„System muss aufgebrochen werden“

Biennale-Kommissärin: „Das System muss aufgebrochen werden“

Österreichs Biennale-Kommissärin Elke Delugan-Meissl über die Rolle der Architektur

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profil: Sie haben Österreichs Beitrag zur Architekturbiennale „Orte für Menschen“ genannt. Ist das nicht ein sehr allgemeiner Titel? Es geht doch konkret um das „Bauen für Flüchtlinge“. Elke Delugan-Meissl: Als ich im vergangenen Sommer nominiert wurde, gab es jeden Tag neue Meldungen: Traiskirchen überfüllt, unmenschliche Bedingungen, Flüchtlingsströme durch Europa. Das haben wir – mein Ko-Kuratoren-Team Liquid Frontiers und ich – zum Anlass genommen, uns im Zuge des diesjährigen Biennale-Beitrags mit der Frage zu beschäftigen, was Architektur zum sozialen Miteinander beitragen kann. Denn die gesellschaftliche Wahrnehmung von Architektur ist in den vergangenen Jahren spürbar zurückgegangen.

profil: Sie haben nun die Realisierung dreier Wohnbauprojekte in Wien initiiert. Sie hätten auch auf in Österreich bereits vorhandene Bauten zurückgreifen können, die genau diese Art von sozialen und architektonischen Qualitäten haben. Weshalb realisierten Sie mit ausgewählten Architektenteams lieber selbst etwas? Delugan-Meissl: Ich wollte einen realen Prozess abbilden, der über die Biennale hinaus wirkt, der Erkenntnisse liefert und Synergien aufzeigt. Neben der Flüchtlings- und Wohnraumthematik interessiert mich auch das Motiv der urbanen Leerstände. Wir haben leerstehende Immobilien adaptiert, an verschiedenen Standorten und von unterschiedlicher Bespieldauer, um vielfältige Zugänge zu zeigen. Die Ergebnisse können in künftige städtebauliche Ansätze integriert werden, zum Beispiel für die Konzeption neuer Wohnformen, dessen heutige Standards nicht mehr allen Anforderungen gerecht werden.

Dort liegt die Schnittstelle zur sozialen Kompetenz in der Architektur.

profil: Sie sprechen von der sozialen Rolle der Architektur. Können Sie ein konkretes Beispiel dieser gesellschaftlichen Wirkung nennen? Delugan-Meissl: Die kurzfristige Intervention von Caramel Architekten in einer Büroimmobilie aus den 1990er-Jahren wäre ein Beispiel. Sie können sich den Charme der Räumlichkeiten eines Großraumbüros vorstellen. Das Haus, nun ein Notquartier für 300 Menschen, steht nur wenige Monate zur Verfügung. Wenn eine Immobilie so kurzfristig bespielt wird, sind die Investitionen naturgemäß niedriger. Die Architekten haben versucht, mit geringen finanziellen Mitteln Privatheit zu schaffen. Das Team entwickelte ein System von textilen Elementen, bestehend aus je einem Sonnenschirm, Stoffplanen und Kabelbindern. Die Bewohnerinnen und Bewohner wurden motiviert, bei der Herstellung der Stoffplanen mitzuhelfen. Ich war selbst ein paar Mal am Schauplatz, die Atmosphäre war toll. Den Architekten ging es um höhere Aufenthaltsqualität und die Integration der Nutzer: Dort liegt die Schnittstelle zur sozialen Kompetenz in der Architektur.

profil: Sind die Nutzer in den Prozess involviert? Delugan-Meissl: Das war Teil unseres Konzepts. Im Rahmen einer langfristigen Intervention hat das Designbüro EOOS für eine Büroimmobilie in Erdberg unterschiedliche Möbel entwickelt und Gemeinschaftsküchen implementiert. In der hauseigenen Werkstätte wurden die Möbel mit den dort Wohnenden gebaut. Der Schwerpunkt der Intervention liegt nicht allein auf der Möblierung, sondern in der Schaffung von Arbeits- und Tauschmöglichkeiten, einer hauseigenen Gemeinschaftsökonomie, für deren Transaktionen auch eine App entwickelt wurde.

Es wäre schön, wenn sich die Emotionen, die wir während der Projektentwicklung in Wien erlebt haben, in unserer Ausstellung in Venedig vermitteln könnten.

profil: Zeigt sich darin auch ein neues Rollenverständnis: der Architekt als Moderator? Delugan-Meissl: Die Rahmenbedingungen sind komplexer geworden. Wir müssen darüber nachdenken, wie wir in Zukunft auf die vielfältigen Lebenssituationen architektonisch-gestalterisch reagieren werden. Strukturen, die sich einst bewährt haben, müssen evaluiert, neue Konzepte entwickelt werden. Wohnraum zu reduzieren, um ihn kostengünstig zu machen, ist nicht die einzige Antwort. So heterogen sich unsere Gesellschaft gestaltet, so offen und vielschichtig müssen auch die räumlichen und urbanen Konzepte sein. profil: Die experimentelle Herangehensweise, die Sie in diesen drei Projekten testen, soll also fortgesetzt werden? Delugan-Meissl: Das System muss aufgebrochen und an kleineren Strukturen getestet werden. Natürlich arbeiten wir nicht losgelöst von Normen und Regelwerken. Aber es gibt Spielräume, die uns ermöglichen, nach Alternativen zu suchen.

profil: Wie soll Österreichs Biennale-Beitrag in Erinnerung bleiben? Delugan-Meissl: Es wäre schön, wenn sich die Emotionen, die wir während der Projektentwicklung in Wien erlebt haben, in unserer Ausstellung in Venedig vermitteln könnten. profil: Warum ist Ihnen die Emotion so wichtig? Delugan-Meissl: Weil ich sie stark in Verbindung mit Raumerfahrung und Raumqualität sehe. Vor einem Monat war ich im Haus in Erdberg – damals gab es die Einbauten von EOOS noch nicht –, und die Kommunikationszonen waren dunkle Gänge mit bedrückender Atmosphäre. In unserer Arbeit war es stets entscheidend, wie ein Raum auf jene wirkt, die sich darin bewegen. profil: Was soll von Ihrer Biennale-Arbeit bleiben? Delugan-Meissl: Die Inspiration, etwas bewegen zu können. Wir haben mit unseren Interventionen mehr als 1000 Menschen eine Verbesserung ihres Lebensraums ermöglicht. Ich hoffe, dass die gewonnenen Erkenntnisse in weitere städtebauliche Entwicklungsprozesse einfließen werden.

Zur Person: Elke Delugan-Meissl, 57, ist eine der wenigen erfolgreichen Frauen im bis heute stark männlich dominierten Architekturbetrieb in Österreich. Gemeinsam mit Roman Delugan gründete die gebürtige Linzerin das international erfolgreiche Architekturbüro Delugan Meissl Associated Architects, das unter anderem das Amsterdamer Filmmuseum, das Porsche Museum in Stuttgart und das Winterfestspielhaus in Erl baute. 2016 fungiert sie als Kommissärin des Österreichischen Pavillons auf der Architekturbiennale in Venedig.