Leitartikel von Robert Treichler: Schleiertänze

Lasst die Burka und die Debatte darüber im Schrank! Es gibt viel drängendere Probleme in der Flüchtlingskrise.

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Versuchen wir, so wenig Platz (und Zeit) wie möglich mit der Erörterung der Frage zu vergeuden, die derzeit in der Flüchtlings- und Integrationsdebatte den größten Raum einnimmt: Soll man das Tragen der Vollverschleierung vulgo Burka (eigentlich besser: Niqab) verbieten?

Durch die Burka würden Frauen „entpersönlicht“, schreibt das deutsche feministische Magazin „Emma“. Stimmt. Eine vollverschleierte Frau habe „kaum eine Chance, sich zu integrieren“, sagt Kanzlerin Angela Merkel. Stimmt. Die Burka sei „Symbol einer Gegengesellschaft“, sagt Außenminister Sebastian Kurz. Stimmt auch.

Und was bringt ein Verbot? Dazu gibt es einen Bericht der Beobachtungsstelle für Laizität, einer öffentlichen Institution im Auftrag der französischen Regierung. In Frankreich ist die Vollverschleierung in der Öffentlichkeit seit 2010 untersagt. Seither werden jedes Jahr rund 300 Fälle aktenkundig. Das Bemerkenswerte daran ist die Konstanz: Die Zahl der Anhaltungen bleibt gleich, und nicht nur das: Es handelt sich sogar permanent um dieselben Personen, die von der Polizei mit je 150 Euro Strafe belegt werden. Eine Frau hat im Laufe von vier Jahren nicht weniger als 33 Mal dasselbe Delikt begangen. Und in einem Departement teilen sich zwei Frauen mit insgesamt 46 Strafverfügungen wegen Vollverschleierung in vier Jahren das Gros der Beanstandungen.

Die Soziologie der Vollverschleierten ist kein Geheimnis: Die allermeisten sind laut dem Bericht der Beobachtungsstelle für Laizität zwischen 20 und 29 Jahre alt, in Frankreich geboren und Konvertitinnen. Es handelt sich also um so etwas wie eine sektenhafte Minderheit von Personen, die sich in einer extrem fundamentalistischen Auslegung vermeintlich religiöser Regeln in Opposition zur Mehrheitsgesellschaft stellen. Geldstrafen nehmen sie dafür in Kauf.

Die „entpersönlichten“ Frauen, die „keine Chance haben, sich zu integrieren“, haben überhaupt kein Interesse an der europäischen Gesellschaft. Sie mit Geldstrafen zu belegen, gibt ihnen weder ihre Persönlichkeit zurück, noch fördert es ihre Integration. Am ehesten dienen ihnen die Bußgelder als Beweis ihrer Standfestigkeit. Und vielleicht verschafft eine Bestrafung Teilen der Mehrheitsgesellschaft Befriedigung.

Mit dem Burkini ist es ähnlich. Man kann ihn in zwei Ausführungen online beim englischen Kaufhaus „Marks & Spencer“ ordern und stellt damit an den Stränden der Côte d’Azur eine Störung der öffentlichen Ordnung dar.

Was wurde aus dem Geld, das sich die Republik erspart, weil dank der Schließung der Balkanroute weniger Flüchtlinge nach Österreich kommen?

Vielleicht sollten wir alle rasch den Kopf ins kühle Wasser tauchen, am Strand von Cannes oder sonstwo. Denn wir alle – Polizei, Politik, Behörden und Zivilgesellschaft – haben Wichtigeres zu tun, als uns mit der Idiotie einer Sekte zu beschäftigen und dabei auch noch unsere verfassungsrechtlichen Grundsätze zu gefährden.

In den ersten sieben Monaten dieses Jahres sind im Mittelmeer 3000 Flüchtlinge ertrunken.

In Aleppo sitzen 250.000 Menschen ohne Versorgung mitten im Krieg fest.

Der Plan der Verteilung von Flüchtlingen auf die EU-Staaten ist obsolet.

Die Notwendigkeit, die Flüchtlinge, die wir aufgenommen haben, in den Arbeitsmarkt zu integrieren, erweist sich als noch schwieriger als gedacht.

Außenminister Kurz weiß um die Probleme, und man kann ihm auch nicht vorwerfen, er würde sie ignorieren. Die Syrien-Gespräche nach Wien zu bringen, war eine diplomatische Leistung. Der Vorschlag eines Rechtsanspruchs auf Deutschkurse ist gut. Ein-Euro-Jobs für nicht-alphabetisierte Flüchtlinge können – wenn sie nicht als Strafaktion angelegt sind – ein Einstieg in einen normalen Alltag sein.

Aber: Was wurde aus dem Geld, das sich die Republik erspart, weil dank der Schließung der Balkanroute weniger Flüchtlinge nach Österreich kommen? Kurz sagte, mit dem Geld könnte man den Syrern in den Lagern im Libanon und Jordanien viel besser helfen. Warum tun wir das nicht?

Österreich hätte angesichts der großen Zahl von aufgenommenen Flüchtlingen das gute Recht, zusammen mit Deutschland und Schweden von anderen EU-Staaten und auch von den USA mehr Hilfe zu fordern. Nach der Ungarnkrise 1956 kam US-Vizepräsident Richard Nixon nach Wien, um sich ein Bild von der Flüchtlingssituation zu machen. Danach nahmen die USA Zehntausende Ungarn auf. Wo bleibt Joe Biden?

Die österreichischen Schulen brauchen mehr Lehrpersonal, um die Flüchtlingskinder möglichst rasch auf das Niveau der einheimischen Kinder zu bringen. Wäre das nicht mindestens ebenso wichtig wie die Erhöhung des Verteidigungsetats?

Es gibt verdammt viel zu tun. (Die Burka hat uns schon wieder viel zu viel Zeit gekostet.) Lassen wir uns nicht ablenken.

Robert   Treichler

Robert Treichler

Ressortleitung Ausland, stellvertretender Chefredakteur