Altenrepublik

Ältere Bevölkerung: Wie sie die Politik bestimmt

Demografie. Wie die wachsende Gruppe der Älteren die Politik bestimmt

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Die Börsen begannen sich langsam zu erholen, die Wirtschaft aber nicht. Die Finanzkrise hatte tiefe Spuren hinterlassen, enorme Staatsschulden und hohe Arbeitslosigkeit, an denen Politiker quer über den Globus herumdokterten. US-Präsident Franklin D. Roosevelt versuchte es mit einem Programm, das später als New Deal in die Geschichte eingehen sollte: ein Mix aus Bankenregulierung, Steuererhöhungen, Arbeitslosenhilfen und einer Bauoffensive. Mehr als eine Million Kilometer Autobahnen, 125.000 Amtsgebäude, 77.000 Brücken, Stadtparks, Bewässerungssysteme und Schwimmbäder wurden damals aus dem Boden gestampft.

Nur auf eine Bevölkerungsgruppe wurde vergessen – fand zumindest der Arzt Francis Townsend, der im September 1933 seine „Fünf-Prozent-Kampagne“ startete. Gemeint waren die Älteren: Lediglich fünf Prozent der Menschen in den USA hatten damals ihren 65. Geburtstag bereits hinter sich. „Was ist mit uns?“, trommelte Townsend und ertrotzte die Einführung eines Pensionssystems.

Acht Jahrzehnte und etliche Finanzkrisen später haben sich die demografischen Machtverhältnisse umgedreht, zumindest in Old Europe: Erstmals in der Geschichte ist die Mehrheit der Bevölkerung älter als 40 Jahre. In Österreich zeigen sich die Folgen dieser Überalterung besonders deutlich. Bereits 2020 werden um 40 Prozent mehr Österreicher in Pension gehen als zu arbeiten beginnen. Schon jetzt haben die Senioren die Mehrheit, die unter 30-Jährigen machen nur noch 20 Prozent der Gesamtwählerschaft aus, die Generation 65 plus bereits 23 Prozent. Tendenz: stark steigend. Für diese wachsende Gruppe wird Politik gemacht: Erkleckliche 38 Prozent des Staatshaushalts sind für Pensionen und Zinszahlungen für die Schulden reserviert, vergleichsweise kümmerliche 25 Prozent für Zukunftsbereiche wie Bildung, Forschung und Infrastruktur. Und diese wachsende Gruppe macht Politik: Das Durchschnittsalter im Nationalrat beträgt 52 Jahre. Der Jungpolitiker, der das System am aufmüpfigsten in Frage stellt, wird bald zarte 81 Jahre alt – Frank Stronach. Österreich ist auf dem besten Weg zur Gerontokratie.

Politik erfüllt in erster Linie die Interessen der Alten
Das wäre an sich kein Problem, werden doch Ältere immer fitter. Nicht umsonst gilt 40 als das neue 30 oder 50 als das neue 40. Die politische Crux an der Überalterung der Gesellschaft formuliert Jugendforscher Bernhard Heinzlmaier so: „Wir sind ein altes Land. Politik erfüllt in erster Linie die Interessen der Alten, weil diese Gruppe die Wahlen entscheidet.“
Dieser polemische Befund lässt sich wissenschaftlich untermauern. Die Bertelsmann-Stiftung untersuchte heuer in 29 OECD-Staaten, wie es um die Gerechtigkeit zwischen den Generationen bestellt ist. Österreich landete auf Platz 20 und ließ lediglich Krisenstaaten mit extremer Verschuldung wie Griechenland, Italien oder Japan hinter sich. Ein Indikator für die schlechte Bewertung: Hierzulande wird für Menschen über 65 fast sechs Mal so viel ausgegeben wie für die Gruppe der unter 15-Jährigen – wohlgemerkt noch ohne Gesundheitskosten, die wurden in der Studie gar nicht einkalkuliert.
Allein der Vergleich zwischen dem Budget für Pensionen und Bildung macht sicher: Derzeit gibt Österreich für die soziale Absicherung im Alter 14,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) aus, laut Rechnungshof wird in Kürze jeder vierte Steuer-Euro ins Pensionssystem fließen, bis 2035 werden die Kosten für das Pensionssystem pro Jahr um acht Milliarden Euro höher sein. Auf der anderen Seite der Altersskala leidet das Bildungssystem unter chronischer Geldnot: 5,7 Prozent des BIP werden für Bildung ausgegeben, 1,4 für die Universitäten. Kein Wunder, dass die heimischen Hochschulen in internationalen Rankings ständig zurückfallen, statten doch Staaten wie die Niederlande oder Finnland ihre Unis mit mehr als zwei Prozent des BIP aus. Auch bei der (Vor-)Schulbildung liegt Österreich unter dem Schnitt anderer Erste-Welt-Staaten. Das Resultat fasst der Verhaltensforscher Kurt Kotrschal so zusammen: „Bildungsreformen werden über Jahrzehnte verschleppt, unsere Grundschulen entlassen 20 Prozent Analphabeten. Das ist ungesund für eine Gesellschaft.“

Ob OECD oder Wirtschaftsforschungsinstitut: Alle kritisieren mit schöner Regelmäßigkeit diese Schieflage. Zuletzt rügte die EU-Kommission Ende Mai die ­Regierung und empfahl in ihrem Länderbericht dringend, ins Bildungswesen zu investieren und das reale Pensionsantrittsalter rasch anzuheben. Wieder einmal. Die Reaktion der Regierung, wieder einmal: Gemach, gemach. Ein Kantersieg der Generation Frühpension über die Generation Praktikum. Dabei ist x-mal berechnet, dass jedes Jahr, um das die Arbeitnehmer später in Pension gehen, das Budget um eine Milliarde Euro entlastet.

„Die jüngere Generation ist sehr stark belastet"
Das Unbehagen darüber steigt. „Die jüngere Generation ist sehr stark belastet. Die Politik schaut mehr auf Ältere“, kritisiert Therese Niss. Sie ist Vorsitzende der Jungen Industrie und mahnt immer wieder mehr Fokus auf Jüngere ein. Vergeblich, wie sie seufzt: „Die Älteren haben eine starke Lobby.“

Es ist in einer Demokratie immer heikel, wenn eine Mehrheit über die Wünsche einer Minderheit abstimmt. Das zeigt sich im Kleinen, etwa im Konflikt zwischen dem Ruhebedürfnis Älterer und dem Spielwunsch Jugendlicher in Wiener Gemeindebauten. Das Ergebnis sind oft „Spielen Verboten“-Schilder. Das zeigt sich auch im Großen, zuletzt bei der Volksabstimmung über die Wehrpflicht: Über 70 Prozent der über 60-Jährigen votierten im Jänner gegen das Berufsheer, auch animiert von der „Sie verlieren sonst Ihren Zivildiener“-Kampagne – und lösten eine hitzige Debatte über das „Methusalem-Komplott“ aus. Andreas Khol, der streitbare Obmann des Seniorenbundes, argumentierte damals, dass jede Stimme gleich viel wert sein muss. Zu Recht.

Bloß: Jeder Ausbau der direkten Demokratie wird das Stimmengefälle deutlich machen. Dabei gehört es zu den Aufgaben von Politik, die Interessen von Minderheiten zu schützen.

ÖVP-Obmann Michael Spindelegger versuchte das in der Vorwoche besonders platt, in dem er höhnisch das Alter des Autors des ÖVP-Zukunftsprogramms, Sebastian Kurz (26 Jahre), mit jenem des SPÖ-Programmbeauftragten Karl Blecha (80 Jahre) verglich. Dabei sagt das biologische Alter wenig über die geistige Frische aus – und ein Kurz kann die Dominanz von reformresistenten Blockade-Eliten in der ÖVP nicht kaschieren.

Dennoch ist das Übergewicht Älterer in politischen Entscheidungsfunktionen augenfällig. Jeder Parteichef greift gerne auf ältere Semester zurück: weil sie Erfahrung mitbringen – und den Zusatzvorteil, sich selten als Nachwuchshoffnung profilieren und damit dem Parteichef Konkurrenz machen zu können.

„Jüngere sind im gesamten Politiksystem unglaublich unterrepräsentiert“, klagt Wolfgang Moitzi, 28, Obmann der Sozialistischen Jugend. Das durchschnittliche Alter der Nationalratsabgeordneten liegt, wie erwähnt, bei 52 Jahren. Zwei Abgeordnete sind jünger als 30 Jahre alt – hingegen haben 32 ihren 60. Geburtstag bereits hinter sich. Keine Frage: Jung sein allein, ist kein Programm. Man muss auch kein Künstler sein, um kluge Kulturpolitik machen zu können, man muss kein Unternehmen geführt haben, um ein fundierter Wirtschaftssprecher zu sein. Aber es ist bisweilen durchaus hilfreich, die Lebensrealitäten des Bereichs zu kennen, den man politisch beackert. Die Jugendsprecherin der SPÖ ist derzeit 47 Jahre alt.
Als zusätzliche Hürde kommt das organisierte Mitspracherecht dazu. Die Senioren haben mit Blecha und Khol eine institutionalisierte laute Stimme. „Die Bundesjugendvertretung ist hingegen kaum eingebunden“, seufzt Jungpolitiker Moitzi. Und fügt selbstkritisch hinzu: „Wir müssten uns auch besser organisieren.“

Auf jeden Fall sind ältere Semester die treueste Wählerklientel von SPÖ und ÖVP. Im Schnitt liegen die Wahlergebnisse zwischen Jüngeren und Älteren um zehn Prozentpunkte auseinander. Besonders deutlich zeigte sich der Generation-Gap jüngst bei der Landtagswahl in Tirol: 53 Prozent der Wähler über 60 wählten ÖVP – und 26 Prozent der Wähler unter 30. Spiegelverkehrt das Ergebnis der Grünen: Sie kamen in der Generation 60 plus auf sechs – und bei den unter 30-Jährigen auf 20 Prozent. Auch diese Unterschiede sind kein Drama und bei Weitem nicht die einzigen: Städter wählen anders als die Landbevölkerung, Frauen anders als Männer. Die Differenz zwischen dem Wahlverhalten Älterer und Jüngerer wird dadurch verstärkt, dass die Wahlbeteiligung bei reiferen Semestern deutlich höher liegt.

Im Zweifelsfall werden sich SPÖ und ÖVP aber immer hüten, ihre sichersten Wählerbastionen zu vergrätzen. Besonders in einem Wahljahr. Und irgendwo in Österreich ist immer Wahljahr.

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin