Kritiker warnen vor einer Landwirtschaft, die als "wissenschaftlich betriebene Agroindustrie“ betrieben wird, und Pflanzen als "Biomaschine“: Monokulturen, wie bei den gigantischen Blumenfeldern in den Niederlanden, gefährden langfristig die Bodenfruchtba

Bioökonomie: Eine neue Form der Geschäftemacherei?

Die Verwertung biologischer Ressourcen soll unter dem Primat der Bioökonomie bisher nicht gekannte Ausmaße erreichen. Kritiker befürchten dahinter eine neue Form der Geschäftemacherei.

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7,3 Milliarden Menschen leben derzeit auf dieser Welt, 1970 waren es halb so viele. Selbst wenn diese Zahlen reichlich abstrakt wirken, ist gut vorstellbar, dass der Druck auf die Ressourcen der Erde von Jahr zu Jahr weiter steigen wird, alleine schon wegen des Bedarfs an Nahrungsmitteln, aber auch an Energie. Da wirken die Versprechen der Bioökonomie beinahe zu fantastisch, um wahr zu sein: Eine umweltverträgliche Weltwirtschaft, die die Weltbevölkerung mit ausreichend Nahrung aus nachwachsenden Rohstoffen versorgt, darüber hinaus Alltagsprodukte, die man ohne schlechtes Gewissen kaufen kann, weiters saubere Energie und neue Jobs.

Bioökonomie? Das ist ein relativ neuer Begriff, bei dem Akteure aus Wirtschaft, Politik und Forschung gleichermaßen ins Schwärmen geraten. Man versteht darunter die Nutzung biologischer Ressourcen in bisher nicht gekanntem Ausmaß. An sich nichts Neues, denn im Prinzip passiert das in der Landwirtschaft, in holzverarbeitenden Betrieben oder in der chemischen Industrie schon längst. Neu ist die umfassende Ausrichtung der Wirtschaft in diese Richtung. Hubert Dürrstein, ehemaliger Rektor der Universität für Bodenkultur und einer der führenden Experten auf diesem Gebiet, drückt es so aus: "Es ist die Transformation zu einer neuen Wirtschaftsform.“ Dürrstein, derzeit Geschäftsführer des Akademischen Austauschdienstes (ÖAD), wird beim Forum Alpbach zu diesem Thema mit anderen Experten diskutieren. Und Clemens Matzer, beim Ökosozialen Forum, einem der ÖVP nahestehenden Thinktank, für Wirtschafts- und Energiepolitik zuständig, erklärt: "Ansätze zur Bioökonomie gibt es seit den 1960er-Jahren, neu ist die Einbindung vieler Akteure - von der chemischen Industrie bis zu politischen Institutionen wie der EU-Kommission.“ Von einer "Re-Industrialisierung Europas auf nachhaltiger Basis“ ist schon die Rede. Weniger romantisch klingt das allerdings in den Worten von Franz-Theo Gottwald, Honorarprofessor mit Fachgebiet Umweltethik an der Humboldt-Universität Berlin und Vorstand der deutschen Schweisfurth-Stiftung, die sich für nachhaltige Agrarwirtschaft einsetzt: "Neu sind Ausmaß und Radikalität der von der Bioökonomie angestrebten Naturverwertung.“ Diese beinhalte nicht nur die "restlose Inbesitznahme allen Lebens“, sondern mit der Gentechnik und der Synthetischen Biologie auch seine Um- und Neugestaltung. Es komme zu einer "Umdeutung des Nachhaltigkeitsbegriffs“, warnt Gottwald.

Ringen zwischen Nachhaltigkeit und Profit

Tatsächlich erinnern die Bioökonomie-Akteure an Schachfiguren, die sich gerade bemühen, die wichtigsten Felder in diesem Spiel zu besetzen. Es wäre zwar Schwarz-Weiß-Denken, würde man Industrie, multinationale Konzerne und ihre Lobbyisten auf der einen Seite sehen, während Umweltschützer, Biobauern und regionale Akteure die andere Seite darstellen. Tatsächlich ist die Sache deutlich komplizierter, die Grenzen verlaufen nicht ganz scharf. Zweifelsfrei weckt die Natur als Lieferant wertvoller Rohstoffe aber Begehrlichkeiten. Und dass die Nutzung dieser Rohstoffe automatisch den Siegeszug von Biolandwirtschaft und nachhaltiger Wirtschaft bedeutet, ist eher nicht zu erwarten. Am besten wird das erwartete Ringen zwischen Nachhaltigkeit und Profit an der Frage ersichtlich, ob Pflanzen als Nahrungsmittel dienen sollen oder doch als Energielieferanten. Raps- und Maisfelder bis zum Horizont sind der Beweis, dass angebliche "grüne“ Maßnahmen letztlich das Gegenteil bewirken können. Die Nutzung von Raps-Biodiesel ist Studien zufolge schädlicher für die Umwelt als der Einsatz fossiler Rohstoffe. Franz-Theo Gottwald: "Bioenergie darf nicht zulasten von Nahrungsmittelerzeugung gehen.“ Er nennt als Beispiel Biogasanlagen, die zu einer enormen Verteuerung von Böden geführt hätten. "Viele Höfe haben sich auf dieses lukrative Geschäft spezialisiert und deshalb Tierhaltung und Pflanzenbau für Futtermittel und menschliche Ernährung aufgegeben.“

Nicht nur durch die Verwertung bisher nicht genutzter Reste aus der Landwirtschaft soll die Bioökonomie für einen Umbruch sorgen, auch die bessere Ausnutzung vorhandener Flächen soll dazu beitragen - etwa mithilfe von Biodüngern, basierend auf Bakterien, die das Pflanzenwachstum fördern. Die optimale Nutzung landwirtschaftlicher Flächen ist das Ziel. "Wir müssen uns beispielsweise genauer ansehen, welche Böden für welche Nutzung geeignet sind“, meint Dürrstein vom ÖAD. Die Konzepte der Bioökonomie seien jedenfalls geeignet, beim Kampf gegen Nahrungsmittelknappheit zu helfen. Leicht wird das nicht: Die Produktion wichtiger Grundstoffe wie Weizen und Mais sei kaum zu steigern, zeigt eine Studie. Immer ausgetüfteltere Methoden, immer leistungsfähigere Pflanzen sollen das Optimum aus den Böden herausholen - doch irgendwann ist damit Schluss. Unter dem Produktionsdruck kommen in vielen Regionen erst recht wieder Monokulturen und herkömmliche Dünger zum Einsatz. Landwirtschaft wird zur wissenschaftlich betriebenen Agroindustrie, formuliert es der deutsche Grünen-Politiker Ralf Fücks; Pflanzen und Tiere würden zu "Biomaschinen“ werden. Bioökonomie-Kritiker Gottwald: "Die Lösung wird darin gesehen, die Produktivität durch verbesserte Produktionstechnik und innovative Kombinationen unterschiedlicher Verfahren zu steigern.“ Genau dieser Weg habe aber schon bisher zu einer verheerenden Umweltzerstörung geführt und ist alles andere als nachhaltig. "In der Realität kommt es zu einer nachhaltigen Zerstörung agrarischer Existenzgrundlagen.“ So zeige der Weltagrarbericht 2008, dass die auf diesem Weg erzielten Produktionssteigerungen langfristig die Bodenfruchtbarkeit gefährden.

Erste Ansätze in Österreich

Eine dezidierte Strategie zur Bioökonomie haben im Moment nur wenige Staaten, darunter Deutschland, die USA und Dänemark. In Österreich soll es nächstes Jahr eine solche Strategie geben. Derzeit wird das Thema von zwei Akteuren vorangetrieben: Von der Initiative Bios Science Austria, der unter anderem Boku, Veterinärmedizinische Universität, Lebensministerium und Umweltbundesamt angehören, sowie von der Vereinigung für Agrarwissenschaftliche Forschung (ÖVAF). Deren Positionspapier zur Bioökonomie ist noch reichlich allgemein gehalten, heikle Punkte werden ausgespart - das wird sich ändern müssen. Derzeit wird ein Zustandsbericht ausgearbeitet, der unter anderem die Eigenheiten und Vorzüge Österreichs darstellen soll. "Österreich ist in gewissen Themen der Bioökonomie äußerst wettbewerbsfähig, etwa bei Forst- und Waldwirtschaft, Wasser- und Lebensmittelsicherheit- und -qualität“, sagt Dürrstein. Zudem könne Österreich als Drehkreuz nach Osteuropa genutzt werden. "Dort tut sich in Sachen Bioökonomie noch vergleichsweise wenig.“ Beim Forum Alpbach werden erste Ergebnisse präsentiert, im Frühjahr nächsten Jahres könnte eine konkrete Forschungsstrategie feststehen. In Alpbach soll auch die Dachmarke "Bioeconomy Austria“ etabliert werden. "Es geht um eine Bewusstseinsveränderung, dafür wollen wir die Basis schaffen“, sagt Clemens Matzer. Auffällig ist in Österreich einerseits die komplette Herausnahme der Gentechnik aus Bioökonomie-Ansätzen, da das Thema politisch heikel ist. Andererseits fällt auf, dass wirtschaftliche Akteure hierzulande derzeit diskret im Hintergrund bleiben. "Es werden aber auch solche Partner benötigt“, sagt Dürrstein.

Die Frage wird aber sein, ob Österreich bei der Bioökonomie überhaupt seinen eigenen Weg gehen kann. In Deutschland wird im Moment die Dominanz der Industrie im BioÖkonomieRat von vielen Seiten kritisiert. Franz-Theo Gottwald macht das an Zahlen fest: "Zwischen 2010 und 2016 werden im Rahmen der ‚Nationalen Forschungsstrategie Bioökonomie 2030‘ der Bundesregierung 2,4 Milliarden Euro für Forschung zur Umsetzung einer wissensbasierten Bioökonomie zur Verfügung gestellt. Das Bundesprogramm Ökologischer Landbau und andere Formen nachhaltiger Landwirtschaft ist im Haushalt 2015 mit gerade einmal 16 Millionen Euro veranschlagt.“ Clemens Matzer glaubt, jedes Land müsse seine eigene Strategie definieren. "Die Rahmenbedingungen können in Österreich so gesetzt werden, dass die ökosoziale Marktwirtschaft realisiert wird“, glaubt er. Die Gentechnik sei aber ein Beispiel, wie Europa zwischen nationalen Eigenheiten und transnationaler Strategie laviere, gibt er zu. "Die Bioökonomie wird nicht dazu führen, die Gentechnik durch die Hintertür hereinzubringen“, versichert Dürrstein.

Allzu optimistische Ansprüche an die Bioökonomie sind nicht angebracht. Dass es im Supermarkt bald nur noch Bio-Tomaten und Eier von Hühnern aus Freilandhaltung geben wird, ist nicht zu erwarten. "Bioökonomie ist nicht dazu gedacht, die Bio-Landwirtschaft flächendeckend zu etablieren“, stellt Dürrstein fest. Die Rolle, die beispielsweise Düngemittelhersteller spielen, wird noch heftig diskutiert werden. "Es müssen alle Konzepte betrachtet, aber kritisch diskutiert werden“, meint Dürrstein. Akute Probleme der Landwirtschaft - wie sinkende Einkommen der Bauern - könnten durch die Bioökonomie nicht bewältigt werden, moniert die Plattform "Wir haben es satt!“, bei der Organisationen wie Greenpeace oder IG Milch eine Kehrtwende der heimischen Agrarpolitik und eine Abkehr von der Agroindustrie fordern. Doch die Industrie wird bei der Bioökonomie mitreden wollen, denn dort winken Profite mit grünem Image. Was wiederum den Druck auf kleinere Betriebe steigern könnte. Hochleistungslandwirtschaft sei für Kleinbauern nicht leistbar, nicht sinnvoll, warnen Agrarexperten. "In Österreich dominieren kleinbäuerliche Strukturen“, weiß Clemens Matzer. Das Leben werde für kleine Betriebe daher nicht einfacher, so Dürrstein.

Der Weg scheint vorgezeichnet: Zurück zur Natur, aber diesmal in ganz großem Maßstab. Oder doch nicht? Gottwald: "Die Erfolge der Bioökonomie bisher sind recht überschaubar. Die Diskrepanz zwischen Nutzenversprechen und Realität der Bioökonomie ist augenfällig.“ Er ortet eine Mischung aus "kurzfristigem Profitinteresse und maßloser Selbstüberschätzung“. Auch Clemens Matzer meint: "Da heißt es sicher aufpassen.“