Eatdrink: Rosinen aus Büchern

Kochliteratur: Wie aus Kleinigkeiten etwas Großes wird.

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Die große Küchenoper schwächelt; dass sie stirbt, wäre übertrieben, vielleicht kehrt sie ja eines Tages wieder zurück.

Was meine ich damit? Das gigantisch aufwendige Gericht in den Kochbüchern renommierter Chefs, bei dem erwartet wird, dass es Hack und Schnitt nachgekocht wird, obwohl doch jedem vernünftigen Hobbykoch und jeder -köchin klar sein muss, dass das keinen Sinn hat. Kluge Autoren dekonstruieren ihre dicken Wälzer deshalb in letzter Zeit; sie bringen die große Oper zwar noch zur Aufführung, aber die einzelnen Module der Gerichte stehen für sich, man kann sie beliebig einsetzen - gleichsam als letzten Kick in einem Gericht, das ohnehin zum Repertoire am häuslichen Herd gehört. Zwei, wie ich finde, gelungene Beispiele dafür will ich empfehlen:

David Kinch ist hierzulande kaum bekannt, was auch daran liegen mag, dass er noch nicht Gastkoch im Salzburger "Hangar-7“ war; sollte er wollen, er wäre eine gute Wahl. Kinch gründete sein Restaurant "Manresa“ 2002 im zuvor desolaten Gemeindeamt von Los Gatos am Rand des kalifornischen Silicon Valley. Die Sache lief schleppend an, denn kurz zuvor war eine bombastische IT-Blase geplatzt; die Dotcom-Gemeinde hatte gerade andere Sorgen, als gut zu essen. Kinch aber war einfach zu gut. Sein auf Regionalität, Saisonalität und Bio-Qualität basierendes Konzept lockte immer mehr Gäste von weit her an; heute hat "Manresa“ zwei Michelin-Sterne - und Kinch ein kiloschweres Kochbuch mit detailliert erklärten, übersichtlich gestalteten und verdammt witzigen und originellen Rezepturen: "Manresa - Kalifornische Küche“.

Da finden sich Rote-Rüben-Chips aus Rübenpulver und -saft sowie Tapiokamehl, die in Zucker gewälzt werden und sich in einem Dessert ebenso gut machen wie auf Räucherfisch oder Wildragout. Da ist dieses herrlich simple Limettensalz mit ungeahnten Einsatzmöglichkeiten, das Gurken-Confit bloß aus guten Gartengurken und Läuterzucker, eine Sauce aus nahezu reinem Knochenmark mit einem Hauch Essig oder Kinchs eigene Auslegung der Tunfischsauce für ein Vitello tonnato mit frischem Tunfisch. Macht echt Spaß, sich die Rosinen aus diesem Buchen (hätte Ernst Jandl vielleicht gesagt) zu picken.

Tanja Grandits, die Alchimistin der Kräuter und Gewürze, schreibt die große Oper erst gar nicht, und dennoch gelangt, wer ihr folgt, in den Olymp der Aromen. In ihrem neuen Buch geht es um Kräuter, und so heißt es auch. Es handelt von kleinen Appetizern, Emulsionen und Sirups, Marinaden und aromatisierten Ölen, von Krokant und Crackern, Sorbets und Gelees - lauter Geschmacksteppiche, die sich um einen ziemlich genau fokussierten Kern legen. Natürlich, man kann wie Grandits eine Entenbrust mit Wacholderlack streichen, aber wieso nicht auch Wild? Und Salbeiöl geht ja auch nicht nur mit Kalbsfilet, sondern sogar ziemlich gut mit Huhn oder Fisch. Grandits bäckt Cracker aus Liebstöckel und Quinoa, kocht einen Sirup aus Estragon, der jeden Salat "wachküsst“, wie sie findet, oder macht uns vor allem bei den Desserts mit Paaren vertraut, von denen wir nicht annehmen würden, dass sie einander wirklich lieben: Marillen und Rucola, Erdbeeren und Shisokresse, Dill und Mango. Allein die Ideen und Anregungen sind dieses Buch wert.

Noch ein italienisches Kochbuch? Nein? Eines noch, hm? Auch hier geht es um Kleinigkeiten: die wunderbaren Petitessen der Bars und Osterie zwischen Tarvis und Siracusa, die Cicchetti: Crostini, Frittate, Spiedini, marinierte Gemüse und Fisch, Fisch und noch einmal Fisch. Lauter hervorragender Stoff für die Gartenparty; die einzige Voraussetzung: ein vernünftiger Verleihnix mit möglichst frischer Ware.

David Kinch (mit Christine Muhlke): Manresa - Kalifornische Küche Matthaes Verlag 2015, 326 Seiten, 71,90 Euro

Tanja Grandits: Kräuter - vierzig Kräuter und hundertvierzig Rezepte AT Verlag 2015, 352 Seiten, 41,10 Euro

Lindy Wildsmith und Valentina Sforza: Cicchetti und andere italienische Kleinigkeiten Jacoby & Stuart 2015, 256 Seiten, 20,60 Euro