Ein patschertes Leben

Das patscherte Leben des Ernst Strasser

Affäre. Ernst Strasser im Porträt

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Vom „tragischen Charakter“ wird dieser Tage gesprochen, von schicksalhafter Verstrickung und auswegloser Lage, wie sie in der klassischen griechischen Tragödie vorgeführt werden. Doch für große Worte ist das, was geschah, zu gewöhnlich. Ernst Strasser ist eher ein „armes Würstl“, wie man in Österreich zu sagen pflegt, ein Kind jenes Systems, das sich jetzt in einem Anfall von Amnesie des Gefallenen entledigen möchte.

Es ist noch nicht lang her, da hatte Strasser niederösterreichische Schulklassen nach Brüssel eingeladen, um ihnen „den Kern und die Vision Europa“ näherzubringen. Was er ihnen wohl erzählt haben mag? „Ich bin nicht in der Politik. Ich bin in Brüssel“, gab er in Interviews zu bedenken. Er sei einer, „der tut, nicht redet“, rechtfertigte er seine seltenen Auftritte im Europaparlament. Im Übrigen finde er Brüssel „total lässig“.

Jetzt ist das Mandat weg, seine Geschäftspartner wollen nichts mehr mit ihm zu tun haben. Sein Ruf ist ruiniert, seit alle Welt die Videos gesehen hat, in denen sich Strasser, mit den Armen rudernd, in ungelenkem Englisch und offenbar leicht beschwipst, als tüchtiger Lobbyist aufspielte, der in der Lage sei, für eine Stange Geld den Gang der Welt zu verändern. Selbst seine Verteidigung ist lachhaft. Er habe den „Secret Service“ hinter dem Ding gewähnt und den Bestechungsversuch ohnehin melden wollen – wenn er nur Zeit dafür gehabt hätte. Die einzige Entschuldigung, die Strasser zu seinen Gunsten vorbringen könnte, wäre: abgrundtiefe Dummheit. Doch so dumm ist keiner.

Ernst Strasser hatte schließlich politisches Talent versprochen, früher. Aufgewachsen war er in einer einfachen Bauernfamilie im oberösterreichischen Grieskirchen, wo sich die Menschen in das Notwendige fügten, wo sein Vater sich schon als 15-Jähriger als Knecht verdingen musste und die geringste Abweichung geahndet wurde. Als sich der Jugendliche für den Zivildienst statt fürs Bundesheer entschied, sprach der Gendarmeriekommandant des Orts bei den Strassers vor. Im Gymnasium brachte es Strasser zum Schulsprecher, daheim mistete er jeden Abend den Stall aus.

In Salzburg lockte dann Mitte der siebziger Jahre die große Freiheit. In der katholischen Hochschulgemeinde und der ÖVP-nahen Studentenpartei ÖSU blieb Strasser unter seinesgleichen: Kinder von Bauern, die ebenfalls mit einem Stipendium zum Studium in die Stadt geschickt worden waren. Mit den Abkömmlingen des Salzburger Bürgertums, Anwalts- und Ärztesöhnen, die sich, der Familientradition folgend, dem Cartellverband und ebenfalls der ÖSU angeschlossen hatten, wollten sie nichts zu tun haben. „Wir waren ziemlich links, fühlten uns sehr bedeutend, und zum Ärger der Partei machten wir mit den Kommunisten manchmal gemeinsame Sache“, erinnert sich Georg Neuhauser, ein Jugendfreund Strassers, der später zu den Grünen ging.

Strasser hatte bei den Salzburger Studenten bald das Heft in der Hand, stieg zum ÖSU-Obmann auf, wurde ÖH-Vorsitzender, fuhr zu Delegiertentreffen nach Wien, wo er den damaligen Linzer ÖSU-Chef Wilhelm Molterer kennen lernte. Eine neue Generation in der ÖVP war im Kommen.

Er wolle „einmal mitmischen“
, gab Strasser seinen Freunden zu verstehen. „Er hatte Instinkt, den Zug zur Macht und strategisches Geschick, was uns nur recht war im Konflikt mit den CVlern, zu denen auch der heutige ,Kurier‘-Chefredakteur Helmut Brandstätter gehörte“, erinnert sich Neuhauser.

Die Politruk-Lehre. Die ersten Jahre im ­Berufsleben von Strasser gestalteten sich dennoch zäh. Ein Zwischenspiel in Wien als Sekretär des Bauernbunds, weitere Jahre als Rechtsreferent des oberösterreichischen Bauernbunds in Linz, Gemeinderat in Grieskirchen. Erst 1987 erfolgte der ersehnte Ruf in die Bundeshauptstadt: Jetzt war er gemeinsam mit Wilhelm Molterer Sekretär im Büro von Landwirtschaftsminister Josef Riegler.

Sein Chef gehörte nicht zu jenen Politikern, die sich auf dem Wiener Parkett heimisch fühlten. Selbst als Riegler als Nachfolger Alois Mocks ÖVP-Obmann und Vizekanzler wurde, Strasser sich zum stellvertretenden Kabinettschef hinaufarbeitete und Woche für Woche ein Journalisten-Frühstück mit Kaffee und Topfengolatschen organisierte, hatte er nicht das Gefühl voranzukommen.

Enttäuscht von der Politik wechselte er zum Umdasch-Konzern nach Amstetten. Das Bauunternehmen zahlte zwar nicht besonders gut, doch strategische Planung habe ihn immer interessiert, sagt Strasser. Nach einem Jahr zeichneten sich neue Perspektiven ab. Erwin Pröll hatte nach langen Jahren des Wartens endlich die ÖVP Niederösterreich übernommen und fragte Strasser, ob er sein Parteisekretär werden wolle. Der damals 36-Jährige griff sofort zu. Es galt, der Partei ein neues Image zu geben und die politische Strategie auf Marketing auszurichten. Ein Sitz im ORF-Kuratorium kam da sehr gelegen. Erwin Pröll trat nun nicht mehr nur bei Kreisverkehrseröffnungen im Landesstudio auf, sondern auch manchmal in den Hauptnachrichten. Vielleicht sei er es in den ersten Jahren „etwas scharf angegangen“, es war „der schwierigste Job, den ich je hatte“, sagt Strasser heute. In dieser Zeit erwarb er sich den Ruf eines brutalen Politruk, der bereit ist, alles für seinen Chef in die Waagschale zu werfen. Für den Landtagswahlkampf 1998 erfand er die „Men in Black“-Kampagne und ließ Erwin Pröll – nach dem Kinovorbild – in schwarzem Anzug mit cooler Sonnenbrille plakatieren. Um die Grünen möglichst klein zu halten, organisierte er eine pseudogrüne Liste, hinter der sich ÖVP-Mitglieder verbargen.

Zu ÖSU-Veteranentreffen in Salzburg reiste er mit Chauffeur und Dienstwagen. Anders ginge das gar nicht, prahlte Strasser. „Wir erkannten ihn nicht wieder“, sagen die Freunde von damals. „Dieses System hat eine sehr unsympathische Seite von ihm zum Vorschein gebracht, und als er dann Innenminister wurde, hat sich das noch verstärkt“, meint Neuhauser. Andere Jugendfreunde, die ungenannt bleiben wollen, weil sie ihn immer noch fürchten, sagen: „Das System hat ihn korrumpiert.“ Die Willfährigkeit, mit der Strasser stets zu Diensten war und am Ende nur sich selbst, erklären sie mit seinem mangelnden Selbstwertgefühl.

Strassers Lohn für die Jahre in Niederösterreich war das Innenministerium. In den ersten Wochen der neu angelobten Regierung hatte sich der ehemalige ÖSU-Studentenpolitiker noch verständnisvoll über die Demonstranten geäußert und die Einsatzkräfte angewiesen, ruhig im Hintergrund zu bleiben, selbst wenn sie beschimpft würden. In den Abteilungen seines Hauses wurde er mit Mozartkugeln vorstellig. Er lobte die Arbeit der Caritas, warb für „menschlichen Umgang“ mit Ausländern. Während der Ministerratssitzungen trat er, damals ganz modern, mit Laptop auf. Als sich herausstellte, dass freiheitliche Funktionäre Daten aus dem Polizeicomputer gegen ihre Gegner verwendet hatten, versprach er, die Spitzelaffäre schonungslos aufzuklären.

Noch unbemerkt von der Öffentlichkeit ließ er freilich Erkundigungen über seine Spitzenbeamten, die der SPÖ angehörten, einholen. Wenn sich eine Gelegenheit bot, wurden sie aus dem Amt gedrängt und frei werdende Stellen mit Parteigängern besetzt.

Als der grüne Abgeordnete Öllinger im März 2002 bei einem Neonazi-Aufmarsch am Heldenplatz vom damaligen Generalinspektor der Wiener Sicherheitswache, Franz Schnabl, gebeten wurde, beruhigend auf die Gegendemonstranten einzuwirken, drehte ihm Strasser einen Strick daraus und führte den Politiker im Parlament als gewaltbereiten Rädelsführer vor. Schnabl widersprach der Darstellung des Ministers. Er wurde abserviert.

Techniker der Macht.
Strasser sagte einmal zu profil, er habe seine Rolle in der verhassten schwarz-blauen Regierung darin gesehen, das liberale Aushängeschild zu präsentieren. Später, als die Sanktionen gegen die österreichische Regierung aufgehoben waren und die Freiheitlichen einknickten, sei ein rechter Innenminister gefordert gewesen.

Er war von keiner Überzeugung getrieben, sondern von strategischen Überlegungen. Er entzog Flüchtlingshilfsorganisationen die Schubhaftbetreuung. Er stellte sich hinter seine Beamten, die einen festgenommenen Afrikaner so drangsalierten, dass dieser während der Amtshandlung erstickte. Er ließ gegen Menschenrechtsanwälte wegen „Schlepperei“ ermitteln. Wenige Wochen vor den Nationalratswahlen 2002 ließ er Hunderte Asylwerber, Familien mit Kindern, schwangere Frauen und Alte, auf die Straße setzen.

Wären die Verhandlungen mit den Grünen um die Jahreswende 2002/2003 zu einem Abschluss gekommen – Strasser hatte sich intern für eine schwarz-grüne Koalition starkgemacht und in dieser Konstellation auf einen weiteren Karriereschritt gehofft – dann hätte er wieder eine andere Politik gemacht, je nach den Erfordernissen eben.

Jetzt schuf er sich Netzwerke und nahm etwa an den berühmten Jagdgesellschaften des Rüstungslobbyisten Alfons Mensdorff-Pouilly teil, der unter anderem für Motorola tätig war. Wenig später kam Strasser erstmals in ärgere Probleme: Bei der Vergabe des Behördenfunknetzes bootete er ein Konsortium von Raiffeisen und Siemens aus und gab Motorola, Alcatel und Telekom den Vorzug. Bei der Telekom operierte bereits Peter Hochegger, der später noch öfter seine Wege kreuzen sollte.

Die Neuauflage von Schwarz-Blau erwies sich für ihn als Sackgasse. 2004 peilte er den Posten eines EU-Kommissars an. Daraus wurde nichts. Im Gegenteil. Parteiobmann Wolfgang Schüssel entzog ihm auch noch die Koordinierungsagenden für die Koalition, Strasser erklärte seinen Rücktritt. Nun wollte er sich in der Wirtschaft beweisen. Ehemalige Kabinettsmitarbeiter von Strasser hatten sich schon im weiten Feld des Beratungs- und Konsulentengeschäfts posi­tioniert. Als Gesellschafter und Geschäftsführer von Töchtern bei Vienna Capital Partners (VCP) traf Strasser auf seinen Kabinettschef Christoph Ulmer, ein anderer, Thomas Zach, hievte ihn in den Aufsichtsrat der Staatsdruckerei.

Für Strassers Auftraggeber war nicht seine Expertise von Bedeutung, sondern die Tatsache, dass ein ehemaliger Innenminister in den früheren Ostblockländern, vor allem in Russland, die Geschäftsanbahnung vornahm. In jenen Jahren machte Strasser nach eigenen Angaben „gutes Geld“. Vermutlich glaubte er selbst, er habe seinen wirtschaftlichen Erfolg der eigenen Tüchtigkeit zu verdanken. Welche Selbsttäuschung.

Strassers geschäftliche Umtriebe waren der Parteiführung bekannt, als sie Strasser im Frühjahr 2009 dem erfahrenen, jedoch biederen EU-Parlamentarier Othmar Karas vorzogen und ihn zum Spitzenkandidaten bestimmte. Sein „hoher Bekanntheitsgrad“ sei ausschlaggebend gewesen, hieß es damals.

Karas bekam 113.000 Vorzugsstimmen – ein Signal, dass die Parteibasis mit der Strasser-Kandidatur zutiefst unzufrieden war. Im Europaparlament führte Strasser, obwohl Delegationsleiter, ein Eigenleben. Keiner der konservativen EU-Abgeordneten kann heute genau sagen, was ihr Fraktionschef wirklich trieb. Zwischen Strasser und Karas wurde kaum ein Wort gewechselt.

Auch nach den peinlichen Enthüllungen fehlt es Strasser an Einsehen. In einem Telefonat mit profil gab er sich vergangene Woche unbeeindruckt, schwadronierte vom großen Zuspruch, den er per E-Mail erhalte, und verlor sich in seiner Scheinwelt. Dass er in Wahrheit ein Hassobjekt wurde, vergräbt er wohl tief in sich.

„Jagd auf Strasser kann losgehen!“, titelte am Freitag die „Kronen Zeitung“. Das System, dessen Teil Strasser war, schlägt zurück.

Christa   Zöchling

Christa Zöchling