Die bessere Welt: Die Virenschleuderer

Die bessere Welt: Die Virenschleuderer

Es geht nicht immer nur ums Geld. Vielen Gründern ist es auch ein Anliegen, die Welt ein bisschen besser zu machen – ökologischer, sozialer, sicherer.

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Die Büros sind noch ziemlich spartanisch eingerichtet, das Labor nicht vollständig aufgebaut, dennoch herrscht bereits reger Betrieb. Alexander Belcredi (links) und Lorenzo Corsini sind mit ihrem Start-up Phagomed erst kürzlich zum Forschungszentrum Vienna Biocenter übersiedelt. Sie haben sich Großes vorgenommen: einen maßgeblichen Beitrag zur Bekämpfung der weltweiten Antibiotika-Krise zu leisten. Da bleibt wenig Zeit für Fragen des Interieurs.

Kampf gegen gefährliche Keime

Immer mehr Menschen sterben aufgrund von multiresistenten bakteriellen Infektionen, denn die wichtigste Waffe im Kampf gegen gefährliche Keime ist stumpf geworden. Die Vereinten Nationen sind alarmiert: Bis 2050 würden Antibiotikaresistenzen weltweit die Todesursache Nummer eins sein, heißt es.

Phagomed will Bakterien mit Viren bekämpfen. Genauer gesagt, mit sogenannten Bakteriophagen. Diese töten Bakterien mit absoluter Präzision, sind dabei aber sehr wählerisch. Jeder Phage peilt nur spezielle Gruppen von Bakterien an. Erkennen sie ein passendes Bakterium, injizieren sie ihre DNA in die Wirtszelle. Am Ende dieser feindlichen Übernahme zersetzen die Phagen die Zellwand des Bakteriums, und der Krankheitserreger ist zerstört.

Phagen statt Boston Consulting

Den Impuls für die Unternehmensgründung im Jahr 2017 gab Belcredis Schwiegervater: Der deutsche Orthopäde und Unfallchirurg Burkhard Wippermann behandelt bereits seit den 1990er-Jahren Patienten mit Phagen, wenn Antibiotika nicht mehr weiterhelfen. Doch jedes Mal muss er dabei einen bürokratischen und rechtlichen Spießrutenlauf absolvieren, weil es für die Therapie kein Zulassungsverfahren gibt. Dabei wurden Bakteriophagen bereits 1917 entdeckt und zur Bekämpfung von Keimen eingesetzt. In den Staaten des ehemaligen Ostblocks werden sie seit vielen Jahrzehnten verwendet. In der westlichen Welt gerieten sie indes mit der Einführung von Breitbandantibiotika in den 1940er-Jahren in Vergessenheit.

Nach vielen Gesprächen seien sie zu dem Schluss gekommen, dass ihre Zeit hier besser investiert sei, als in der Unternehmensberatung, erzählen Belcredi und Corsini, die beide zuvor für die Boston Consulting Group Pharmafirmen berieten. Mit ihrem elfköpfigen internationalen Forscherteam entwickeln sie nun verschiedene Virenkombinationen für unterschiedliche Keime. Dabei zielen sie vor allem auf Anwendungen gegen bakterielle Vagionose und Infektionen, die bei Patienten mit Herzschrittmacher oder künstlichen Hüft- und Kniegelenken auftreten. Auf der Oberfläche dieser Fremdkörper bilden resistente Keime häufig einen sogenannten Biofilm. Rund fünf Prozent aller Patienten mit solchen Prothesen ziehen sich innerhalb von zehn Jahren schwere Infektionen zu, die medikamentös nicht zu behandeln sind. In den USA und Europa betrifft das etwa 100.000 Menschen pro Jahr.

Weltweit nur zehn Unternehmen

Weltweit gibt es nur etwa zehn Unternehmen, die sich mit Phagentherapien für jeweils unterschiedliche Anwendungen – etwa bei Blutvergiftungen oder für Wundauflagen für Bettlägrige – beschäftigen. „Unser größtes Risiko ist, dass irgendwann die Investoren fehlen, die das finanzieren“, meint Corsini. Bis dato hat das Unternehmen 5,5 Millionen Euro für Forschung und Entwicklung von privaten Geldgebern und Förderinstitutionen lukrieren können. Was noch fehlt, um aus den Viren ein Arzneimittel zu machen, sind klinische Studien, die mit jeweils zehn bis 15 Millionen Euro zu Buche schlagen. Bis 2025 will Phagomed ein Produkt am Markt haben. „Das wäre extrem schnell, aber wir sind optimistisch“, sagt Belcredi.