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Bleiberecht: Eine armenische Familie kämpft gegen die Abschiebung

Bleiberecht. Der Kampf einer armenischen Familie in Oberösterreich gegen die drohende Abschiebung

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Karen Simonyan, 50, nimmt seine Zigaretten und deutet mit dem Kopf zur Eingangstür. Er will raus aus der Gaststube, rauchen, ein paar Schritte auf und ab rennen, die Straße mit dem Blick absuchen. Kurz darauf ist er zurück, so angespannt und fahrig wie zuvor.

Es hat sich herumgesprochen, dass die Abschiebetrupps kommen, wenn es dunkel ist. Deshalb hat die Familie aus Armenien vergangene Nacht nicht in der Flüchtlingspension geschlafen, in der sie seit mehr als dreieinhalb Jahren lebt.

Meline, 18, Narine, 17, und ihr jüngerer Bruder Sevak, 15, schwänzten vergangene Woche die Schule. Ihr Vater drehte fast durch vor Angst, man könnte sie aus der Klasse holen und nach Armenien zurückschicken. "Wie geht es jetzt weiter?“, fragt er. Er hat keinen Plan.

Am Donnerstag vor zwei Wochen hatte der Briefträger den endgültig negativen Asylbescheid zugestellt. Zwei Wochen räumten die Behörden den Simonyans ein, das Land zu verlassen. Bald darauf rief die Polizei im Caritas-Heim in Abtsdorf an.

Die beiden Töchter waren eben mit dem Zug aus Vöcklabruck gekommen, wo sie die Handelsschule besuchen. Sie machten sofort kehrt. Die folgende Nacht schlüpften sie bei Bekannten unter. Die Eltern und ihr Jüngster versteckten sich im Keller eines unversperrten Hauses.

Vergangenen Dienstag saß Mutter Nune in einer kleinen Gastwirtschaft in Oberösterreich vor einer Schöberlsuppe und fror in ihrer dünnen Jacke. Ihre Welser Anwältin Susanne Singer will eine Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof einbringen. Dass die Höchstrichter aufschiebende Wirkung gewähren, ist nach fast vier Jahren der letzte Strohhalm. Daran klammert sich die Familie.

Nur wenige Armenier bekommen in Österreich Asyl.
Die Anerkennungsquote beträgt neun Prozent. Von Jänner bis August des laufenden Jahres wurden von 215 Asylanträgen nur 17 positiv beschieden, 156 wurden abgelehnt, 17 erhielten subsidiären Schutz, eine Art "kleines Asyl“. Die Simonyans waren nicht darunter.

23 Jahre lang war der Vater Streifenpolizist in Jerewan gewesen. Sein Beamtengehalt ernährte die Familie. Mutter Nune, eine gelernte Kindergärtnerin, blieb zu Hause und wachte über die drei Kinder. Die Mädchen rackerten sich nach der Schule im Tanzstudio ab, der Bub trainierte Judo.

2008 eskalierte rund um die Präsidentschaftswahlen in der armenischen Hauptstadt die Gewalt. Autos gingen in Flammen auf, es gab Verletzte und Tote. Simonyan bekam den Auftrag, Leute unter dem Vorwand festzunehmen, sie hätten einen Unfall verursacht. Diese landeten im Gefängnis.

"Damals haben meine Probleme begonnen“
, erzählt Karen Simonyan. Er sei bedroht worden, Unbekannte hätten ihn aus dem Auto gezerrt und krankenhausreif geprügelt. Danach habe man 100.000 Dollar von ihm verlangt, sollte er nicht zahlen, würde man ihn umbringen. Auch seinen Vater habe man bedroht. Karen Simonyan entschied sich zur Flucht und setzte sich mit Frau und Kindern nach Russland ab.

Im März 2009 landete die fünfköpfige Familie im Erstaufnahmezentrum Thalham. Nach einer Woche fanden sie in Abtsdorf Unterschlupf, in einer kleinen Flüchtlingspension wenige Kilometer vom Seeufer entfernt. Hier bangten sie dem Ausgang ihres Asylansuchens entgegen. Der erste Bescheid ließ nicht lange auf sich warten. Er war negativ. Auch die zweite Instanz ließ die Familie abblitzen.

Nun bleibt nur noch die Hoffnung auf ein Bleiberecht.
"Armenien ist nicht mehr mein Land“, sagt Vater Karen Simonyan. Österreich ist es noch nicht. Drei Jahre und sieben Monate sind sie hier. Die schriftlichen Beweise dafür, wie sehr sie sich in dieser Zeit um Integration bemüht haben, liegen säuberlich geordnet in einer Mappe im Asylwerberheim.

Darunter findet sich ein Brief vom Polizeisportverein Salzburg - Judo. Er handelt von Sevak, dem Jüngsten der Familie, der selbst in seinem sonnengelben Kapuzen-Sweater vergangenen Dienstag ziemlich betrübt ausschaute. "Ein Judoka von seinem Niveau ist für unseren Judoverein eine große Bereicherung“, hatte sein Trainer geschrieben.

In Armenien hatte Sevak drei Stunden täglich trainiert. Jetzt schafft er es höchstens einmal in der Woche zum Training nach Salzburg. Auch bei Wettbewerben in Deutschland, Ungarn oder Italien fehlt Sevak regelmäßig: "Ich darf ja nicht reisen.“ Die Medaillen, die er bei Turnieren errungen hat, trägt er auf einem Foto am Handy mit sich. Er zeigt es mit achselzuckendem Stolz: "Meine Schwester Narine hat mehr Pokale und Auszeichnungen.“

Seit sie vier Jahre alt ist, übte sie rhythmische Gymnastik, fünf Stunden am Tag. Als Narine vor drei Jahren in einem Salzburger Verein zum ersten Mal auftauchte, riss die Rhythmiklehrerin Helga Freinbichler die Augen auf: "Ich dachte, sie ist viel zu gut für uns. Aber sie hat uns alle nach oben gezogen.“ Oft habe sie gestaunt, welche Strapazen die junge Armenierin auf sich nehme, um zum Training zu kommen: "Die anderen Mädchen sind total entsetzt, dass sie plötzlich weg soll. Ich würde alles tun, damit sie bleiben kann.“

Nachbarn schrieben Empfehlungen für die "fleißige und liebenswürdige Familie“ und ihre sportlichen Kinder, die "schon bald Kontakt zu einheimischen Kindern gefunden hatten“. Das "Grafengut“, ein Seminarhotel-Betrieb in Nussdorf am Attersee, bestätigte schriftlich, es würde die gesamte Familie "mit sofortiger Wirkung“ beschäftigen. Am Tag, als der Abschiebebescheid kam, erteilte das AMS der älteren Tochter eine Arbeitserlaubnis. Meline, 18, besucht wie ihre ein Jahr jüngere Schwester Narine die erste Klasse der Handelsschule in Vöcklabruck. Am Wochenende kellnert sie im Gasthaus in Abtsdorf.

Meline möchte Krankenschwester werden, Narine eine Ausbildung zur Polizistin machen. Sevak, der Jüngste, würde gern Maschinenbautechniker lernen. Ein paar Schnuppertage hat er schon absolviert. Doch der Zugang zur Lehre bleibt ihm verschlossen.

Vergangene Woche versäumte er in der Schule drei Stunden Werken: "Wir hätten Schleifen geübt, das braucht man als Maschinenbautechniker.“ Auch ein Einstufungstest stand auf dem Programm: "Ich hätte ihn wahrscheinlich bestanden. Dann wäre ich von der zweiten in die erste Leistungsgruppe gekommen. Das wäre wichtig gewesen.“

Der 15-Jährige spricht inzwischen perfekt Deutsch und Oberösterreichisch. Wenn seine Eltern etwas nicht ausdrücken können, übersetzt er für sie.

Seine Eltern absolvierten im Caritas-Heim Basiskurse. Für die kostspieligen Aufbaukurse in Linz reichte das Geld nicht. Karen Simonyan ist 50 Jahre alt. Er sagt, er fühle sich immer noch "stark genug, um etwas für meine Kinder und auch für das Land zu tun“. Er versteht beim besten Willen nicht, warum man ihn das nicht tun lässt: "Ob ich in ein paar Jahren noch arbeiten kann, wenn ich immer nur herumsitzen muss?“

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Edith   Meinhart

Edith Meinhart

ist seit 1998 in der profil Innenpolitik. Schreibt über soziale Bewegungen, Migration, Bildung, Menschenrechte und sonst auch noch einiges