Birgit Birnbacher: Ein Corona-Tagebuch

Auch wenn es, aus der verordneten Isolation heraus, manchmal so scheinen mag: Das Kulturleben wurde

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Auch wenn es, aus der verordneten Isolation heraus, manchmal so scheinen mag: Das Kulturleben wurde in Österreich mit 15. März keineswegs stillgelegt. Es wird in diesem Land tatsächlich weiterhin geschrieben, gelesen, gemalt, komponiert und gespielt, nur eben kaum noch vor leibhaftigem Publikum, was aber kein Hinderungsgrund für fortgesetzten Kulturkonsum sein muss, sein darf.

Als Reaktion auf die behördliche Schließung seines öffentlichen Lesungsprogramms bat etwa das Literaturhaus Graz die nun doch nicht Lesenden um schriftliche Beiträge zur digitalen Veröffentlichung. Wöchentlich, immer freitags, werden also die „Corona-Tagebücher“ österreichischer Autorinnen und Autoren auf der Seite des Literaturhauses www.literaturhaus-graz.at publiziert. Die erste Lieferung – „Anfänge“ – enthält unter anderem Texte von Ann Cotten, Valerie Fritsch, Kathrin Röggla und Michael Stavaric; profil publiziert an dieser Stelle den ersten Teil des Corona-Tagebuchs von Birgit Birnbacher.

Die im Vorjahr mit dem Bachmann-Preis ausgezeichnete Salzburger Autorin hat soeben auch ihren wundervollen Roman „Ich an meiner Seite“ veröffentlicht – dies nur als Empfehlung für fortgesetzten Kulturkonsum (Zsolnay Verlag, 23,70 EUR, erhältlich im gut sortierten Online-Buchhandel).

11.03.2020: mann beim spar: ah geh bitte. er sei heute auf die schranne gefahren, ganz normal mit bus und alles, hendlhaxn kauft, zurückgfahrn, nix passiert.

11.03.2020: ein freund hat immer gesagt, eine erscheinung im frühjahrsprogramm sei eine schlechte idee. aus gegenwärtiger sicht würde ich zustimmen.

12.03.2020: sms des freundes: sei nicht traurig, der buchhandel wird dich retten.

13.03.2020: regierung verkündet die schließung der buchläden.

13.03.2020: whatsapp von freundin, die auch ein kind hat: hättest du zur not mehl zuhause oder kaufst du welches ein? ich antworte – nein, schaue aber nach.

13.03.2020: lektüre: daniel dafoe die pest zu london. fehler.

13.03.2020: kolumne für die ZEIT zum thema alpenkitsch zur abgabe in 48 stunden angenommen: an was anderes denken.

13.03.2020: die kindergärten schließen. zum ersten mal bin ich auch kurz ein bisschen dankbar für die zig ausgefallenen lesungen.

13.03.2020: beim dm: die frau vor mir ist über 60 und kauft alles mehl von dinkel bis vollkorn und weizen und normal und zig packungen haferflocken und milch-brei. alles klopapier ist weg, küchenrolle auch. das seifenregal ist voll.

14.03.2020: kolumne abgegeben mit dem sonderbaren gefühl eines erwachsenen, der nicht mehr so spielen kann wie ein kind.

14.03.2020: eine verwandte schreibt anlässlich einer nahenden feierlichkeit: also ich mach mir höchstens sorgen wegen der coronapanik. hab mich letztes jahr um die selbe zeit schon eingehender mit dem virus beschäftigt….soll in marokko von kamel übertragen werden….doch auch damals wie auf der diesjährigen reise kein problem.

14.03.2020: mein kind und ich füttern schwarze kühe in der sonne, wo niemand ist. wir werfen alten sellerie über den zaun und 1 birne. den sellerie beschnuppern sie lang, fressen ihn dann aber doch. wir streicheln sehr lange eine ziege, auch die hörner. die ziege bleibt bei uns stehen, obwohl wir nichts mehr für sie haben.