"Nicht Unrecht mit Weihrauch beduften"

Caritas-Direktor Landau: "Nicht Unrecht mit Weihrauch beduften"

Sommergespräch. Caritas-Direktor Landau über Glauben, Wissenschaft und die Versäumnisse der Politik

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Interview: Herbert Lackner

profil: Herr Landau, dies wird ein Doppelinterview: mit dem Priester und mit dem Präsidenten der Caritas.
Michael Landau: Der Priester wird viel spröder sein als der Präsident, weil es in der Caritas eine gute Tradition gibt, innerkirchliche Fragen auszulassen und sich auf den Grundauftrag zu konzentrieren: die Sorge für jene an den Rändern der Gesellschaft und des Lebens.

profil: Sie sind Sohn eines jüdischen Vaters und einer katholischen Mutter. Haben Sie je erwogen, den jüdischen Glauben anzunehmen?
Landau: Nein, zu Hause war die Mutter die prägende Kraft. Mein Vater war sehr liberal und hat zu Weihnachten mit uns mitgefeiert.

profil: Er war nicht religiös?
Landau: Nicht wirklich. Mit dem Alter wurde er ein wenig religiöser.

profil: Was hat das Christentum dem Judentum voraus?
Landau: Der Römerbrief ist da sehr klar, indem er sagt: "Nicht du trägst die Wurzel, sondern die Wurzel trägt dich.“ Man kann das Christentum nicht ohne die jüdischen Wurzeln verstehen. Die Texte des sogenannten Alten Testaments sind bis heute ganz wesentlich. Niemand bringt die Kritik an herrschender Ungerechtigkeit so klar auf den Punkt, wie es manche prophetische Texte tun.

profil: Dennoch: Was hat Sie bewogen, sich mit 20 Jahren taufen zu lassen?
Landau: Ich bin nach und nach zu der Gewissheit gekommen, dass das für mich der richtige Lebensweg ist. Da gab es kein Erweckungserlebnis. Es waren die Freunde, aber auch ein Religionslehrer spielte eine Rolle, dessen Unterricht ich freiwillig besucht habe.

profil: Sie haben als Schüler zwei Mal die Chemie-Olympiade gewonnen und studierten dann höchst erfolgreich Biochemie. Kamen Sie als Naturwissenschaftler nie mit dem Glauben in Konflikt?
Landau: Die Naturwissenschaft hilft einem, nüchtern und analytisch an Fragen heranzugehen. Der liebe Gott hat uns den Verstand gegeben, damit wir ihn benützen. Schließlich werden die Felder des Glaubens nicht kleiner durch das, was wir forschend erkennen.

profil: Wirklich nicht? Vieles, was in der Bibel steht, hat man früher wörtlich genommen.
Landau: Es ist nicht so, dass Gott der Lückenbüßer für Fragen ist, die wir noch nicht beantworten können, und dass sein Territorium im Lichte der Erkenntnis schmilzt wie eine Eisscholle. Die Naturwissenschaft stellt die Frage nach dem Wie, der Glaube stellt sich die Frage nach dem Warum, dem Woher und Wohin, nach dem Sinn. Gerade für den Naturwissenschaftler wird an den Grenzen das Staunenswerte der Schöpfung erfahrbar.

profil: Können Sie das am Beispiel des Urknalls darstellen?
Landau: Selbst wenn man zurückgeht an den Anfang, stellt sich erneut die Frage danach, was davor war. Woher kommt das?

profil: Die Frage, wer auf den Knopf gedrückt hat, bevor es geknallt hat?
Landau: Ich wäre vorsichtig, zu mechanistische Bilder zu verwenden, aber es gehört zum Wesen des Menschen über Grenzen hinaus zu denken.

profil: Die Kirche hat die Naturwissenschaften immer wieder bekämpft. Brecht lässt seinen "Galileo Galilei“ sagen: "Die Winkelsumme in einem Dreieck kann nicht den Ansprüchen der Kurie genügen.“
Landau: Historisch gesehen war manches kein Ruhmesblatt. Heute ist klar, dass jeder Respekt braucht vor den Methoden des anderen. Ich werde mit den Instrumenten des denkenden Glaubenden nicht die Fragen der Naturwissenschaften beantworten, dafür brauche ich die Instrumente der Naturwissenschaften, Hypothese und Falsifikation. Aber es gibt Felder, in denen diese Instrumente völlig ungeeignet sind, schon wenn es um menschliche Beziehungen geht.

profil: Warum haben Sie die Biochemie nicht zu Ihrem Beruf gemacht? Auch dort kann man viel Gutes für die Menschen tun.
Landau: Während meines Chemiestudiums habe ich mich immer wieder gefragt, ob es für mich richtig wäre, Priester zu werden. Als Naturwissenschaftler hat man ja eine klare Vorstellung davon, was eine Wissenschaft ist - und Theologie war damals für mich keine. Um eine Antwort auf diese Frage zu bekommen, habe ich begonnen, Theologie zu studieren. Ich dachte, es würde langweilig werden. Wider Erwarten wurde es spannend. So habe ich während meiner Dissertation in Biochemie den ersten Abschnitt in Theologie abgeschlossen. Mein Doktorvater hatte schon eine Planstelle in einem Forschungslabor für mich gefunden. Ich habe mich bedankt und gesagt, ich werde jetzt ins Priesterseminar eintreten. Da hat er kurz geschluckt.

profil: Sie wurden 1992 zum Priester geweiht, schon 1995 wurden Sie Direktor der Caritas Wien, haben also eine eher weltliche Funktion übernommen. Reine Seelsorge wäre nichts für Sie?
Landau: Mein Vorgänger bei der Wiener Caritas, Helmut Schüller, sagte einmal: "Nachher ist alles andere langweilig.“ Und er hat vermutlich Recht. Die Arbeit der Caritas ist eine der schönsten, spannendsten und manchmal intensivsten, die ich mir vorstellen kann. Damals kam die Anfrage für mich eher unerwartet. Ich war gerade in Rom, um meine Doktorarbeit fertigzuschreiben. Doch mein Vorgänger Helmut Schüller und Kardinal Christoph Schönborn hatten andere Pläne. Also habe ich meine Arbeit eben über mehrere Sommer verteilt fertiggeschrieben.

profil: Sie fordern immer wieder Reformen in der Politik. Die Kirche ist aber die denkbar reformunfähigste Organisation. Stört Sie das nicht?
Landau: Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil hat sich doch einiges bewegt. In den vergangenen Jahren hatte ich aber oft das Gefühl, dass die Kirche Antworten auf Fragen gibt, die ihr keiner gestellt hat. Auf Fragen, die die Menschen stellen, blieb sie Antworten schuldig. Gerade unter diesem Pontifikat gibt es aber eine erhebliche Aufbruchsstimmung.

profil: Kann man sich als Priester den Fragen nach dem Zölibat oder der Rolle der Frauen in der Kirche einfach entziehen?
Landau: Wir haben in der Caritas das Privileg, österreichweit mehr Frauen in Leitungspositionen zu haben als Männer. Das tut uns gar nicht schlecht.

profil: Wäre es nicht gut, wenn Frauen auch in der Liturgie eine größere Rolle hätten?
Landau: Damit hätte ich keine Schwierigkeiten. Die Frage gehört aber nicht zum Auftrag der Caritas und wird auch nicht in Österreich entschieden.

profil: Das ist ja auch der Teil des Interviews, den ich mit dem Priester Michael Landau führe.
Landau: Ich habe mich schon unbeliebt gemacht, weil ich sagte, der Zölibat ist historisch gesehen irgendwann einmal eingeführt worden und hat mit dem Kernbestand des Glaubens nicht unmittelbar zu tun. Er kann also so, wie er einst eingeführt wurde, auch wieder abgeschafft werden.

profil: Für den konservativen Flügel der Kirche sind Sie ein rotes Tuch. Die Website katholizismus.info schreibt: "Man glaubt, im falschen Film gelandet zu sein, bei der KPÖ oder der sozialistischen Linkspartei oder sonst irgendwo in der marxistischen Wahnwelt.“
Landau: Wer das schreibt, dem würde ich das Lesen biblischer Texte empfehlen. Das Evangelium sagt klar, wo der Platz der Kirche ist, und die Kirchenväter sagen an mehr als einer Stelle, die Erde ist für alle da, nicht nur für die Reichen. In den alttestamentlichen Texten liest man über jene, die meinen, nur fromm vor den Altar zu treten, genüge schon: "Ich kann eure Opfer nicht riechen.“

profil: Tatsache ist, dass Sie mit Ihren Aussagen politisch durchaus links der Mitte stehen. Gesamtschule, Umverteilung, liberale Asylpolitik …
Landau: In der Bildungsfrage würde ich mich ungern auf den Begriff Gesamtschule einengen lassen. Unser Ziel ist ganz klar: Alle Kinder müssen auf die Bildungsreise mitgenommen werden, damit kein Talent verloren geht. Und wenn Papst Franziskus in seinem Schreiben "Evangelii Gaudium“ beklagt, dass es kein Aufsehen erregt, wenn ein alter Mann auf der Straße erfriert, aber die Medien voll sind, wenn der Börsenkurs um ein paar Punkte fällt, dann benennt er eine Wirklichkeit und sagt: Diese Wirtschaft tötet. Unsere Pflicht ist nicht, Unrecht mit Weihrauch zu beduften, sondern es als das zu benennen was es ist.

profil: Welche Partei vertritt denn diese Inhalte am ehesten?
Landau: Unser Auftrag als Caritas ist jeder Regierung und jeder Partei gegenüber der gleiche. Wir erinnern daran, dass es auch bei uns Menschen gibt, die an den Rändern auf der Strecke bleiben. Das sind die Menschen, denen wir verpflichtet sind. In unserer Obdachloseneinrichtung "Gruft“ sehe ich, dass Armut und Reichtum eines gemeinsam haben: Beide werden mehr. Wir haben hier im Vorjahr fast 100.000 Mahlzeiten ausgegeben. Es kommen zunehmend Menschen, die noch eine Wohnung haben, sich aber Essen und Heizen nicht mehr leisten können. Auf der anderen Seite entnehme ich dem Valuga-Report, dass im Vorjahr das Vermögen der Millionäre in Österreich um sieben Prozent auf die Rekordsumme von 262 Milliarden Euro gestiegen ist. Klar ist, dass die Starken keinen starken Staat brauchen, sie können sich selbst helfen. Die Schwachen brauchen ihn.

profil: Das habe ich genau so einmal von Bruno Kreisky gehört. Sind Sie für vermögensbezogene Steuern?
Landau: Wir sind als Caritas Armutsexperten, keine Steuerexperten. Aber vor ein paar Tagen habe ich gelesen, dass 4700 Milliarden Euro unversteuert in Finanzoasen liegen. Dann verstehe ich, wenn Kanzleramtsminister Josef Ostermayer sagt, dass dem Thema Steuerbetrug deutlich mehr Aufmerksamkeit gewährt werden muss. Ich habe Heiner Geißler, CDU-Generalsekretär in der Ära Kohl, vor Augen, der sagte: "Es gibt Geld wie Dreck, es haben nur die falschen Leute.“ Gerade die Krise hat gezeigt: Wir können uns den Sozialstaat leisten. Was wir uns nicht leisten können, ist ohne ihn zu sein.

profil: Die Caritas kümmert sich auch um Bettler aus Rumänien und Bulgarien. Wäre es nicht sinnvoll, dass die EU auf diese Länder Druck ausübt, ihre Armen ordentlich zu versorgen und sie nicht auf die Straßen Westeuropas zum Betteln zu schicken?
Landau: Im Grunde ist es das gleiche Phänomen wie damals, als Menschen aus dem Burgenland in großer Zahl nach Chicago aufbrachen. Damals wie heute hoffen Menschen, dass es andernorts für ihre Kinder besser werden würde. Solange in Europa ein zum Teil unmenschliches Wohlstandsgefälle herrscht, wird es Menschen geben, die in ihrer Verzweiflung in einem anderen Land eine bessere Zukunft suchen. Wenn es darum geht, den Menschen in ihren Ländern neue Chancen zu eröffnen, brauchen wir mehr Europa. Hier in Österreich muss es darum gehen, die Armut zu bekämpfen, und nicht die Armen. Es wäre gut, zu dem Konsens zu kommen, dass in unserem Land niemand elend auf der Straße stehen soll. Nicht zuletzt auch deshalb, weil verzweifelte Menschen auch Verzweiflungstaten setzen. Und klar ist auch: Wohlstandsinseln sind in einem Meer aus Armut auf Dauer nicht stabil.

profil: Europa wird nie alle Verzweifelten aus Afrika aufnehmen können.
Landau: Wir haben aber eine Verantwortung, mit jenen, die bereits bei uns sind, menschenwürdig umzugehen. Das sage ich auch bewusst mit Blick auf das unwürdige Sommertheater, das zuletzt wegen des Erstaufnahmezentrums in Traiskirchen aufgeführt wurde. Menschen verlassen ihre Heimat nicht freiwillig. Wenn wir als Caritas mit einer Million Euro 12.000 Menschen nachhaltig vom Hunger befreien, dann sind das auch 12.000 Menschen weniger, die klapprige Boote nach Europa besteigen. Wenn in Europa Banken ins Wanken geraten, dann werden reihenweise Rettungspakete geschnürt. Wenn an den Grenzen Europas Menschen ertrinken - seit 2000 waren es knapp 23.000 - dann wird in höhere Zäune und in den Grenzschutz investiert. Das ist ein Verbrechen. Wer Schleppern das Handwerk legen möchte, muss den Menschen Möglichkeiten eröffnen, auf legalem Weg Europa zu erreichen.

profil: Das würde zu einer Flut von Anträgen führen und in Europa Kräfte in die Regierungen schwemmen, die man dort lieber nicht hat.
Landau: Die Menschen suchen Perspektiven in ihrer Heimat. Darum geht die Kürzung der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit um 17 Millionen für 2015 ja genau in die falsche Richtung. Ich war jetzt im Senegal und habe eines unserer Ernährungszentren besucht. Dort war ein 18 Monate alter Bub, der 5,3 Kilo wiegt. Die Haut ist viel zu groß für den Körper, er ist zu schwach, um sich überhaupt noch zu bewegen. Ob er überlebt, ist unsicher. Sicher ist: Ohne Hilfe wird er sterben. Ganz nüchtern muss man sagen: Wenn die Regierung die geplanten Kürzungen durchzieht, macht sie sich mitschuldig am Sterben von Menschen. Hilfe ist keine Frage des Könnens, sondern des Wollens.

Zur Person
Michael Landau, 54. Der gebürtige Wiener hat ein Doktorat in Biochemie und fand erst spät seine Berufung zum Priesteramt. Ab 1994 leitete Landau die Caritas Wien, im Vorjahr wurde er Nachfolger Franz Küberls als Direktor der Caritas Österreich.

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Foto: Walter Wobrazek