Wolff-Christoph Fuss

Hamburger Spottverein

Die profil-Fußballkolumne von Wolff-Christoph Fuss.

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Die Dinosaurier sind ausgestorben. Das ist keine besonders neue Erkenntnis. Trotzdem gibt es einen Verein der Ersten Fußballbundesliga, dessen Geschäftsmodell auf der Tatsache basiert, der letzte Dino des Planeten zu sein. Das ist natürlich maßlos übertrieben, aber Geschäftsmodelle funktionieren manchmal, auch wenn sie nur rudimentär der Wahrheit entsprechen. Da aber der Sportverein aus Hamburg Gründungsmitglied der deutschen Eliteliga und seit 1963 nie abgestiegen ist, nennt man sich dort seit einigen Jahren Dino. Man ist also nicht gezwungen, Werbeagenturen zu beauftragen, um einen griffigen Claim zu entwerfen. Vielmehr hat man sich spontan für das Modell "etwas übertrieben, aber nächstliegend“ entschieden.

"Spürbar anders“ ist der 1. FC Köln. "Echte Liebe“ gibt es nur in Dortmund. Die "Werkself“ ist die Betriebssportgruppe von Bayer Leverkusen. "Allez Grün-Weiß“ ist der etwas gedrechselte, wenngleich international angehauchte Spruch für Werder Bremen. Die "Bullen“ kommen neuerdings aus Leipzig, immer eine Hand an der Dose. Und der "Dino“ kommt eben aus der Freien und Hansestadt Hamburg.

Wobei, wollte man einen wirklich passenden Claim für den Ist-Zustand des HSV finden, würde seit Jahren "Baustelle“ am besten passen. Nachdem die Elbphilharmonie endlich fertiggestellt wurde, ist der ortsansässige Sportverein mittlerweile die größte und teuerste Baustelle der Hansestadt. Aber dieser Entwurf wäre zu selbstironisch und für ein Verkaufsargument zu negativ besetzt - einfach zu wahr, um schön zu sein.

Der Patient von der Elbe hat seit Jahren die große Gabe, sich von einer Fehlerkette in die nächste zu katapultieren. Gerade wenn man das Gefühl hat, jetzt sind aber alle Fehler gemacht, folgen weitere. So könnte man vielleicht als Hohn- und Spottverein reüssieren, aber das wäre auch albern.

Wer den Hamburger Kader rein nach Namen beurteilt und begutachtet, der sieht alles, nur keinen sang- und klanglosen Tabellenletzten.

Sie sind im Moment ein Tabellenschlusslicht, wie es die Bundesliga noch nie gesehen hat. Der erste Trainerwechsel ist schon vollzogen, nach dem besten Spiel der Saison - ausgerechnet gegen den FC Bayern. Aus Bruno Labbadia wurde Markus Gisdol. Mindestens ein weiterer Trainerwechsel bis Weihnachten würde nicht überraschen. Offen ist die Frage, wer den vollziehen sollte. Der Vorstandsvorsitzende Dietmar Beiersdorfer ist aktuell nur bedingt handlungsfähig; er hängt am Tropf des Aufsichtsrates. Dessen Vorsitzender Karl Gernandt ist wiederum erster Mitarbeiter des milliardenschweren Transportunternehmers Klaus-Michael Kühne, der seit Jahren das wirtschaftliche Überleben des Vereins sichert. Er gleicht kurzfristige Engpässe aus und investierte im vergangenen Sommer 30 Millionen Euro in neue Spieler.

Wer den Hamburger Kader rein nach Namen beurteilt und begutachtet, der sieht alles, nur keinen sang- und klanglosen Tabellenletzten. Allerdings fehlen Herz, Bereitschaft, Verve und eine nicht nur hinterlegte, sondern auch umgesetzte Spielidee. Angesichts dieser Mängelliste stampft Ernst Happel auf dem Wiener Zentralfriedhof voller Sorge durch die Familiengruft. Nein, das wäre zu viel der Emotion: Vermutlich grantelt er rauchend in aller Stille.

Als Happel seinerzeit in Hamburg grantelnd rauchte, war der HSV noch kein Dino. 1983 Sieger im Cup der Landesmeister, 1982 und 1983 deutscher Meister. 1987 DFB-Pokalsieger - der bis heute letzte große Titel. Damals gehörte der HSV zur nationalen und internationalen Elite.

Vor einigen Wochen wurde Uwe Seeler 80. Auch eine HSV Legende. Die HSV-Legende. Er wollte seinen Ehrentag in einer Loge im Volksparkstadion begehen, obwohl am gleichen Tag Borussia Dortmund zu einem Bundesligaspiel vorbeischaute. Freunde hatten ihn im Vorfeld gefragt, ob er sich das gut überlegt habe, ob er wisse, worauf er sich da einlasse. Seeler blieb standhaft. Der HSV verlor mit 2:5 und bescherte "Uns-Uwe“ einen Geburtstag in der Geisterbahn. "Geisterbahn“ wäre übrigens auch ein passender Claim - da gibt’s noch Dinosaurier.

Wolff-Christoph Fuss kommentiert wöchentlich die Topspiele der deutschen Bundesliga und der UEFA Champions League live auf Sky.