„Ich wurde hier, äh, eingeladen“

Frank Stronach: „Ich wurde hier, äh, eingeladen“

Frank Stronach. Rosemarie Schwaiger über einen skurrilen Parteigründer

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Jessi Lintl macht jetzt doch noch Karriere. Ist auch höchste Zeit. Jeder kann verstehen, dass sie nicht ewig die Nummer zwei bleiben will. „Die erfahrene Politikerin wird die Landesgruppe Wien aufbauen und damit eine gewichtige Rolle in der Partei spielen“, steht in einer Aussendung, die Jessi Lintl allem Anschein nach selbst fabriziert hat. Man kann sich vorstellen, mit welch verdienter Genugtuung die 56-Jährige diesen Text in die Tastatur hämmerte. Erfahrene Politikerin. Gewichtige Rolle in der Partei. Ha!
Bis jetzt hat Frau Lintl möglicherweise auch schon großartige Arbeit geleistet. Es bemerkte nur niemand. Als stellvertretende Bezirksobfrau des ersten Wiener Gemeindebezirks konnte sie stets nur danebensitzen oder -stehen und nicken, wenn Bezirkschefin Ursula Stenzel irgendeine Maßnahme verkündete. Für mehr als eine sehr bescheidene Form von Bekanntheit reichte das nicht. Es soll Wiener geben, vielleicht sogar viele, die von der ÖVP-Mandatarin Lintl noch nie gehört haben.

Asyl bei Stronach
Aber jetzt wird alles anders. Ende November gab Jessi Lintl bekannt, dass sie ab sofort für Frank Stronach arbeiten wird – zwar fürs Erste weiterhin als Bezirksobfrau-Stellvertreterin, aber hauptsächlich als Chefin von Stronachs neu zu gründender Wiener Landespartei. „Die Menschen haben das verkrustete Parteiensystem satt“, meint Lintl.
Ähnliches konstatierten vor ihr schon Gewährsleute wie Robert Lugar, Christoph Hagen und Erich Tadler. Auch sie hatten Politik zuvor weitgehend inkognito betrieben und dürften mitunter vom Verdacht beschlichen worden sein, dem falschen Beruf nachzugehen. Frank Stronach bot ihnen Asyl. Das ist nett von ihm – eine lobenswerte Initiative auf dem angespannten Arbeitsmarkt für frustrierte Berufspolitiker. Sonderlich glamourös ist Stronachs Sammlung aber leider nicht. Mit dieser Truppe wird sich das Land wohl kaum letztgültig retten lassen.

Am 27. September hatte Frank Stronach, 80 Jahre alt, Milliardär und Ex-Konzernchef, die Gründung einer neuen Partei bekannt gegeben. Seither liegt das Team Stronach in Umfragen relativ konstant bei zehn Prozent. Bei der Landtagswahl in Kärnten könnten es, behaupten Meinungsforscher, sogar noch mehr werden. Stronach selbst wäre mit einem niedrigen zweistelligen Ergebnis zwar überhaupt nicht zufrieden: Er möchte gleich Erster werden. Doch für eine so junge Partei sind die Werte bemerkenswert. Das Team Stronach ist, zumindest gemessen an den Umfrageergebnissen, die politische Sensation des Jahres. An der Besetzung der hinteren Reihen kann das nicht liegen. Aber woran dann? Ausschließlich am Chef und dessen Charisma? Oder vielleicht auch an einem politischen System, das es irrlichternden älteren Herren besonders leicht macht, Eindruck zu schinden?

Stronachs gute Geschichte
Frank Stronach hat zweifellos eine gute Geschichte zu erzählen, eine wirklich gute. Wie er einst als armer steirischer Werkzeugmacher auszog, um in Kanada sein Glück zu suchen, dort fast scheiterte und am Ende doch unglaublich erfolgreich wurde – das wäre Stoff für einen Spielfilm. Das Publikum ist verlässlich gerührt und schwer beeindruckt, ganz egal, wie oft es die Story schon gehört hat. Endlich mal wieder ein Politiker mit einer spannenden Biografie! Endlich einer, der ein richtiges Leben vorzuweisen hat und nicht bloß eine Lebensplanung! Werner Faymanns Abenteuer bei der Mietervereinigung und Heinz-Christian Straches frohes Schaffen in der Zahntechnikerwerkstatt können da nicht ganz mithalten.
Trotzdem ist beileibe nicht ausgemacht, dass Frank Stronach und Kollegen wirklich in den Nationalrat gewählt werden. Umfragen fast ein Jahr vor dem offiziellen Wahltermin geben nur Stimmungen wieder, nicht das voraussichtliche Stimmverhalten. Außerdem kann bis dahin noch viel passieren: Stronach ist launisch, er verliert vielleicht die Lust an seinem Projekt. Oder er stolpert über ein paar unsaubere Aktivitäten in seiner Vergangenheit als Magna-Boss. Oder er läuft sich als Attraktion einfach tot – das ist die wahrscheinlichste Variante. Seine bizarren öffentlichen Darbietungen könnten auf die Dauer womöglich sogar den größten Adoranten Angst einjagen. „Ich wurde hier ausgeladen … äh … eingeladen. Und mir wurde versprochen, dass ich fünf Minuten ohne Beschneidung … dass ich aussagen kann“, stammelte Stronach, mit Papieren fuchtelnd und sichtlich erzürnt, bei einem „ZiB 2“-Auftritt vor ein paar Wochen. Armin Wolfs berechtigten Einwand, dass ein Interview nicht funktioniert, wenn nur einer redet, konterte der Gast mit einer Attacke: „Von der Wirtschaft verstehst du nichts. Du musst wirtschaftlich gesunde Fragen stellen.“
Diese „ZiB 2“ am 29. November war einer jener Fernsehmomente, die man als Österreicher gesehen haben sollte – genauso wie zum Beispiel die Silvesterfolge mit „Mundl“ Sackbauer. Das Magazin „News“ fühlte sich anschließend veranlasst, prominente Nervenärzte zu konsultieren und um ihre Diagnosen zu bitten. Stronachs Persönlichkeit sei unflexibel, meint etwa der Vorarlberger Psychiater Reinhard Haller. „Aber senil ist er nicht.“ Na dann.

Stronach kann als Politiker ganz schnell wieder Geschichte sein. Völlig unnütz für das politische Gefüge im Land wird er trotzdem nicht gewesen sein. Denn seine schiere Präsenz auf der öffentlichen Bühne legt ein paar Schwachstellen des heimischen Demokratiebetriebs offen, die zwar bekannt, aber nur selten so komprimiert zu besichtigen waren. Dass der rüstige Magna-Gründer überhaupt zu einem ernst zu nehmenden Faktor der heimischen Innenpolitik werden konnte, ist ein Warnsignal. Manches aus dem Repertoire des Heimkehrers sollte in einem normalen, funktionierenden Land einfach nicht durchgehen.

Stronach-Fans finden es zum Beispiel kein bisschen anrüchig, dass ihr Idol hauptsächlich mit seiner dicken Brieftasche arbeitet. Den Klubstatus im Parlament hat er im buchstäblichen Sinn erworben – indem er einfach ein paar Abgeordnete anderer Parteien anheuerte. Ob die Herrschaften für ihren Wechsel noch ein zusätzliches Taschengeld bekommen, ist nicht ganz klar. Das BZÖ spricht von einschlägigen Angeboten, Stronach dementiert. Beide Seiten zogen vor Gericht. Unstrittig ist, dass Stronach bereits zwei Millionen Euro in sein Polit-Projekt gesteckt hat, einige mehr liegen griffbereit.

Gekaufte Medien
In einer Demokratie dürfte Geld eigentlich nicht den Ausschlag geben. Aber die Bürger sind da nachsichtig, sie kennen es nicht anders. Erst vor ein paar Monaten beschloss der Nationalrat ein Transparenzgesetz, das die Regeln der Parteienfinanzierung auf ein für Mitteleuropa akzeptables Niveau hob. Bis dahin war praktisch alles erlaubt, solange man sich nicht allzu blöd dabei anstellte.
Auch Stronachs Umgang mit Medien wäre diskussionswürdig. Seit Wochen freut sich der Zeitungsboulevard über tägliche Inserate des engagierten Nachwuchspolitikers. „Kronen Zeitung“, „Österreich“ und „Heute“ revanchieren sich für den Dauerauftrag mit freundlicher Berichterstattung und ausgewählten Leserbriefen, in denen Stronach als aufrechter Kämpfer gegen eine verrottete Machtelite dargestellt wird. „Ich muss mir die Medien kaufen, damit ich zur Bevölkerung komme“, erklärte Stronach jüngst im italienischen Fernsehen.

Ein Skandal, genau genommen. Doch die gerechte Empörung will sich trotzdem nicht flächendeckend einstellen. Schließlich arbeitet Werner Faymann auch schon die längste Zeit famos mit den Kleinformaten der Republik zusammen. Welche Grenzen er dabei überschritt, konnte bekanntlich nicht geklärt werden, weil Rot und Schwarz eine Ladung des Kanzlers vor den Untersuchungsausschuss boykottierten.
Es macht sich für einen angehenden Mandatar auch nicht gut, wenn er große Teile seines Vermögens steuerschonend in der Schweiz geparkt hat. Das Wirtschaftsmagazin „Bilanz“ schätzt Stronachs dort deponierten Notgroschen auf 1,5 bis zwei Milliarden Franken. Der Magna-Gründer dementiert das, kann aber nicht recht erklären, warum er im Millionärsghetto Zug einen Wohnsitz angemeldet hat. Die potenziellen Wähler würden dar­über vielleicht ins Grübeln geraten, wären sie nicht Schlimmeres gewohnt: Ex-Finanzminister Karl-Heinz Grasser, einst Liebling der Massen, verfügt ebenfalls über Konten und Stiftungen im kapitalistenfreundlichen Ausland und steht außerdem als Beschuldigter im Zentrum diverser Wirtschaftsstrafverfahren. Frank Stronach wird sich sehr anstrengen müssen, da mitzuhalten.

Die ÖVP versucht währenddessen, Magna als großen Profiteur des Eurofighter-Deals und den Magna-Gründer als Lügner hinzustellen. Tatsächlich dürfte Stronachs Gewissen nicht ganz so sauber sein, wie er behauptet. Es trifft sich jedoch ungünstig, dass gerade ein ehemaliger Innenminister der ÖVP wegen Bestechlichkeit vor Gericht steht und die Korruptionsstaatsanwaltschaft gegen die halbe Kärntner Landesregierung ermittelt. Sind halt alle verludert, denkt sich das Volk. Einer mehr ist auch schon egal.
Mitunter treibt Frank Stronach einfach nur herrschende Unsitten auf die Spitze. Lange bevor er beschloss, in der österreichischen Politik nach dem Rechten zu sehen, hatte sich in der Branche bereits die Überzeugung durchgesetzt, dass man ärgerliche Fragen von Journalisten nicht unbedingt beantworten muss, schon gar nicht live. Reihenweise sitzen die Spitzen des Staats vor TV-Kameras und reproduzieren die Sprechblasen aus der jeweiligen Kommunikationsabteilung. Es war eine Frage der Zeit, bis irgendwer dieses Rezept durch besonders konsequente Anwendung ad absurdum führen würde. Stronach will nicht einmal mehr die Fragen hören. Wozu auch, wenn er vorher schon weiß, was er sagen will?
Das Team Stronach ist in erster Linie ein Angebot für die Protestwähler – also für jenen Teil der Bevölkerung, der an den Wahlurnen nicht mitbestimmen, sondern Rache üben will. Auch in diesem Segment liegen die österreichischen Standards für den Newcomer erfreulich tief. Jörg Haider, früher Hauptprofiteur des Volkszorns, kam mit „Bin schon weg, bin wieder da“-Kapriolen ebenso durch wie mit antisemitischen Bemerkungen und Besuchen bei einem international geächteten Diktator. Schlimmer konnte es kaum werden. Ein origineller weißhaariger Herr, der Pferde mag, mit der englischen Queen auf einem Foto posierte und für das Volk öfter mal Partys im Magna Racino schmeißt, ist da durchaus als Fortschritt zu werten.

Stronach hat wirklich Glück mit seiner alten Heimat. Woanders würde er unangenehmer auffallen.

Rosemarie Schwaiger