EU-Kommissarin für Wettbewerb Margrethe Vestager trägt nicht nur ein politisches Amt. Die Kommission agiert auch als führende Wettbewerbsbehörde in Europa.

EU-Wettbewerbskommissarin Vestager: "Keine Steuern zahlen ist nicht fair"

EU-Wettbewerbskommissarin Vestager: "Keine Steuern zahlen ist nicht fair"

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(Anmerkung: Dieses Interview erschien erstmals in profil 06/2016 vom 8. Februar 2016. Am 30. August 2016 entschieddie EU-Kommission unter Kommissarin Vestager, dass der US-Konzern Apple in Irland die Rekordsumme von bis zu 13 Milliarden Euro Steuern nachzahlen muss. Die EU-Kommission bewertete die Steuervergünstigungen für den iPhone-Hersteller, die die irische Regierung gewährt hatte, als illegale Staatsbeihilfe zu Lasten von Konkurrenzunternehmen.)

profil: Frau Vestager, kaum ein EU-Kommissar erhält so viel Medienaufmerksamkeit wie Sie. Amerikanische Medien nennen Sie "Googles größten Albtraum" oder "die Bürokratin, welche die Tech-Branche in Schrecken versetzt". Wollen Sie US-Konzernen Angst einflößen? Margrethe Vestager: Nein, solche Zuschreibungen kommen einfach mit dem Job.

profil: Und wie würden Sie diesen Job beschreiben? Vestager: Meine Aufgabe ist es, möglichst sicherzustellen, dass europäische Bürger und Unternehmen eine Fairness am Markt erleben. Wenn Sie eine geniale Idee haben und diese voller Einsatz umsetzen, dann sollen Sie Zugang zum Markt haben. Und Bürger sollen darauf vertrauen können, dass Unternehmen tatsächlich in einem echten Wettbewerb liegen und keine Absprachen stattfinden.

profil: Es überrascht sicher manche Bürger, dass Sie als Wettbewerbskommissarin auch mit Steuerrecht zu tun haben. Können Sie das kurz erklären? Vestager: Für allgemeine Steuermaßnahmen bin ich nicht zuständig. Dafür gibt es andere. Ich werde aktiv, wenn es um Sonderbehandlungen geht - wenn Sie zum Beispiel einen Steuervorteil erhalten und ich nicht, obwohl wir am selben Markt konkurrieren. Wenn Sie als Unternehmen keine Steuern zahlen und ich schon, dann ist das nicht fair. Dann herrschen offensichtlich nicht dieselben Spielregeln. Die Gründungsväter der EU haben früh erkannt, dass wir uns als Union ein solches Rennen, wer mehr staatliche Beihilfe zahlt, nicht leisten können. Deswegen prüfen wir als Kommission, ob eine Steuerregelung für alle gilt oder nur für wenige oder sogar nur für ein einziges Unternehmen.

In dem Land, wo man einen Gewinn erwirtschaftet, soll man diesen Gewinn auch besteuern.

profil: Die Anwälte großer Konzerne sehen das anders: Dann heißt es, ein großes Unternehmen mit Tausenden Mitarbeitern ist eben nicht vergleichbar mit einem Kleinbetrieb. Vestager: Warum soll das nicht vergleichbar sein? Unternehmen sollen nach Europa kommen, weil es hier wunderbares Potenzial gibt, einen Markt mit mehr als 500 Millionen Konsumenten, großartige Infrastruktur. Einen Grund, warum multinationale Unternehmen nicht ebenso Steuern zahlen sollen, sehe ich nicht.

profil: Offensichtlich passiert das jedoch in vielen Staaten. Vestager: Unser Ziel ist aber - und ich halte das für nachvollziehbar: In dem Land, wo man einen Gewinn erwirtschaftet, soll man diesen Gewinn auch besteuern. Lassen Sie mich das am Fall von Starbucks erklären.

profil: Sie meinen die Starbucks-Rösterei in den Niederlanden, die den Kaffee für Europa röstet? Vestager: In diesem Fall ging es um Gewinnverlagerungen. Die Starbucks-Rösterei kaufte grüne Kaffeebohnen für einen stark überhöhten Preis. Und sie zahlte auch sehr hohe Lizenzgebühren für das Know-how, wie man den Kaffee röstet. Weil das alles so teuer war, blieb kaum ein Gewinn übrig, den die Rösterei besteuern musste. Das Geld für die grünen Bohnen ging an ein Unternehmen der Starbucks-Gruppe in einem anderen Land, wo die Steuern sehr niedrig sind. Bei den Lizenzgebühren war es ähnlich. Das ist laut unserer Entscheidung nicht erlaubt - es ist unrechtmäßige staatliche Beihilfe.

Google hat seine dominante Position genutzt, um die eigenen Dienste in angrenzenden Märkten zu fördern.

profil: Starbucks muss dafür 20 bis 30 Millionen Euro nachzahlen. Auch Fiat muss eine solche Nachzahlung nun in Luxemburg leisten. Sie untersuchen außerdem Apples Steuerdeals in Irland und Amazons in Luxemburg. Wie weit sind Sie hier? Vestager: Das ist schwierig zu sagen. Denn oft tauchen in solchen Verfahren noch neue Informationen auf, auch widersprüchliche Informationen. Die müssen wir dann gewissenhaft prüfen.

profil: In den USA gibt es auch Kritik an diesem Vorgehen. Ist es denn nur Zufall, dass viele der untersuchten Unternehmen amerikanische Konzerne sind? Vestager: Einige der US-Unternehmen, die in Europa aktiv sind, sind multinational ausgerichtet. Das ist wohl vor allem der Grund dafür. Natürlich nehme ich meine Arbeit ernst und habe mir unsere Unterlagen gründlich angesehen: Ich sehe hier keine Voreingenommenheit. Zum Beispiel erklärten wir vor wenigen Wochen eine belgische Steuerregelung für unzulässig. Insgesamt müssen die betroffenen Konzerne 700 Millionen Euro nachzahlen -500 Millionen Euro davon kommen von europäischen Unternehmen.

profil: Abseits dieser besonderen Steuerdeals hat ein anderer Fall hohe Wellen geschlagen - auch in den USA. Ihre Untersuchung von Google. Inwiefern verschafft sich Google womöglich einen unfairen Wettbewerbsvorteil? Vestager: Wir untersuchen Google unter verschiedenen Aspekten. In einem Fall haben wir Beschwerdepunkte eingebracht - also genau aufgelistet, welches Verhalten in unseren Augen problematisch in puncto Wettbewerbsrecht ist. Google ist äußerst dominant bei der generellen Suche. In manchen Ländern nutzen 95 Prozent der Kunden Google als Suchmaschine. Google hat seine dominante Position genutzt, um die eigenen Dienste in angrenzenden Märkten zu fördern. Konkret schauen wir uns Googles Shopping-Dienst an: Wenn Sie nach einem Produkt googeln, kriegen Sie in einigen Ländern eine Preisübersicht von Google eingeblendet - und nicht von anderen Preisvergleichsseiten. In unseren Augen ist das nicht zulässig.

profil: Warum denn nicht? Schließlich ist das doch Googles Site, warum sollen die nicht ihre eigenen Dienste dort herzeigen? Vestager: Das Herzeigen ist in Ordnung, sofern es den Regeln des Wettbewerbs entspricht. Wenn Sie eine dominante Marktstellung haben, erwarten wir, dass Sie damit fair umgehen - und nicht eigene Dienste hervorheben oder fremde Dienste zurückreihen.

profil: Sie untersuchen auch Googles Smartphone-Betriebssystem Android. Warum denn? Vestager: Aus zwei Gründen. Der erste ist technisch und ein bisschen kompliziert: Im Grunde ist Android eine Open-Source-Software. Das heißt, jeder könnte eine Adaption davon machen und somit eine neue Version dieses Betriebssystems erstellen. Nur scheint es in diesem Fall äußerst schwierig, einen Hersteller zu finden, der für dieses Konkurrenzprodukt Handys erzeugt. Der andere Aspekt ist etwas leichter verständlich: Wenn Sie ein Android-Handy kaufen, dann bekommen Sie einige Google-Apps gleich vorinstalliert. Das macht es schwer für Konsumenten, irgendetwas anderes als ein Google-User zu sein.

Der springende Punkt ist: Wenn Sie so dominant am Markt sind, dann wird es für Kunden mitunter schwierig, einen Weg rund um Ihr Unternehmen zu finden.

profil: Sie untersuchen hier auch, ob Google unfaire Deals mit den Handyherstellern ausgehandelt hat. Viele Konsumenten werden vermutlich sagen: Was ist denn so schlimm daran? Ist doch bequem, dass ich schon viele Apps am Handy habe. Vestager: Ich höre zwei unterschiedliche Meinungen. Die einen sagen tatsächlich: Was soll hier das Problem sein, ist doch praktisch. Aber es gibt auch die andere Sichtweise: Manche Menschen ärgert diese Erschwernis bei der Auswahl. Die sagen: Ich will nicht, dass Google von vornherein für mich entscheidet, welche Apps auf meinem Handy sind.

profil: Google antwortet auf solche Einwände gerne: Wer eine andere App will, kann eine andere App installieren. Die Konkurrenz ist nur einen Klick entfernt. Vestager: Der springende Punkt ist: Wenn Sie so dominant am Markt sind, dann wird es für Kunden mitunter schwierig, einen Weg rund um Ihr Unternehmen zu finden. Ich halte es nicht für verantwortungsvoll, würde die Kommission sagen: Das sollen sich die Kunden halt selbst ausmachen - dann wäre jeder Kunde, jede Kundin auf sich allein gestellt.

profil: Das Wettbewerbsrecht soll garantieren, dass die Kunden genug Auswahl haben und einen fairen Preis bezahlen. Nur wie wollen Sie hier berechnen, ob ein Preis zu hoch ist? Immerhin sind diese Apps und diese Dienste gratis. Vestager: Es tut mir leid - nichts ist gratis. Es gibt immer eine Art der Bezahlung. Sie zahlen mitunter mit Geld, Sie zahlen mitunter, indem Sie Werbung ansehen. Und manchmal zahlen Sie mit Daten, dann bekommen Sie umso maßgeschneiderte Werbung eingeblendet oder diese Daten werden für eine Kundensegment-Analyse verwendet -über Sie und die Menschen, die Ihnen ähnlich sind. Sie zahlen immer. Die schwierigere Frage ist: Wie viel sind Ihre Daten wert? Das ist schwer zu beziffern. Es gibt hier keinen klaren Wechselkurs, wie viel Ihre persönlichen Daten im Vergleich zum Euro wert sind.

profil: Deswegen lässt sich auch so schwer sagen, ob uns Konzerne wie Google einen fairen Deal anbieten? Vestager: Genau. In der Zukunft werden uns diese Fragen noch viel mehr beschäftigen. Denn wenn man Ihre Daten, meine Daten und die Daten vieler anderer kombiniert, kommt Big Data heraus. Das wirft Fragen auf: Was sind solche Daten wirklich wert? Sind diese Daten sehr vergänglich und dementsprechend wenig wert? Oder wird es irgendwann schwierig für Mitbewerber, ohne solche Datenmengen am Markt zu bestehen? Diese Datenthematik spielt eine immer größere Rolle in unseren Überlegungen.

profil: Wie weit sind Sie nun in Ihrer Untersuchung von Google? Vestager: Wir analysieren derzeit die Antwort, die Google auf unsere Beschwerdepunkte einbrachte. Die Menge an Daten, die uns Google sendete, ist beachtlich. Das gründlich zu prüfen, braucht seine Zeit. Ich weiß nicht, wann wir fertig sind - aber ich hoffe, es ist früher als später.

Zur Person: Margrethe Vestager, 47, studierte Volkswirtschaft in Kopenhagen, arbeitete danach für das Finanzministerium. Mit 30 wurde die Politikerin die dänische Ministerin für Bildung und Kirche, später stieg sie zur Chefin der liberalen Partei "Det Radikale Venstre", Wirtschaftsministerin, Innenministerin und Vizeregierungschefin auf. Seit August 2014 ist sie EU-Wettbewerbskommissarin.

Die EU-Kommissarin für Wettbewerb trägt nicht nur ein politisches Amt. Die Kommission agiert auch als führende Wettbewerbsbehörde in Europa. Sie kann Geldbußen von bis zu zehn Prozent des weltweiten jährlichen Umsatzes eines Unternehmens verordnen. Berühmt ist das Verfahren gegen Microsoft aus den Nullerjahren. Der Konzern hatte eigene Software wie den Windows Media Player auf seinem Betriebssystem vorinstalliert und somit die Konkurrenz benachteiligt. Für unrechtmäßiges Vorgehen wurde Microsoft vier Mal von der Kommission verurteilt, musste seit 2004 insgesamt 2,2 Milliarden Euro Buße zahlen. Der Wiener Rechtsanwalt Peter Thyri, der auf Kartellrecht spezialisiert ist, erläutert: "Das Schwierige am Wettbewerbsrecht ist, dass die Kommission oft auch eine Prognose erstellen muss: Sie trifft eine Einschätzung, ob das Verhalten eines Marktführers künftig den Wettbewerb gefährdet." Ein ähnlich diffiziler und prominenter Fall wie damals Microsoft stellt heute Google dar - auch hier geht es um die Frage, ob Google mit vorinstallierter Software (Handy- Apps) den Wettbewerb hindert.

Ingrid   Brodnig

Ingrid Brodnig

ist Kolumnistin des Nachrichtenmagazin profil. Ihr Schwerpunkt ist die Digitalisierung und wie sich diese auf uns alle auswirkt.