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Neue Stromzähler: Wie sich die Politik der Industrie beugt

Energie. Neue Stromzähler: Wieder einmal hat sich die Politik der Industrie gebeugt

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Täglich um sechs Uhr morgens beginnt Familie K. in einer nordrhein-westfälischen Kleinstadt ihren Tag. Die Kaffeemaschine gurgelt und der Wasserkocher pfeift. Im Badezimmer herrscht Hochbetrieb, vier Personen benutzen nacheinander die Dusche. Kurz vor acht wird es dann ruhiger, alle Bewohner haben das Haus verlassen. Erst abends kehrt wieder Leben ein. Üblicherweise isst Familie K. gegen 19 Uhr zu Abend. Die Eltern legen Wert auf gesunde Ernährung - täglich wird frisch gekocht. Mikrowelle kommt den K.s keine ins Haus. Um 20.15 Uhr versammelt sich die Familie vor dem Fernseher - die K.s schauen gerne Castingshows. Um spätestens 22 Uhr müssen die beiden Kinder ins Bett. Die Eltern löschen für gewöhnlich kurz nach Mitternacht das Licht.

In Familie K.s Haus ist keine Überwachungskamera installiert. Lediglich ein so genannter Smart Meter, ein intelligenter digitaler Stromzähler.

Ulrich Greveler und seine Kollegen von der Fachhochschule Uni Münster und der Uni Rhein-Waal waren überrascht. Sie hatten vom deutschen Forschungsministerium den Auftrag erhalten, herauszufinden, was Smart Meter über Hausbewohner verraten. Diese Geräte können im Abstand von Stunden, Minuten oder Sekunden den Stromverbrauch erfassen und schicken ihn an das Rechenzentrum des Energieversorgers. Auf dem Weg dorthin griffen die Forscher auf die Daten zu. Aus den Stromverbrauchsdaten lassen sich je nach Messintervall Rückschlüsse auf Verhaltensweisen der im Haushalt lebenden Personen ziehen und so tiefe Einblicke in deren Privatleben gewinnen. Das Team konnte exakt feststellen, wann welche Haushaltsgeräte benutzt wurden, und sogar welchen TV-Sender die Familie wählte. Das ist möglich, weil der Wechsel zwischen dunklen und hellen Szenen zu einem unterschiedlichen Stromverbrauch führt. Anhand dieses Profils kann das gewählte Programm identifiziert werden.

Wer solche Details aus seinem Leben nicht preisgeben will, hat Pech gehabt. In Europa zwingt eine EU-Richtlinie zur Einführung der Geräte. Bis 2020 sollen in der Europäischen Union 80 Prozent aller Haushalte mit den intelligenten Stromzählern ausgestattet sein. Österreich tut sich - ohne Not - als EU-Musterknabe hervor: Die von Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner erlassene Verordnung sieht einen Zwangsumtausch von sogar 95 Prozent aller Stromzähler vor - bis Ende 2019. Obwohl viele Fragen noch ungeklärt sind, und der Nutzen für die Konsumenten mehr als zweifelhaft ist. Und die Zwangsbeglückten wissen oft noch gar nichts von den Plänen des Ministers und der Regulierungsbehörde E-Control: In einer kürzlich durchgeführten Umfrage gaben 94 Prozent der Österreicher an, "keine Vorstellung über den Smart Meter“ zu besitzen. Und jene, die bereits von dem Mammutprojekt gehört haben, stehen ihm mehr als skeptisch gegenüber. Datenschützer sind auf den Barrikaden. Arbeiterkammer, Mietervereinigung und Ärztekammer kritisieren die überstürzte Einführung.

Ein PR-technischer Super-GAU. Wieder einmal. Erinnerungen an das Aus für die Glühbirne und die Zwangsbeglückung mit der ungeliebten Energiesparlampe werden wach. Wie die Glühbirne wird bald auch der so genannte Ferraris-Zähler - jener mechanische Drehscheibenzähler, von dem bislang einmal pro Jahr der Stromverbrauch abgelesen wurde - ein Fall fürs Museum.

Die Parallelen sind deutlich: Hier wie dort wurde und wird die Einführung der neuen Technologie mit enormen Vorteilen für die Konsumenten propagiert. Mit dem Smart Meter lasse sich Strom sparen und dadurch natürlich auch eine Menge Geld. Mit diesem Argument hat die Politik den Bürgerinnen und Bürgern auch die Energiesparlampe einzureden versucht. Wider besseres Wissen. Denn größter Profiteur ist die Industrie.

Und deren Lobby hat auch hier ganze Arbeit geleistet. Die European Smart Metering Industrie Group (ESMIG) vertritt nach eigener Darstellung die Interessen der führenden Unternehmen am europäischen Smart-Meter-Markt. Erklärtes Ziel laut ESMIG-Geschäftsführer Willem Strabbing: "Eine europaweite Einführung von Smart Meter.“ Die Lobbyorganisation war und ist höchst aktiv und in sämtlichen Konferenzen, Ausschüssen und Workshops zum Thema vertreten. ESMIG-Mitglieder sind Zählerhersteller, IT-Unternehmen und Systemintegratoren wie Siemens, Landis + Gyr oder IBM, die quer durch Europa Zigtausende Mitarbeiter beschäftigen und dadurch einen sehr direkten Zugang zu den EU-Institutionen und zu den Regierungssitzen der Mitgliedstaaten haben. Das hilft bei der Verwirklichung der selbstgesteckten Ziele ganz entscheidend.

Auch in Österreich war die Industrie von Beginn an eng in die Verhandlungsprozesse rund um die Ausarbeitung der drei für die Smart-Meter-Einführung notwendigen Verordnungen eingebunden. Bei den Verhandlungsrunden im Wirtschaftsministerium sollen die Abgesandten der Herstellerfirmen ordentlich Druck gemacht und ihren Wünschen durchaus vehement Ausdruck verliehen haben. Kein Wunder, schließlich wartet ein Milliardengeschäft. "Die Anforderungen an intelligente Messgeräte, wie sie nun in der Verordnung stehen, haben Siemens und Kapsch hineinlobbyiert“, erzählt ein Verhandlungsteilnehmer. Christian Schober, Geschäftsführer von Kapsch Smart Energy entgegnet: "Natürlich legen in solchen Runden auch die Anbieter ihre Sicht dar. Wir haben der Politik nur Hilfestellung geleistet. Das ist völlig harmlos.“ Mit dem Ergebnis: Kapsch kann nun einen Zähler anbieten, der den vom Gesetzgeber geforderten technischen Anforderungen entspricht. Zahlreiche Mitbewerber können das nicht.

Über 5,5 Millionen Zähler gibt es in Österreich. Bis zu 5,2 Millionen Stück müssen in den nächsten Jahren ausgetauscht werden. "Je nach Zählerpreis ergibt das einen Markt von 500 Millionen bis über eine Milliarde Euro“, sagt Siemens-Sprecher Christian Lettner. Für Komplettanbieter wie Siemens - wo Gerät, Datenübertragung und -verarbeitung aus einer Hand kommen - ist aber noch deutlich mehr drin. Schließlich müssen solche Systeme in regelmäßigen Abständen gewartet werden. Und im Gegensatz zum Ferraris-Zähler, der 60 Jahre oder mehr auf dem Buckel haben kann und immer noch wie ein Duracell-Häschen läuft, ist die Lebensdauer der modernen Smart Meter begrenzt. Mehr als zehn Jahre gesteht ihnen kaum ein Hersteller zu. Eine stetig fließende Einnahmequelle also.

Der Benefit für den Konsumenten ist da deutlich geringer: Zwischen 30 und 50 Euro pro Haushalt und Jahr beziffert E-Control-Vorstand Martin Graf das Einsparpotenzial. Das sind etwa vier Prozent der Stromkosten. Ein bescheidenes Ergebnis in Relation zu Aufwand und Kosten, welche der flächendeckende Roll-out verursacht.

Und die bloße Installation eines Smart Meters - wiewohl anders suggeriert - spart mitnichten Energie. Fernseher, Kühlschrank und Elektroherd verbrauchen genauso viel Strom wie zuvor. Die Idee: Wenn die Konsumenten sehen, wann sie wie viel Strom konsumieren, sind sie in der Lage, große Stromfresser zu entlarven und ihr Konsumverhalten zu ändern. Etwa, dass man Geräte dann laufen lässt, wenn der Strom billiger ist. Was in der Praxis nur eingeschränkt möglich ist: Wer in einem Mehrparteienhaus nächtens die Waschmaschine schleudern lässt, wird schnell die Nachbarn gegen sich aufbringen. "Um die Leute zum Stromsparen anzuhalten, benötigt man keine Smart Meter. Das kann man mit einer entsprechenden Kampagne auch erreichen“, meint Hubert Fechner, Leiter des Instituts für erneuerbare Energiesysteme an der FH Technikum Wien.

Und was gerne unter den Tisch gekehrt wird: "Die intelligenten Stromzähler verbrauchen viel mehr Energie als die alten Ferraris-Zähler“, erklärt Franz Lehner, Experte für den Schutz von Industrie- und Infrastruktursystemen bei Ikarus Security. In Österreich zugelassene Smart Meter würden etwa drei Prozent des jährlichen Haushaltsstromverbrauchs benötigen. Da ist das Einsparungspotenzial schnell zunichte.

Dafür profitiert die E-Wirtschaft. Die Netzbetreiber können mithilfe der verbesserten Datengrundlage die Effizienz im Verteilernetzbetrieb steigern, aufwändige Ablese- und Abrechnungsprozesse fallen weg oder werden zumindest stark vereinfacht. Stromlieferanten können neue Preismodelle entwickeln. Tarife wie Billig-Stromzeiten oder extrem hochpreisige Spitzenzeiten sind dann einfach umsetzbar und bringen den Energieunternehmen Bares.

Doch selbst die Energieversorger, wiewohl Nutznießer der gesetzlichen Regelung, schütteln ob der überhasteten Smart-Meter-Einführung den Kopf. "Intelligente Zähler sind ein wichtiger Baustein zur Energiewende. Es müssen aber noch einige offene Fragen geklärt werden“, meint etwa Stefan Zach, Sprecher der niederösterreichischen EVN. Man ist sich nicht einmal darüber einig, wer für die Kosten des flächendeckenden Austauschs der Messgeräte aufkommen soll. Dabei sind in Österreich bereits rund 200.000 Smart Meter im Einsatz. Der Großteil davon in Oberösterreich, wo die Energie AG in einem Pilotprojekt mehr als 100.000 solcher Zähler bei ihren Kunden installiert hat. E-Control-Vorstand Graf geht davon aus, "dass das derzeitige Niveau der Entgelte für die Konsumenten nicht angehoben werden muss“. Nach Vorstellungen der Regulierungsbehörde sollen sich die Netzbetreiber ihre Investitionskosten über das Messentgelt (2,40 Euro monatlich pro Zähler) zurückholen. Die Netzbetreiber sehen das ein wenig anders. Schon allein wegen der höheren Anschaffungskosten und kürzeren Lebensdauer der Geräte würden die Netzgebühren steigen müssen. "Wir gehen davon aus, dass der Regulator es zulässt, die anfallenden Kosten im Tarif abzubilden“, sagt Energie-AG-Generaldirektor Leo Windtner. Im Klartext: Zahlen muss immer der Endkunde.

Außerdem sieht auch die Energiewirtschaft im Gegensatz zur Regulierungsbehörde die datenschutzrechtlichen Fragen nicht hinreichend geklärt. "Über kurz oder lang wird es einen Datenschutzskandal geben“, ist Walter Peissl vom Institut für Technikfolgenabschätzung der Akademie der Wissenschaften überzeugt. Die Energieversorger fürchten, in einem solchen Fall mit kostenintensiven Klagen eingedeckt zu werden. "Mit Recht“, meint Peissl, "denn Daten, die es gibt, werden auch genutzt, das zeigt uns die Geschichte.“

Die E-Control-Vorstände Werner Boltz und Martin Graf sind indes heiße Anwärter für den Big-Brother-Award, der am 25. Oktober im Wiener Rabenhof vergeben wird. Denn die von den Smart Metern erhobenen Daten lassen durchaus - wie eingangs beschrieben - weitreichende Rückschlüsse auf die Lebensgewohnheiten der Bewohner eines Haushalts zu - von der Nutzungsfrequenz einzelner Haushaltsgeräte bis hin zum gewählten Fernsehprogramm. Ganz abgesehen von Sicherheitsfragen. Smart Meter sind digital vernetzt - und sind damit ein potenzielles Einfallstor für Kriminelle. "Auch wenn es Behörde und Politik nicht wahrhaben wollen: Smart Meter sind ein Hacker-Abenteuerland“, warnt Security-Experte Lehner.

Ferraris-Zähler ca. 1880-2019

• Funktion
Elektromechanische Drehscheibe summiert den Stromverbrauch
• Lebenserwartung
50 bis 60 Jahre
• Ablesung
Einmal jährlich manuelles Ablesen

Smart meter ab 2019 Pflicht

• Funktion
Elektronischer Stromzähler mit digitaler Halbleitertechnologie
• Lebenserwartung
Maximal 10 Jahre
• Ablesung
Automatische Fernablesung des Zählerstands


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Christina   Hiptmayr

Christina Hiptmayr

ist Wirtschaftsredakteurin und Moderatorin von "Vorsicht, heiß!", dem profil-Klimapodcast (@profil_Klima).