Kommentar: Warum einer der besten Asylanwälte des Landes seine Kanzlei schließt

Einer der besten Asylanwälte des Landes schließt seine Kanzlei, weil er nicht mehr an den Rechtsstaat glaubt. Edith Meinhart über einen Aufschrei, der nicht ungehört verhallen darf.

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Da gibt nicht irgendwer auf. Den Asyl- und Fremdenrechtsanwälten geht mit Ronald Frühwirth einer der engagiertesten verloren. Seine Kanzlei, die er nach 14 Jahren nun schließt, weil ihm der Glaube an den Rechtsstaat abhanden gekommen ist, war in Graz die Adresse für schwierige Fälle. Hier hatten am Ende „zu viele Gespräche mit Blicken voller Verzweiflung geendet“, erklärt Frühwirth auf seiner eigenen Homepage: „Zu viele meiner Mandantinnen und Mandanten wurden in Elend, Lebensgefahr und Not abgeschoben.“

„Politisch nicht opportun“

Für Außenstehende mag das entrückt klingen, pathetisch. Lebensgefahr. Elend. Not. Für einen Rechtsanwalt wie Frühwirth beschreiben diese Worte das Grauen, das in den zahllosen Geschichten seiner Mandantinnen und Mandanten lebendig wurde. Zu viele Menschen seien ohne Zuflucht, zu viele ohne juristisch durchsetzbaren Anspruch auf Schutz geblieben, „weil es politisch nicht opportun ist“. Was heißt das? Dass das Recht der Politik bereits folgt, wie Ex-Innenminister Herbert Kickl es formulierte? Der Anwalt aus Graz steht in der Kollegenschaft in einem erstklassigen Ruf. Er gilt als schnell, effizient, engagiert – vor allem aber als Meister in der Kunst der formal und inhaltlich tadellosen Beschwerde an die Höchstgerichte. Nun schreibt er: „Meine Bilanz ist erschreckend.“ Und: „Ich mag nicht mehr.“ Seit 2015 seien so gut wie alle seine asylrechtlichen Revisionen zurückgewiesen worden.

Wäre es bloß eine kleine, menschliche Privatsache, dass ein Anwalt und Vater sich beruflich zurückzieht, um die hoffnungslosen Flucht- und Migrationsbiografien zu verarbeiten, denen er – zunehmend vergeblich – versuchte, eine gute Wendung zu geben und sich seinen beiden Kindern zuzuwenden, es wären darüber nicht viele Worte zu verlieren. Doch der Asyl- und Fremdenrechtsexperte Frühwirth ist mit seinem Befund nicht allein. Dass Richter und immer öfter auch Höchstrichter sich fast überschlagen, um das kategorische, politische Nein zu Flüchtlingen und Einwanderern in Bescheide umzusetzen und das, „was die Würde des Menschen ausmacht, antastbar geworden ist“, beklagen viele seiner Kolleginnen und Kollegen.

Es zähle das Ergebnis: der negative Bescheid, die Abschiebung

Stefan Harg, Asylanwalt in Bregenz, sagt, er könne den Frust nachvollziehen: „Die Höchstgerichte lassen die Menschen im Stich und schauen viel zu lange zu. Sisyphus ist nicht umsonst unser Kanzleiheiliger. Das System ist auf maximalen Aufwand getrimmt und den können die wenigsten leisten. Aus diesem Grund gibt es auch nur noch eine Handvoll Fremdenrechtler unter den Anwälten.”

Wilfried Embacher, namhafter Asyl- und Fremdenrechtsanwalt in Wien, war vor einigen Wochen auf der italienischen Insel Lampedusa. Dort habe er wieder etwas von jener radikalen Humanität gespürt, die Menschenrechte auszeichnet, und die er in Österreich seit längerer Zeit schmerzlich vermisst: Retten, wenn jemand am Ertrinken ist, Essen geben, wenn jemand Hunger hat. Embacher sagt, er verstehe nicht mehr, was in der heimischen Justiz vor sich gehe: „Von außen schaut alles rechtsstaatlich aus, dahinter geht es mitunter nur noch darum, Menschen ins Messer rennen zu lassen. Und die Höchstgerichte, wo das auffallen müsste, schauen oft nicht einmal mehr hin.“ Es zähle das Ergebnis: der negative Bescheid, die Abschiebung.

Die Frage nach Recht und Politik

Einer der letzten Erfolge des nun verloren gehenden Frühwirth war es übrigens, die Abschiebung eines siebenjährigen Mädchens zu verhindern. In Georgien wäre ihre seltene Autoimmun-Erkrankung nicht zu behandeln. Was ist, wenn es in einem Jahr keine Rechtsberatung mehr gibt und Fälle wie diese gar nicht mehr öffentlich werden? Was ist, wenn Anwälte wie Frühwirth aufgeben, weil sie nicht mehr glauben, dass ihre Rechtsmittel einen Sinn haben? Was ist, wenn Höchstgerichte ihre Aufgabe, schlechte Bescheide aufzuheben, nicht mehr zuverlässig wahrnehmen, weil immer mehr Richterinnen und Richter insgeheim auch finden, das Recht habe der Politik zu folgen? Die Fragen schreien zum Himmel.

Edith   Meinhart

Edith Meinhart

ist seit 1998 in der profil Innenpolitik. Schreibt über soziale Bewegungen, Migration, Bildung, Menschenrechte und sonst auch noch einiges