Sebastian Kurz

Profiteure der Flüchlingskrise: Der junge Metternich

Zur Überraschung aller entwickelt Österreich eine eigenständige Außenpolitik - und bringt einen internationalen Medienstar hervor.

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Am 24. August 2015 schreitet Außenminister Sebastian Kurz die Grenze zwischen Mazedonien und Griechenland entlang. Er sieht dort Bilder, die sich auch ins kollektive Gedächtnis eingegraben haben: 100 Meter Stacheldraht, daneben ein paar Polizisten, die immer wieder vor den andrängenden Flüchtlingen kapitulieren und sie durchlassen. Dieser 24. August ist ein Wendepunkt für Kurz. Er kommt zurück nach Wien, bestärkt in der Überzeugung: "Wir müssen die Flüchtlinge aufhalten.“ Ein Law-and-Border-Politiker ist geboren, frühere softe Kurz-Formeln wie jene von der notwendigen Willkommenskultur sind Geschichte.

Anfangs steht er mit dieser Haltung allein da, selbst in der ÖVP. Als Kurz am 29. August 2015 "schärfere Grenzkontrollen“ fordert, pfeift ihn sein Chef, Vizekanzler Reinhold Mitterlehner, barsch zurück. Doch der ÖVP-Jungstar hält Kurs und schwimmt gegen den Strom. Als andere Politiker noch Bananen und Willkommensworte am Westbahnhof verteilen, warnt Kurz vor Überforderung und pocht auf Kürzung von Sozialleistungen für Flüchtlinge. Das ist zu diesem Zeitpunkt durchaus ein Alleinstellungsmerkmal und lässt Kurz vom Level "weltbekannt in Österreich“ auf die Stufe "internationaler Medienstar“ aufrücken. Der begabte Rhetoriker gibt reihum Interviews, von "New York Times“ über "Spiegel“ bis "FAZ“, und redet in der Anne-Will-Talkshow deutsche Politikerkollegen an die Wand. Vor allem in deutschen Medien profiliert sich Kurz, der Meinungsführer eines restriktiven Kurses, zum Gegenspieler von Kanzlerin Angela Merkel und wird gar zum "jungen Metternich“ ("Frankfurter Allgemeine Zeitung“) geadelt. In der ÖVP wagt es ohnehin schon lange niemand mehr, ihm zu widersprechen.

Eigenständige Außenpolitik

Auch Kritiker, die Kurz’ Tonalität für riskantes Scharfmachen halten, müssen attestieren: Seit dem Antritt des immer noch jüngsten Außenministers der Welt verfolgt Österreich, zur Überraschung aller, eine eigenständige Außenpolitik. Lange galt die Devise, dass die Republik brav abnickt, was Deutschland vorgibt, und sonst bestenfalls in der Gastgeberrolle für internationale Konferenzen glänzt. Spätestens seit der Westbalkan-Konferenz vom Februar und dem Beschluss, dass nach Österreich alle Balkanstaaten in einer Kettenreaktion ihre Grenzen verengen, ist klar: Österreich ist von den Zuschauerrängen auf das Spielfeld der Außenpolitik zurückgekehrt.

Gerade in der Flüchtlingspolitik gibt es kaum klare Antworten: Hat Kurz mit seiner Politik der Abriegelung der Balkanroute Europa einen Gefallen erwiesen oder - Stichwort Flüchtlingsstau in Griechenland - ganz im Gegenteil? Beides kann richtig sein (siehe Seite 47), das macht das Thema so komplex und verwirrend. Kurz bietet einfache, klare Positionen. Auch das macht ihn zum Medienstar und Wortführer, der stets die Gangart erhöhen kann: Vergangene Woche verlangte er ein Verschleierungs-Verbot und verpflichtende Mini-Jobs für Flüchtlinge.

Kurz selbst gibt sich unbeirrt: "Europa ist von Anfang an falsch abgebogen in der Flüchtlingsfrage. Ich sage dasselbe wie im Sommer 2015. Damals galt ich als rechts, heute stehe ich irgendwo in der Mitte.“

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin