Was wird hier gespielt? "The Night Of" ist düster, radikal, nahe an der Realität.
Schuld und Sühne in NYC

HBO-Serie „The Night Of“: Schuld und Sühne in NYC

„The Night Of“ feiert die Rückkehr zum klassischen Crime-Drama.

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Ein junger Mann sitzt im Warteraum einer New Yorker Polizeistation. Er ist nervös, schabt mit seinen Füßen, der Schweiß rinnt ihm über sein Gesucht. Er versucht seine verletzte Hand zu verstecken und wartet darauf, von den Beamten verhört zu werden. Eigentlich wurde er nur wegen einer Bagatelle mit aufs Revier genommen. Falsch abgebogen. Blöd nur, dass in seiner Lederjacke ein blutverschmiertes Messer steckt. Was gut beginnt, wird noch besser. Die Ausgangslage der neueste Miniserie aus dem Hause HBO ist schnell erzählt: Der pakistanische Student Naz (Riz Ahmed) ist in Manhattan auf eine Party eingeladen. Als seine Mitfahrgelegenheit verpasst, schnappt er sich ungefragt das Taxi seines Vaters, um von Queens in die Lower Eastside zu kommen. Als er unterwegs eine junge Frau mitnimmt, soll sich in einer Nacht sein ganzes Leben ändern. Naz wird des Mordes angeklagt und gerät mit seinem Verteidiger John Stone (John Turturro) in die Mühlen der amerikanischen Justiz. Dabei kommt das düstere „The Night Of“ genau zur richtigen Zeit – und ist nach dem „Game of Thrones“-Kater der erfrischende Sprung ins eiskalte Becken. Mit Drachen, verrückten Königen und Fabelwesen hat die achtteilige Geschichte der Serienschöpfer Steven Zaillian („Schindlers Liste“) und Richard Price („The Wire“) nämlich gar nichts zu tun.

Es geht um reale Personen, die einfach ihren Job machen.

Für Regisseur und Drehbuchautor Steven Zaillian, der bei der Vorpremiere in London vorvergangene Woche Rede und Antwort stand, ist „The Night Of“ vor allem eine Serie, in der es weder Helden noch Bösewichte gibt. „Es geht um reale Personen, die einfach ihren Job machen“, meint Zaillain im Gespräch mit profil lakonisch. Sie scheitern eben am System.

John Turturro („O Brother, Where Art Thou?“, „Barton Fink“), der die Rolle des rätselhaften Anwalts von James Gandolfini nach dessen plötzlichem Tod 2013 übernommen hat, war sich zunächst nicht sicher, ob er die Rolle überhaupt annehmen sollte. Zu sehr war er dem „Sopranos“-Star persönlich verbunden, wie er im Gespräch betont. „James war ein sehr guter Freund. Wir kannten uns seit Jahren“. Doch es war der Wunsch der Witwe, dass gerade der gemeinsame Freund die Rolle übernehmen soll. Turturro, der die Rolle mit viel Humor und Slapstick anlegt, konterkariert die vordergründige Gewalt und den Zynismus der Gefängniswelt mit viel schwarzem Humor. „Stellen Sie sich vor, Sie hätten jeden Tag mit Toten zu tun“, mein der 59-jährige Halbitaliener trocken.

„Vergiss die Wahrheit“

Die acht Teile von „The Night Of“ sind vor allem düster, radikal, sehr nahe an der Realität. Basierend auf der BBC-Serie „Criminal Justice“ von Peter Moffat entwerfen Zaillian und Price eine Welt, in der die Schwachstellen der US-amerikanischen Justiz nicht nur in präziser Kleinstarbeit durchleuchtet werden, sondern die langwierigen Verfahren zum Gegenstand der Handlung machen. Die gut einstündigen Folgen treiben die Handlung sehr ruhig voran. Dass man es mit einer auf acht Teile limitierten Erzählung zu tun hat, tut dem Stoff sichtlich gut. Zaillian hatte beim Schreiben ohnehin stets längeren Film im Kopf, wie er im Interview betont.

Zaillian und Price haben sich die Freiheit genommen, die Miniserie bis in die Nebenrollen hinein hochkarätig zu besetzen; unter anderem mit dem iranischen Schauspiel-Star Peyman Moadi („A Separation“) oder der britischen Schauspielerin Amara Karan („Darjeeling Limited“). Den einzelnen Charakteren wird genug Zeit zur Entfaltung gegeben, manchmal mehr, als notwendig wäre. Ganz selbstverständlich wird hier auch New York in den Mittelpunkt der Handlung gestellt, die Stadt zu einem eigenen Charakter gemacht. Zaillian und Price haben ausschließlich an Originalschauplätzen in Manhattan und Queens gedreht; lediglich eine Poststelle mit Backsteinwänden wurde zu einer Polizeistation umfunktioniert.

Dass „The Night Of“ dabei wenig innovativ ist, aber gerade aus seiner Schlichtheit eine Dringlichkeit entwickelt, ist das Geheimnis der novellistischen Erzählung. Für Turturro wird hier ein Stoff entrollt, der aus der Feder von Dostojewskij stammen könnte. Die wahre Tragödie liegt in einer Gesellschaft, die sich selbst straft, indem sie gar nicht nach Gerechtigkeit sucht, sondern nur noch mehr Frustration und Traurigkeit produziert.

In „The Night Of“ kommen alle zu Wort: Cops, Richter, Anwälte, Angeklagte, Gefängniswärter, Verwandte. Nur die Wahrheit bleibt alle Antworten schuldig. „Vergiss die Wahrheit“, sagt Anwalt Stone bereits in einer seiner ersten Szenen. Geht es hier um Schuld und Sühne? Oder um Sühne ohne Schuld?

"The Night Of" wird ab 10. Juli parallel zur US-Ausstrahlung auf Sky On Demand, Sky Go und Sky Online ausgestrahlt.
Philip Dulle

Philip Dulle

1983 in Kärnten geboren. Studium der Politikwissenschaft in Wien. Seit 2009 Redakteur bei profil. Hat ein Herz für Podcasts, Popkultur und Basketball.