Frans de Waal

"Menschen wähnen sich zwischen Engeln und Tieren“

Der Biologe Frans de Waal über exklusive Talente des Menschen, überschätzte Haustiere und unseren kurzen evolutionären Erfolg.

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profil: Sie haben bei Tieren viele einstige Alleinstellungsmerkmale von Menschen gefunden, etwa Werkzeuggebrauch, Empathie und ein Ich-Verständnis. Ist noch etwas besonders am Menschen? Frans de Waal: Ich glaube schon, dass wir spezielle Kompetenzen wie abstraktes Denken und Sprache haben. Was so besonders an uns sein soll, interessiert mich aber weniger, als welche Art von Erkenntnisvermögen Menschen und Tiere haben und wie dies an unterschiedliche Lebensweisen angepasst ist.

profil: Haben sich die Forscher bisher zu stark auf Unterschiede zwischen Menschen und anderen Tieren konzentriert? de Waal: Ja. Über 100 Jahre lang, und das war nicht hilfreich. In der westlichen Tradition sind Menschen ja irgendwo zwischen Engeln und Tieren angesiedelt. Der ganze Aufwand, die Menschen vom Tierreich fernzuhalten, ist meiner Meinung nach zum Scheitern verurteilt.

profil: Wenn Tiere auch solche Fähigkeiten beherrschen, entstanden sie wohl nicht erst in der "Menschwerdung“, oder? de Waal: Praktisch alles, was wir davon bei Tieren finden, ist älter als bisher angenommen. Die einstigen Alleinstellungsmerkmale von Menschen haben sich nicht gehalten, etwa, dass sie als einzige Kultur haben und in die Zukunft planen. Wir haben herausgefunden, dass Menschenaffen das auch können. Wenig später entdeckte man diese Talente bei anderen Affen, Delphinen, Krähen, Hunden und Ratten. Für viele dieser Dinge braucht man kein großes Hirn, weil sie auf einfachen Komponenten beruhen.

profil: Sind solche Merkmale genetisch festgelegt? de Waal: Es ist nicht notwendigerweise biologisch bestimmt, was Tiere tun, und erworben, was Menschen können. Schimpansen werden mit 16 Jahren erwachsen, Elefanten mit 20. Sie haben viel Zeit, zu lernen.

Die Wissenschafter sind viel zu vorsichtig und die Tierbesitzer zu enthusiastisch. Die Wahrheit liegt in der Mitte.

profil: Schätzen Laien, vor allem Hunde- und Katzenbesitzer, Tiere oft als sehr klug ein, während es sich bei Wissenschaftern umgekehrt verhält? de Waal: Es gibt sogar eine Studie, dass ein Viertel der Hundebesitzer ihre Tiere für klüger hält als durchschnittliche Menschen. Sie überschätzen ihre Lieblinge oft, sowohl ihre Intelligenz als auch Emotionen. Die Menschen projizieren viele eigene Gefühle auf die Tiere. Aber die Tierbesitzer haben recht, dass Tiere Emotionen haben, was die Wissenschaft lange bestritten hat. Die Wissenschafter sind viel zu vorsichtig und die Tierbesitzer zu enthusiastisch. Die Wahrheit liegt in der Mitte.

profil: Anthropomorphismus, also Tiere zu vermenschlichen, gilt ja als Tabu. de Waal: Ich halte das bei Tieren für legitim, die nahe mit uns verwandt sind. Wenn Affen ähnliche Dinge tun wie wir, warum sollten die dahintersteckenden psychologischen Prozesse nicht ähnlich sein? Wenn sie sich nach einem Streit umarmen, nenne ich das Versöhnung. Man hat sich aufgeregt, ich soll "auf den Streit folgender körperlicher Kontakt“ dazu sagen. Aber solange nicht bewiesen ist, dass bei Affen hinter solchen Gesten anderes steckt als bei Menschen, sollte man dieselben Wörter verwenden.

profil: Sie haben kürzlich bei einem Vortrag in Wien erzählt, dass Menschen nicht viel schlauer als Tiere sind. Sie können zwar nicht lesen und schreiben, übertreffen uns aber in anderen Bereichen. Warum sind die Menschen auf diesem Planeten so erfolgreich? de Waal: Wir sind zweifellos erfolgreich, aber das birgt auch Gefahren. Manche fürchten, dass es in 200 Jahren keine Menschen mehr auf der Erde gibt, weil wir alles zerstört haben. Der Erfolg ist auch nur kurzfristig. Vor 20.000 Jahren gab es recht wenige Menschen. Weil wir durch die Sprache unser Wissen effektiv weitergeben können, wurde unsere Kultur aber kumulativ, und eine Generation kann auf das Wissen und Können aller vorhergehenden aufbauen. Das hat uns in jüngster Zeit zu einer sehr erfolgreichen Spezies gemacht.

Zur Person

Der niederländische Biologe Frans de Waal erforscht an der amerikanischen Emory University in Atlanta und der Universität Utrecht das Verhalten von Schimpansen, Bonobos, Kapuzineräffchen, Elefanten und Buntbarschen. Er beschäftigt sich vor allem mit der Entwicklung von Kultur, Moral, Empathie und Altruismus als Grundlagen der Sozialisation innerhalb von Gruppen.