Peter Michael Lingens: Pleite-Differenzierung

Peter Michael Lingens: Pleite-Differenzierung

Worin unterscheiden sich Kärnten und Griechenland?

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Kärntens Landesrätin Gaby Schaunig verwahrt sich dagegen, ihr Bundesland „Mini-Griechenland“ zu nennen. Tatsächlich gibt es neben frappierenden Parallelen auch gravierende Differenzen. Beide, Griechenland wie Kärnten, sind so gut wie pleite; beide danken das ihrer Regierung; aber während die Griechen ihre Regierungen stets für unfähig hielten und bei Wahlen kaum Alternativen hatten, haben die Kärntner sich FPÖ und BZÖ ausdrücklich ausgesucht und Jörg Haider angebetet.

Jetzt brauchen beide, Kärnten wie Griechenland, die solidarische Finanzhilfe anderer (Bundes-)Länder. Aber nur die Kärntner halten diese Hilfe für selbstverständlich, obwohl die Freiheitlichen unter ihnen kaum Verständnis für solidarische Hilfe für Griechenland haben. Ich halte zwar auch für selbstverständlich, dass alle Bundesländer jetzt für Kärnten bluten – weil alles andre unsozial und ökonomisch unsinnig wäre –, aber ich gestehe, dass ich dabei die Emotion unterdrücken muss, Kärntens ewigen „Abwehrkämpfern“, „Heimatdienstlern“, „Nationalen“ und Haider- Anbetern die Pleite eigentlich zu gönnen.

Mario Draghi, der Griechenland derzeit liquide hält, könnte irgendwann der Emotion erliegen, der Regierung Tsipras die Pleite eigentlich zu gönnen.

Die Griechen hielten Hilfe von außen primär nicht für so selbstverständlich, beschimpfen sie aber mittlerweile im gleichen Atemzug, in dem sie sie erflehen. Tatsächlich sind von den Abermilliarden, die für Griechenland flossen, bestenfalls zehn Prozent bei Griechen gelandet, der Rest hat griechische, französische, italienische und deutsche Banken saniert. Aber die zehn Prozent sind auch nicht wenig Geld gewesen. Und voran Mario Draghi, der Griechenland derzeit liquide hält, könnte irgendwann der Emotion erliegen, der Regierung Tsipras die Pleite eigentlich zu gönnen.

Noch glaube ich zwar, dass die Chance für eine Einigung mit den „Institutionen“ – und damit das Fließen weiteren Geldes – über 50 Prozent liegt. Aber sicher bin ich dessen nicht und weiß vor allem nicht, ob es zu einem guten Ende führt. Denn dies ist der entscheidende Unterschied zwischen Kärnten und Griechenland: Kärnten war vor Haider ein funktionierendes Land und wird bald wieder ein solches sein – von Griechenland ist das höchst ungewiss. Es erfüllt zu viele der Kriterien, die die Ökonomen Daron Acemoğlu und James Robinson in ihrer Untersuchung „Warum Nationen scheitern“ fürs Scheitern verantwortlich machen: Griechenland strotzt von Strukturen, die eine kleine Oberschicht massiv zu Lasten der Mehrheit begünstigt. Diese Mehrheit sieht im Staat daher keine nützliche Institution, die „Leistungen“ – funktionierende Verwaltung, Rechtssicherheit oder medizinische Versorgung – garantiert, sondern ein Instrument zur Bereicherung der Regierenden durch Korruption und Vetternwirtschaft. Steuern werden deshalb nicht als notwendige Finanzierung des Staates, sondern als einseitige Abschöpfung gesehen, die man ganz legitim vermeidet.

Diese Einstellung, so zeigen die Autoren, entspricht fast immer intensiver historischer Erfahrung: Bis 1821 waren die Griechen dem osmanischen Reich untertan, das sie mit einer „Kopfsteuer“ ohne Gegenleistung belegte. Eingehoben wurde diese Steuer von einer kleinen Oberschicht (einfluss-) reicher Griechen – Adeliger, Kleriker, Reeder –, die auf diese Weise noch reicher wurde, während das Volk darbte. Dieser Zustand mündete zwar 1821 in eine Revolution nach französischem Muster mit entsprechenden Wirren und ökonomischen Problemen, aber schon 1832 nützten Europas konservative Großmächte die Verschuldung der jungen Republik, um sie in eine ausbeuterische Monarchie rückzuführen.

Regierung und Volk waren schon wieder entzweit und sollten nie mehr zusammenfinden.

1941 standen zwar alle Griechen hinter ihrem Land – ein Überfall überlegener italienischer Truppen wurde zurückgeschlagen –, aber als stattdessen Hitlers Wehrmacht einmarschierte, waren sie schon wieder krasser Ausbeutung von oben ausgeliefert: Nirgendwo raubte die deutsche Besatzung in ähnlichem Ausmaß und wurde dabei einmal mehr von einflussreichen Griechen unterstützt.

Selbst der heroische Widerstand gegen Hitler war nach einem historischem Muster gespalten: in eine große Gruppe kommunistischer und eine kleinere Gruppe bürgerlicher und royalistischer Partisanen, die einander sofort nach Kriegsende wütend bekämpften. Der „Westen“ unterstützte die „Rechten“ bis hin zur Militärjunta der Jahre 1967 bis 1974, und die sorgte dafür, dass sich die Wirtschaft restlos zu etwas entwickelte, das Acemoğlu und Robinson „Kumpel-Kapitalismus“ nennen: Einige wenige Familien dominieren Unternehmen wie Politik, bewilligen einander Steuervorteile, überlassen einander staatliche Monopole zur exklusiven Nutzung und verhindern Wettbewerb.

Man kann die aktuelle Krise daher für eine historische Chance halten: Die berühmten „Institutionen“ könnten Griechenland zwingen, die eigenen Institutionen, von der Verwaltung über die Steuer- und Kartellbehörden bis zur Justiz so zu stärken, dass erfolgreiche soziale Markwirtschaft möglich wird. Aber ich fürchte, dergleichen funktioniert nicht durch Zwang von außen – schon gar nicht seitens Deutscher.