Beim Transfer mit Western Union rinnt nicht wenig Geld durch die Finger

Wie Western Union mit der Flüchtlingskrise viel Geld verdient

Wie Western Union mit der Flüchtlingskrise viel Geld verdient

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Wien, direkt neben dem neuen Hauptbahnhof. Das Geschäftslokal hier ist eines derjenigen, an denen man Hunderte Mal vorbeilaufen kann, ohne sie zu registrieren. Ein Schaufenster, zwei Kassenschalter, ein paar Bildschirme. Über einen flimmern gerade Wechselkurse, daneben sieht man Werbespots mit fröhlichen Gesichtern. In dieser Einrichtung gebe es Geld, „wo immer es benötigt wird, zu jeder Zeit, an jedem Ort“, lautet der dazugehörige Schriftzug.

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Western Union ist das größte Bargeldtransferunternehmen der Welt. Wo es keine Banken oder Bankomaten gibt, wo die Menschen keine Bankkonten und Kreditkarten besitzen (oder gerade nicht darauf zugreifen können), dort findet man garantiert irgendwo eine Western-Union-Filiale – weltweit insgesamt eine halbe Million, in den Steppen Zentralasiens, den Slums von Afrika oder eben hier, auf dem Wiener Hauptbahnhof. Die Anzahl der Western-Union-Filialen übersteigt jene der McDonald’s-Restaurants um mehr als das Zehnfache. Die wichtigsten Zielgruppen: Arbeitsmigranten, die jedes Jahr Hunderte Milliarden Euro in ihre Heimatländer schicken. Und, gerade derzeit: Flüchtlinge.

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Um bei Western Union eine bestimmte Summe Geld abzuheben, brauche man einen achtstelligen Code, erklärt der junge Mann mit der selbstgewuzelten Zigarette, der gerade aus dem Lokal getreten ist. Diesen Code erfährt man vom Absender, der das Geld in einer anderen Filiale eingezahlt hat. Wasim*, 20 Jahre alt, stammt aus der syrischen Hauptstadt Damaskus. Seit drei Monaten lebt er in Wien, erzählt er. Wasim lässt seine Finger kurz durch die Geldscheine gleiten, die er gerade überreicht bekommen hat, dann steckt er sie weg. Sein Vater, der sich noch in Damaskus aufhält, schicke ihm alle paar Wochen etwas, sagt er. Manchmal sind es 100 Euro, manchmal 200 – gerade so viel, wie sich der Vater vom Mund absparen kann.

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Die Zentrale von Western Union liegt in Englewood, einem Vorort von Denver, Colorado. Hier wurde das Unternehmen vor mehr als 150 Jahren gegründet. Seine Mission: die Weiten des Westens mit Kommunikationslinien zu durchziehen. Ursprünglich verlegte Western Union Telegrafenleitungen oder solche für Börsenfernschreiber. Im darauf folgenden Jahrhundert verstand man es, neue Entwicklungen früh zu erkennen. Die größte: die Globalisierung seit den 1990er-Jahren. Die immer stärker und schneller werdenden Ströme von Geld und Menschen speisen das heutige Geschäftsmodell. Wen es in fremde Länder gespült hat, der kann dank Western Union Geld transferieren, und zwar unabhängig von jeder sonstigen finanziellen Infrastruktur. Und je mehr Menschen sich auf den Weg machen, desto höher fällt der Konzerngewinn aus. Vergangenes Jahr belief er sich, bedingt auch durch die Flüchtlingskrise im Nahen Osten und Europa, auf beachtliche 5,6 Milliarden Dollar. Zu beachtlich, meinen Kritiker.

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Wasims Vater betreibt ein Café in Damaskus, der Sohn arbeitete dort bis zu seiner Flucht als Manager. Früher sei das Lokal gut gelaufen, erzählt er: „Heute kommt an manchen Tagen kein einziger Gast.“ Im Viertel rundherum fielen Bomben, man müsse sich vor herabstürzenden Trümmern und Querschlägern hüten. Wasim flüchtete im Sommer, als ihn das Regime des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad zur Armee einziehen wollte. „Ich mochte weder unschuldige Menschen töten noch selbst getötet werden“, sagt er. Sein Englisch ist fast perfekt; mit seinen Sportschuhen und seiner Sportjacke unterscheidet er sich äußerlich nicht von seinen österreichischen Altersgenossen. In Wien ist Wasim in einer privaten Wohnung untergekommen. Dort leben auch seine Tante und deren Kinder, ebenfalls Flüchtlinge.

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Die Kosten dafür, Geld mit Western Union zu schicken, sind immens. Bis zu 20 Prozent Gebühren fallen pro Überweisung an, rechnet das deutsche Web-Portal geldtransfair.de vor. Die Spesen variieren von Land zu Land extrem – besonders hoch fallen sie dort aus, wo Menschen kaum andere Optionen als Western Union haben. Schickt ein Flüchtling beispielsweise 150 Euro nach Jordanien, um seine Familie in einem der dortigen Camps zu unterstützen, betragen die Gebühren dafür 22 Euro, also mehr als 15 Prozent. Zusätzlich werden Wechselgebühren verrechnet, die höher als marktüblich sind.

Man könnte Western Union zugute halten, dass es teuer und riskant ist, ein derart riesiges Filialnetz zu betreiben. In Wahrheit funktioniert dies jedoch über eine Art Franchise-System: Jeder kleine Laden – oft sind es Gemüsehändler und andere Kioske in Entwicklungsländern – kann sich darum bewerben, ein Partner von Western Union zu werden. Pro Überweisung erhält die lokale Filiale dann eine kleine Provision. Die Folge dieses System: Bei Western Union selbst arbeiten nur 10.000 Menschen. Sie verwalten ein lukratives Netzwerk, das bis in die entlegensten Gebiete der Erde reicht.

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Damit Wasim in Wien 100 Euro bekommt, muss sein Vater in Damaskus 130 Euro einzahlen, sagt er. „Aber was sollen wir sonst tun?“ Nicht nur seien keine regulären Banküberweisungen von Syrien nach Österreich möglich, er habe hier auch gar kein Konto, um das Geld entgegenzunehmen. Inzwischen haben sich zwei weitere Flüchtlinge dazugesellt. Joseph und Masser, 30 und 34 Jahre, stammen aus dem Irak, nördlich von Bagdad. Dort haben sie als Köche gearbeitet und studiert, Kommunikationswissenschaft und Englisch, bis sie vor einem halben Jahr flüchteten. Die „Daesh“ hätten sie vertrieben, erzählen sie, der sogenannte „Islamische Staat“. Heute sind sie zu Western Union gekommen, um einem Freund in Deutschland mit etwas Geld auszuhelfen. Er brauche dringend 100 Euro, hat er ihnen per Facebook-Chat geschrieben. Joseph und Masser haben das Geld gerade überwiesen; neun Euro Gebühren waren dafür fällig.

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„Senken Sie die horrenden Gebühren!“, wird Western Union derzeit von Aktivisten aufgefordert, die sich auf der Online-Petitionen-Plattform avaaz.org organisiert haben. Mehr als 352.000 Menschen haben unterzeichnet. Kritik kommt nicht nur von engagierten Bürgern, sondern auch von der Weltbank. Deren Experten rechnen in ihren Berichten vor, dass den Entwicklungsländern weltweit jährlich 20 Milliarden Euro entgehen, weil Geldtransferunternehmen wie Western Union überhöhte Gebühren verlangen. Im Jahr 2009 haben sogar die G8, die acht größten Industriestaaten der Erde, einen Vorstoß unternommen. Bei einer Konferenz in Rom im November dieses Jahres verkündeten die Regierungen das „5-Mal-5-Ziel“: Innerhalb der nächsten fünf Jahren sollen die Kosten für Geldtransfers auf maximal fünf Prozent sinken. Geschehen ist bisher nichts.

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Ihr Freund in Deutschland sei ebenfalls irakischer Flüchtling, erzählen Joseph und Masser. Es habe ihn nach Bonn verschlagen. Das Geld brauche er, weil es kälter werde und er Winterkleidung kaufen müsse. Das Lager in Bonn habe keine mehr zur Verfügung. Joseph und Masser kennen ihren Bonner Freund noch aus Bagdad. Sie wissen zwar, dass die 100 Euro nicht lange reichen werden, „aber was soll’s, er braucht das Geld eben“. Dann verabschieden sie sich, um ihren Zug nach Neusiedl am See im Burgenland zu nehmen. Dort wohnen Joseph und Masser in einer Flüchtlingsherberge.

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Überall entlang der sogenannten Balkanroute – in der Türkei, Griechenland, den Ländern des ehemaligen Jugoslawiens – schießen in diesen Monaten die Western-Union-Filialen aus dem Boden. Flüchtlinge gelten derzeit als besonders gute Kunden des US-Unternehmens – nicht nur, weil sie in Europa keine Bankkonten besitzen und auf Geldtransfers aus instabilen Kriegsgebieten angewiesen sind, sondern auch, weil sie häufig nur kleine Summen abheben. Das erhöht die Gebühren zwar noch weiter, aber viele Flüchtlinge fürchten, dass ihnen größere Summen auf ihrem Weg geraubt werden könnten.

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„Die meisten Flüchtlinge laufen ständig zu Western Union“, erzählt Wasim von den Erfahrungen seiner Flucht. Einerseits verschicken sie untereinander Geld, andererseits bezahlen sie Schlepper über Western Union. Wasim selbst ist jedoch anders vorgegangen, sagt er: „Ich habe bei meiner Flucht mein ganzes Geld immer bei mir getragen, versteckt in den Socken und der Unterhose.“ Wasim wollte sich die Gebühren ersparen und hatte außerdem Angst, dass bei den Geldtransfers irgendetwas schiefgehen könne.

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Die Eigentümer von Western Union zählen zu den größten Geld- und Investmenthäusern der USA. Im Auftrag wohlhabender Kunden verwalten sie Billionen von Dollars – und diese Gelder investieren sie in Unternehmen wie Western Union. Zu den größten Aktionären zählen derzeit etwa der New Yorker Vermögensverwalter Blackrock, der Finanzdienstleister Fidelity aus Boston und der Vermögensverwalter Vanguard Group aus Pennsylvania.

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Martina, eine gebürtige Salzburgerin, ist die erste Western-Union-Kundin an diesem Abend auf dem Wiener Hauptbahnhof, die nicht unbedingt auf die Leistungen des Unternehmens angewiesen ist. Die 32-Jährige hat in den USA internationale Politik studiert. Heute reist sie im Auftrag von verschiedenen Nichtregierungsorganisationen oft zu Konferenzen im Ausland, bei denen sich Experten austauschen, etwa über das Management internationaler Konflikte. Kürzlich fand eine solche Konferenz im mittelamerikanischen Panama statt. Martina hätte nach der Rückkehr die Kosten für den Flug von ihrem Auftraggeber überwiesen bekommen sollen. „Doch irgendetwas hat nicht gleich geklappt“, sagt sie. Die Bank in Panama habe nicht sofort an jene in Österreich überweisen können. Deshalb vereinbarten Martina und ihr Auftraggeber, das Geld über Western Union zu schicken. „Das hat zwar ungefähr 100 Euro zusätzlich gekostet, aber es war die schnellste und unkomplizierteste Variante“, sagt Martina.

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Der Vorstandsvorsitzende von Western Union, der in Englewood den Konzern führt, ist selbst Migrant. Der 54-jährige Hikmet Ersek wurde im türkischen Istanbul geboren: türkischer Vater, österreichische Mutter, österreichischer Reisepass, wienerischer Zungenschlag. Als Teenager zog Ersek nach Wien, um hier an der Wirtschaftsuniversität zu studieren. In den 1980er-Jahren begann er bei Mastercard, 1999 wechselte er zu Western Union. Dort fungierte er viele Jahre als Europa-Chef mit Büro am Wiener Schubertring. Im Jahr 2010 stieg er zum Vorstandschef auf. Vergangenes Jahr betrug sein Verdienst acht Millionen Dollar. Ersek ist nicht nur der einzige Österreicher, der einen der 500 wichtigsten börsenotierten Konzerne der USA leitet, sondern nebenbei auch österreichischer Honorarkonsul in den US-Bundesstaaten Wyoming und Colorado. In Interviews erzählt Ersek gern, dass er selbst seinem Vater in der Türkei Geld über Western Union schicke.

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Wasim, der 20-Jährige aus Syrien, wartet derzeit auf den Ausgang seines Asylverfahrens in Österreich. Die Leute hier seien „gut und großzügig“, sagt er. Doch er sorgt sich um seinen Vater in Damaskus. „Dort wird es immer gefährlicher.“ Am liebsten würde Wasim den Vater nach Österreich nachholen. „Aber momentan hat er so wenig Geld, dass er Hunger leidet. Er könnte sich nicht einmal die Flucht in den Libanon oder die Türkei leisten, geschweige denn hierher.“

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Als das deutsche Wochenblatt „Die Zeit“ kürzlich Western-Union-Chef Ersek auf die Kritik wegen der hohen Gebühren ansprach, rechtfertigte er sich so: „Aktionäre wollen immer mehr. Mehr Umsatz, höhere Margen, mehr Geld.“ Zwar gibt es Kunden wie Martina, die den Finanzdienstleister vor allem aus Bequemlichkeit nutzen. Doch insgesamt hat sich Western Union die vielleicht lukrativste Kundenschicht überhaupt erschlossen: jene, die kaum andere Möglichkeiten haben, als Kunden von Western Union zu sein. Es heißt, die Erde sei – zumindest in finanzieller Hinsicht – ein globales Dorf geworden, in dem die Geldströme immer schneller und ungehinderter fließen. Wenn das so ist, dann kassiert Western Union den Wegzoll von denjenigen, die am Dorfrand wohnen. Und das werden derzeit immer mehr.