden würde es wundern. Denn kaum ein Ort bildet die Realität Österreichs als Einwanderungsland deutlicher ab als die rund 500 Shisha-Lokale zwischen Wien und Dornbirn. Während in Schule, Spital und Gemeindebau oft die Probleme des kulturellen Zusammenlebens im Vordergrund stehen, mischen sich verschiedene Communities in den Shisha-Bars so selbstverständlich wie an den Straßenbahnstationen im Migrantenviertel. Bei der Wasserpfeife trifft sich die Straße zum Durchatmen. Am Nachbartisch hat gerade eine Gruppe somalischer Flüchtlinge Platz genommen.

Mit 1. November verglüht diese Welt. Denn an diesem Tag tritt das Rauchverbot in Kraft. Alles, was dampft und raucht, wird aus kommerziell genutzten Räumen verbannt. Das nimmt den rund 500 Wasserpfeifen-Lokalen die Daseinsberechtigung. Ohne Kaffee kein Kaffeehaus, ohne Shisha keine Shisha-Bar.

Eine Ausnahme für die Wasserpfeife sieht das Rauchergesetz nicht vor. In Italien, Deutschland oder Schweden hat die Wasserpfeife unter Auflagen die strengen Rauchergesetze überlebt.

Kein Plan B

„Das ist so brutal. Beim Gedanken an das nahe Ende bekomme ich Panikattacken“, sagt Jakob Baran, Obmann des Shisha-Verbandes. Einen Plan B kann kaum ein Verbandsmitglied vorweisen. Mit Cocktailbars, Cafés oder Imbissständen sind die Straßenzüge mehr als gesättigt. Die Shisha erweiterte den Ausgehmarkt um einen orientalischen Lifestyle, der in ganz Europa neue Gäste anzog. Und nun? Zurück zum Döner – das wollen sich türkischstämmige Betreiber der zweiten und dritten Generation nicht vorstellen. Für manch syrischen Flüchtling war die Shisha-Bar überhaupt das erste Business im neuen Land. Einige haben erst vor wenigen Monaten stark überhöhte Ablösen für Geschäftslokale gezahlt.

Besonders enttäuscht ist die Szene von der SPÖ. Nach der Ibiza-Affäre und dem Ende der ÖVP/FPÖ-Koalition setzten die Sozialdemokraten gemeinsam mit der Volkspartei und den NEOS das strenge Rauchverbot im Parlament durch – ohne Ausnahmen für die Shisha. Für sie ergriff paradoxerweise nur die FPÖ Partei. Vor der Nationalratswahl 2017 warb Ex-Parteichef Heinz-Christian Strache mit Konterfei und dem Slogan „Shisha-Verbot dank Schwarz-Rot“ gar gezielt um Migrantenstimmen. Nach der Wahl verhinderte er in der Regierung dann das zuvor beschlossene totale Rauchverbot in der Gastronomie und verlängerte somit auch das Leben der Shisha-Szene um zwei Jahre.

Für die SPÖ geht die Gesundheit vor. „Viele Expertinnen und Experten sind an uns herangetreten, dass Shishas ebenso gesundheitsschädlich sind wie normale Zigaretten. Gesundheitsschädliches Verhalten kann auch nicht als Integrationsmaßnahme gesehen werden“, sagt eine Sprecherin. SPÖ-Parteichefin Pamela Rendi-Wagner war selbst Gesundheitsministerin. An dem von Sabine Oberhauser, ihrer Vorgängerin im Amt, die 2017 an Krebs verstarb, mitverantworteten Rauchergesetz wollte Rendi-Wagner keinen Deut ändern. Oberhauser beklagte bereits 2014, dass Shisha-Bars „wie Schwammerln aus dem Boden schießen“ und Altersbeschränkungen fehlten. Experten hatten gewarnt, das Nikotin in der Shisha könnte Jugendliche zum Einstieg in den Tabakkonsum verführen. Tatsächlich dürfte es in den vergangenen Jahren für Teenager recht einfach gewesen sein, den Jugendschutz zu knacken. Davon zeugen Schüler aus der Unterstufe, die auf Social-Media-Portalen wie Snapchat mit der Shisha posieren. „Du kommst leicht rein, wenn du älter aussiehst oder den Besitzer kennst“, erzählt der 16-jährige HTL-Schüler Nikola. Seit er 15 Jahre alt ist, raucht er im 20. Wiener Gemeindebezirk regelmäßig Wasserpfeife. „Durch den süßlichen Geschmack und den Wasserfilter glauben manche Jugendliche, die Wasserpfeife ist gar nicht schädlich.“

"Ganze Branche wird ohne wirkliches Gespräch zerstört"

2019 wurde das Mindestalter für Tabakprodukte inklusive Shisha von 16 auf 18 Jahre angehoben. Seither sei es viel schwerer für Teenager, illegal zur Shisha zu gelangen, ist Eray Erkurt überzeugt. Der türkischstämmige Wiener ist einer der Pioniere der Szene und eröffnete seine „Selcuklu“-Shisha-Bar 2010. Das war noch vor dem großen Wasserpfeifen-Boom, den das noch lockere Rauchergesetz des Jahres 2013 auslöste. Den Shisha-Verband hätten er und seine Mitstreiter auch deswegen ins Leben gerufen, um gesetzliche Auflagen wie Jugendschutz, Abluft oder Kohlenmonoxid-Höchstgrenzen besser gewährleisten zu können. „Auch mit neuen Auflagen wie in Bayern hätten wir leben können.“ In München ist im Gegensatz zu Berlin oder Hamburg nur nikotinfreier Shisha-Tabak erlaubt. „In einer Shisha-Bar verkehren weder Kinder, noch stört man Menschen beim Essen. Hierher kommen mündige Bürger ausschließlich zum Rauchen“, sagt Mohammed Duzdar. Er betreibt die Shisha-Bar „Duzis“ auf der Wiener Praterstraße gemeinsam mit seinem Bruder. Politisch wurde er in der Sozialistischen Jugend groß. Von der SPÖ ist er nun aber schwer enttäuscht. „Mich stört, das eine ganze Branche ohne wirkliches Gespräch zerstört wird. Wem, wenn nicht der SPÖ, müsste es um die Arbeitsplätze gehen?“ Die Kündigung seiner zwei wichtigsten Mitarbeiter bereitet er derzeit vor. Im Duzis stehen 23 Jobs auf dem Spiel.

An der gesamten Shisha-Branche hängen mehrere Tausend Arbeitsplätze. Das Vorbereiten der Wasserpfeife, Nachreichen der Kohle, Einschenken des Tees war ein beliebter Einsteigerjob für ungelernte Zuwanderer, Flüchtlinge mit Arbeitserlaubnis oder türkische Studenten, die sich die Studiengebühren finanzieren.

"Für die Wirtschaft ist das sehr traurig"

Ein Immobilien-Manager und Stammgast im „Duzis“ erwartet Lücken im Stadtbild. „Für Geschäftslokale Nachmieter zu finden, ist viel schwerer als für Wohnungen“, weiß er aus der Praxis. „Für die Wirtschaft ist das sehr traurig.“ Der Chef der Gastronomie in der Wirtschaftskammer, Mario Pulker, sagt zum bevorstehenden Kollaps der Shisha-Sparte: „Mir sind keine Gesetzesänderungen mit derart schwerwiegenden Auswirkungen bekannt.“ Auch die ÖVP lassen diese Argumente kalt. „Wir wollten am Gesetz von 2017 nichts ändern.“ In seiner Zeit als Integrationsminister suchte ÖVP-Parteichef Sebastian Kurz die Shisha-Bars noch aktiv auf. Er warb dort für seinen Leitspruch „Integration durch Leistung“ – mit Jungunternehmern der Shisha-Szene als Role Models. Doch ihre Leistung sollte sich zu sehr mit dem Trend zur Gesundheit und Reglementierung spießen. Und für eine Sonderregelung wie in Deutschland waren ihre politischen Netzwerke zu schwach. „Hast du schon auf vegane Falafel umgestellt?“, fragt Baran Duzdar mit einer Portion Galgenhumor.

Nun werden die Shisha-Bars so rasch aus den Stadtbildern verschwinden, wie sie diese erobert haben. Fatih und seine Freunde werden sich künftig daheim auf eine Wasserpfeife treffen. Österreich wird durch das Verbot wohl ein Stück gesünder – und zugleich ärmer an Internationalität.

Ein Stück internationaler wird die Wählerschicht der FPÖ. Denn die eine oder andere neue Stimme aus der türkischen Community scheint ihr sicher zu sein.

Clemens   Neuhold

Clemens Neuhold

Seit 2015 Allrounder in der profil-Innenpolitik. Davor Wiener Zeitung, Migrantenmagazin biber, Kurier-Wirtschaft. Leidenschaftliches Interesse am Einwanderungsland Österreich.