Elfriede Hammerl

Elfriede Hammerl Mädchen

Mädchen

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Woran ich mich erinnere: an einen Chefredakteur zum Beispiel, der mich konsequent mit Mädchen anredete. War nicht bös gemeint. Ich war ja ein Mädchen damals. ­Allerdings hab ich ihn nie zu jungen Männern Burschi sagen gehört.

Oder an einen Kollegen, der mich erbost im Frankfurter Rotlichtviertel stehen ließ, nachdem ich mich aus seiner überfallsartigen Umklammerung befreit hatte. Wir waren auf dem Rückweg von einer Pressekonferenz. Weil ich nicht willig war, setzte er mich auf dem Straßenstrich aus. War weiter nicht schlimm, ich brauchte keinen Beschützer, aber er hatte wohl gehofft, er hätte mir eine Lektion erteilt, denn im Hotel lauerte er mir vor meiner Zimmertür auf und wurde erneut handgreiflich. Warum hab ich still mit ihm gerungen, statt laut zu brüllen? Weil es mir peinlich war. Weil ich damit rechnete, dass mir die Schuld gegeben würde: ­Irgendwie wirst du ihn doch herausgefordert haben.

Ich erinnere mich auch an ein heftiges Handgemenge mit dem Pressechef eines großen Konzerns. An zotige Mutmaßungen über mein Liebesleben. An Komplimente aus der Verbraucherperspektive, denen zufolge ich ein fescher Hase war, den man gern vernaschen würde. An … Nein, das wird zu lang. Die Kurzfassung: Paternalistische Geringschätzung, herablassendes Taxieren, versuchte sexuelle Übergriffe, so was war in meiner Jugend an der Tagesordnung. Wir wurden früh darauf trainiert, unseren Objektstatus zu akzeptieren. Ich weiß noch, wie wir, eine Mädchenklasse, im Deutschunterricht Missfallen an Goethes herrischem Frauen­konsum äußerten, worauf die Deutschlehrerin mit bebender Stimme erklärte, jede Frau, die von einem Genie (wahr)genommen würde, könne sich geadelt fühlen.

Sexuelle Belästigung, auch von Nicht-Genies, sollte von uns als Schmeichelei interpretiert werden. Schließlich bescheinigte Mann uns damit, begehrenswert zu sein. Deshalb war es ganz leicht, uns im Empörungsfall zu diskreditieren. Was bildet die sich denn ein? Also, so schön ist die wirklich nicht. Das hätte sie wohl gern. Einen Belästiger abblitzen zu lassen ließ für den Belästiger nur folgende Erklärungen zu (die er auch sofort verbreitete): Die ist verklemmt/frigid/lesbisch. Nun sollte lesbisch ja nicht unter üble Nachrede fallen, aber erstens kam das seinerzeit durchaus so an, in ­einer Gesellschaft, in der Homosexualität tabuisiert war, und zweitens will sich frau ihre sexuelle Orientierung schließlich selber aussuchen.

Grob kategorisiert gab es zwei Sorten von Sexisten in meiner Jugend: einmal die konservativen Säcke aller Altersstufen, die völlig ungeniert von ihrer männlichen Überlegenheit und dem Vorrang ihrer männlichen Bedürfnisse ausgingen, und dann die progressiven Schwätzer, die Frauenrechte zum Nebenwiderspruch erklärten, die Genossinnen zum Kaffeekochen abkommandieren wollten und von ­sexueller Befreiung tönten, wenn sie ihre Klugscheißer-WG mit barbusigen Maskottchen teilten, die, siehe Goethe, froh sein sollten, mit ihnen vögeln zu dürfen. (Ja, das war der Jargon, tut mir leid.)

Scheint heute, so viele Jahre danach, nicht so viel anders zu sein. Auf der einen Seite die Brüderles, gemütliche Machthaberer, auf der anderen Seite frauenverachtende Nerds wie die deutschen Piraten, die die Hälfte der Menschheit als Tussen und Schlampen sehen, vor allem, wenn sie es wagen, Kritik an ihnen zu üben.

Aber jetzt: Aufschrei, Aufstand, Zoff. Gut so. Allerdings setzt auch schon wieder das Beschwichtigen ein: Habt euch doch nicht so. Nicht so lustfeindlich. Soll denn alles kontrolliert, reglementiert, verboten sein?

Ach, Leute. Verboten ist nicht die Lust, sondern das Erzwingenwollen von Lust. Ist doch gar nicht so schwer, erwünschte Annäherung von Belästigung zu unterscheiden, die Schlüsselworte heißen Augenhöhe und Respekt. Annäherung findet auf Augenhöhe statt, Belästigung ­degradiert Frauen zum frei verfügbaren Objekt. Wenn beide wollen, ist es ein Flirt. Wenn nur einer will, ist es keiner. Belästigung ist das Gegenteil von erotisch. Da knistert nix, da sprühen keine Funken, da wird nur versucht, Macht auszuüben. Eine Frau zu taxieren wie eine Ware und ihr dann zu sagen, dass ihre Einzelteile der Fleischbeschau standgehalten haben (Brüderle: Sie könnten ein Dirndl ausfüllen!), ist kein Kompliment, sondern Respektlosigkeit. Wenn eine Szene mit vertauschten Rollen schwer vorstellbar wäre (Altpolitikerin sagt jungem Journalisten, was sie von seinem knackigen Hintern hält), ist grad was schiefgelaufen. Denn okay ist nur, was in jeder Konstellation okay wäre.

Ist ja nicht so, dass kein Mann das kapiert. Ich hatte auch Chefredakteure, die mich trotz meiner Jugend ernst genommen haben. Und es gab und gibt Männer, die sehr gut wissen, wie man einer Frau Sympathie, auch Interesse signalisiert und wie nicht. An ihnen zeigt sich, dass es möglich und nicht einmal so schwierig ist, den richtigen Ton zu treffen.

Also bitte keine Gräuelpropaganda, dass harmlose Charmeure im Gefängnis landen werden, wenn dem Alltags­sexismus der Kampf angesagt wird! Charmeversprüher und Diskriminierer sind unterscheidbar. Was oft fehlt, ist der Wille zur Unterscheidung, und zwar aufseiten der Dis­kriminierer.

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www.elfriedehammerl.com